16. Mai 2018   Themen

Nicht in unserem Namen! Erklärung des AKL-Länderrats zum Beschluss der Fraktion DIE LINKE zu „70 Jahre Staat Israel“ vom 25.4.2018

Erklärung des AKL-Länderrats zum Beschluss der Fraktion DIE LINKE zu „70 Jahre Staat Israel“ vom 25.4.2018.

1.) Obwohl der Beschluss der Fraktion der Partei Die LINKE im deutschen Bundestag zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels mehrheitlich verabschiedet wurde, enthält er nicht ein Wort zu den Geschehnissen in Gaza seit dem 30.März 2018. Tausende Palästinenser*innen wurden durch das israelische Militär verwundet. Gegenwärtig beläuft sich die Zahl auf über 7.000 – und täglich kommen Hunderte dazu! Die Zahl der Toten liegt schon bei 52. All das von gut verschanzten Scharfschützen, die aus sicherem Abstand und in aller Ruhe Ziel nehmen und abdrücken.

Die meisten Schüsse gehen in schwer zu treffende Körperregionen wie die Knie. Internationale Ärzte, Amnesty international und israelische Zeitungen berichten darüber, dass Israel explosive Munition verwendet, die die Knie sozusagen ‚pulverisiert‘. Die Barbarei ist kaum zu beschreiben. Es handelt sich offenkundig um Kriegsverbrechen – um schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention – der Antrag schweigt sich dazu in unverantwortlicher Weise völlig aus.

2.) Der Antrag der Fraktion beginnt mit folgendem Satz: „Die Gründung des Staats Israels vor 70 Jahren ist eine herausragende und bleibende Leistung, die für uns ein Grund zum Feiern ist“. Weiter heißt u.a. „Israel blickt heute mit Stolz auf 70 Jahre Demokratie mit einer lebendigen und pluralistischen Zivilgesellschaft und einer immensen Vielfalt in den Formen des Zusammenlebens“. Im gesamten Antrag wird nicht ein einziges Mal auf die Nakba – die Katastrophe – für die Palästinenser*innen hingewiesen, die mit der Staatsgründung Israels verbunden war. Es wurden zwischen 700.000 und 800.000 Palästinenser*innen von Israel vertrieben. Der Text benennt die jahrzehntelangen systematischen Menschen- und Völkerrechtsverletzungen Israels, die durch zahlreiche UN-Resolutionen verurteilt worden sind, nicht.

3.) Speziell in puncto Völkerrecht versagt der Antrag. Denn unter Punkt 3.) der Forderungen erfolgt lediglich eine zahnlose Erwähnung des Völkerrechts, ohne den einzig entscheidenden Punkt dabei einzufordern – seine DURCHSETZUNG! 70 Jahre lang hat Israel alle UN-Resolutionen ignoriert und gebrochen. Einen Sinn macht das Völkerrecht aber erst dann, wenn konkrete Schritte zu seiner Durchsetzung beschlossen werden. Dies wäre praktischer diplomatischer und politischer Druck, durch von der UN oder der EU sanktionierten Maßnahmen, wie wir es z.B. bei Erdogan selbstverständlich einfordern, und wie es auch die Beschlusslage der Partei widerspiegelt.

 4.) Einen schwerwiegenden innenpolitischen Skandal stellt Punkt 14 des Fraktionsbeschlusses dar: „Im Kontext der Erinnerungsarbeit an die Shoah und des Schutzes jüdischen Lebens in Deutschland schnellstmöglich auch die weiteren Forderungen aus dem interfraktionellen Beschluss zur Bekämpfung des Antisemitismus umzusetzen“.

Hierzu sei daran erinnert, dass sich die LINKE noch vor drei Monaten wenigstens noch enthielt, als unter der Drucksache 19/444 der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der AfD am 17.01.2018 u.a. die Kriminalisierung von Kritik an Israel und seiner Besatzung und eine pauschale Verdächtigung muslimischer Migrant*Innen beschloss.

Es heißt dort u.a.:

6. gegenüber den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Möglichkeiten des § 54 Absatz 1 Nr. 5 des Aufenthaltsgesetzes konsequent gegenüber Ausländern/Ausländerinnen angewandt werden, die zu antisemitischem Hass aufrufen. Es ist der Wille des Deutschen Bundestages, dem Aufruf zum Hass gegen Teile der Bevölkerung und der Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens durch geistige Brandstifter frühzeitig durch die Einstufung dieser Verhaltensweise als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse entgegenzutreten; 7. der weltweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegenzutreten. Der Deutsche Bundestag verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren sowie die Aufbringung von „Don’t Buy“-Schildern auf Waren aus Israel aufs Schärfste. Es ist Aufgabe der unabhängigen Justiz zu prüfen, inwieweit durch einen Boykott Straftatbestände, z. B. Volksverhetzung, erfüllt sind, und gegebenenfalls angemessene Sanktionen gegen die Täterinnen und Täter zu verhängen.

5.) Im Januar hatte sich die Fraktion noch enthalten u.a. mit der Begründung, dass die Bundesregierung sonst aufenthaltsrechtliche Maßnahmen allein aufgrund von „Antisemitismus“-Vorwürfen beschließen könnte. Nun aber unterläuft dieser undemokratische Beschluss in bewusster Absicht die Haltung vom Januar. In klaren Worten ausgedrückt, bedeutet dies nichts anderes als, dass die LINKE sich dafür einsetzt, Migrant*innen/Flüchtlinge wegen israelkritischer Aussagen auszuweisen.

Diejenigen Aktivist*innen, die sich auf friedliche Art und Weise für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts im Konflikt einsetzen und zu diesem Zweck zu gewaltlosem Boykott und vor allem völkerrechtlich legitimierten Sanktionen (www.bds-kampagne.de) aufrufen, sollen ebenfalls mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt werden.

Das alles findet natürlich die volle Unterstützung von CDU/CSU bis AfD, welche gerade versuchen, neue reaktionäre und repressive Polizeigesetze in den Bundesländern durchzusetzen.

6.) Wir fordern stattdessen nicht mehr und nicht weniger, als die Einhaltung der Beschlüsse der Partei. Der diesbezüglich zuletzt gefasste Beschluss des Bundesparteitags 2017 lautet wie folgt:

Für eine friedliche Lösung…. Dazu gehört:

    • ein sofortiges Ende und Rückführung des im Charakter kolonisierenden israelischen Siedlungsbaus auf der palästinensischen Westbank einschließlich Ostjerusalem und die Schaffung eines souveränen Staates Palästina in den Grenzen von 1967 – einschließlich der Möglichkeit einvernehmlicher Gebietsaustausche;

    • die Souveränität über die eigenen natürlichen Ressourcen, sowie über den inner- wie zwischenstaatlichen Waren- und Personenverkehr – auch und besonders zwischen der Westbank und dem Gaza-Streifen;

    • eine schlussendliche Verständigung über die palästinensische Flüchtlingsfrage auf der Grundlage der UN-Resolution 194 und im Verbund mit den arabischen Anrainer-Staaten…

Zusätzlich dazu beschlossen auf ihren Landesparteitagen 2017, die Landesverbände

Niedersachsen und NRW folgende Forderung, nämlich:

Die LINKE fordert die zeitweilige und bedingte Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel, bis zu dem Zeitpunkt, da Israel die in Artikel 2 eindeutig benannten Voraussetzungen aller Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts und damit zur Beendigung der Besatzung und vollständigen Aufhebung der Blockade Gazas erfüllt.

Diese Forderung war in noch schärferer Form (nicht nur ‚zeitweise und bedingt‘, etc.) bereits vom 5. Kongress der Europäischen Linken in Berlin (Dezember 2016, mit 88,52% Zustimmung!) beschlossen worden.

7.) Wir wissen um die Tatsache, dass es ein undemokratisches Manöver bei der Antragseinbringung gegeben hat. Zum Zeitpunkt der Abstimmung waren nur noch wenige Abgeordnete anwesend. Viele Abgeordnete des linken Flügels waren nicht anwesend, die diesem Antrag vermutlich nicht zugestimmt hätten. Trotzdem oder gerade deswegen haben die Fraktionsspitze und die Antragssteller*innen versucht diesen Antrag durchzudrücken. Wir danken insbesondere den beiden Genossinnen, die sich dieser Form von Erpressung widersetzt und gegen den Antrag gestimmt haben.

8.) Wir fordern die Mitglieder der Linksfraktion im deutschen Bundestag auf, sich öffentlich von diesem Antrag zu distanzieren, sowohl von der undemokratischen Art und Weise seines Zustandekommens, aber vor allem von seinem antipalästinenschen Inhalt.

Wir haben in den letzten Monaten in den Auseinandersetzungen um die Aufgaben der Partei immer wieder darauf hingewiesen, dass wir DIE LINKE nur als eine demokratische Partei der Mitglieder weiter entwickeln können und wollen. Wir orientieren uns an den Beschlüssen der Partei und stehen weiterhin auf dem Boden des Erfurter Programms. Wir hoffen, dass die Mehrheit der Fraktion sich dieser Umgangsweise und Ansicht anschließt. Deshalb ist diese Erklärung einer Minderheit der Fraktion Die LINKE im Bundestag für uns nicht legitim und nicht bindend, da sie in Form und Inhalt nicht der Beschlusslage der Partei DIE LINKE entspricht und in keinster Weise mit ihrem Anspruch als eine internationalistische Partei vereinbar ist.

Kassel, den 13.05.2018

 

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