29. Januar 2019   Themen

Abschlussbericht Kohlekommission und erste Einschätzung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bericht von:

Uwe Witt, MdB, Referent für Energiepolitik, Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

26.01.2019
Erste Einschätzung Abschlussbericht Kohlekommission
(Fassung des Berichts vom 26.01.2019)
Der Abschlussbericht der Kohlekommission (offiziell Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung - KWSB) umfasst einschließlich Anlagen 336 Seiten.
KLIMASCHUTZ
Im Endbericht der Kohlekommission wurde nun der empfohlene Abschaltplan eingefügt. Danach sollen Im Zeitraum von 2018 bis 2022 zusätzlich Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 3 Gigawatt (GW) sowie 4 GW Steinkohlekraftwerke stillgelegt oder über das KWKG in Gaskraftwerke umgerüstet werden. Im Text selbst taucht diese Netto-Betrachtung (die die Grundlage der politischen Diskussion der letzten Jahre bildete) nicht auf. In den aufgeführten Abschaltzahlen sind vielmehr auch jene Kraftwerke mit eingerechnet, die bis dahin ohnehin vom Netz gehen oder in die sogenannte Sicherheitsreserve überführt werden sollten. In dieser Rechnung gehen bis 2022 insgesamt Kohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 12,5 Gigawatt vom Netz. Mit den Abschaltungen und Umrüstungen soll im Energiesektor eine CO2-Minderung von mindestens 45 Prozent im Vergleich zu 1990 erreicht werden.
Die Kommission „hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt. Darüber hinaus bittet die Kommission die Landesregierungen, mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten, um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden“. Die Formulierung ist ein Kompromiss, eine klare Empfehlung für den Erhalt des Hambacher Waldes konnte von den Umweltverbänden nicht durchgesetzt werden.
Laut dem Kommissionsmitglied Hannelore Wodtke sei es dagegen aufgrund des Widerstands Brandenburgs nicht möglich gewesen, im Endbericht den Erhalt des von Abbaggerung bedrohten Dorfes Proschim (Lausitz) festzuschreiben, weshalb sie gegen ihn stimmte.
Bis zum Jahr 2030 (der Horizont des Sektorziels Energiewirtschaft im Klimaschutzplans 2050) sollen netto weitere sechs GW Braunkohle und sieben Gigawatt Steinkohle vom Netz. Insgesamt wären dann noch Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 17 Gigawatt am Netz, was in Bezug auf die Kraftwerke am Markt (also ohne Reserven etc.) eine Reduzierung um 60 Prozent zum heutigen Bestand darstellen würde.
Die Verringerung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2023 – 2030 soll lt. Kommission möglichst stetig erfolgen. „2025 erfolgt dabei ein substantieller Zwischenschritt bei der Emissionsminderung von 10 Millionen Tonnen möglichst durch ein Innovationsprojekt“. Was darunter zu verstehen ist bleibt zunächst unklar. Die Formulierung soll offensichtlich ermöglichen, dass die Energiewirtschaft bis zum Jahr 2030 ihr Sektorziel von 61 – 62 % weniger Treibhausgase gegenüber 1990 (auf 175 – 183 Mio. t CO2-Äq) erreichen kann, ohne sich schon jetzt auf zusätzliche Kraftwerksabschaltungen festlegen zu müssen. Sonstige Zwischenziele bis 2030 konnten die Umweltverbände nicht durchsetzen.
Die Kommission empfiehlt, die nach EU-Recht vorgesehene Möglichkeit maximal zu nutzen, CO2-Emissionsrechte in Höhe der zusätzlich durch den Kohleausstieg eingesparten CO2-Mengen zu nutzen. Damit können kontraproduktive Mengen- und Preiseffekte für das ETS vermieden werden.
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Der letzte Meiler soll 2038 abgeschaltet werden. Es gibt zudem die Option, dies auf 2035 vorzuverlegen. Ob dies möglich ist, soll 2032 überprüft werden („Öffnungsklausel“).
Bewertung
Der Kohleausstieg ist nun wohl unumstößlich. Das ist die gute Nachricht. Die Kommission empfiehlt jedoch einen schwachen Einstieg in den Kohleausstieg. Die vorgesehenen 3 GW Braunkohle und 4 GW Steinkohle bis 2022 fallen deutlich hinter der seinerzeit fast festgezurrten Abschaltliste der Jamaika-Verhandlungen. Hier waren zusätzlich 7 GW Braunkohle diskutiert worden - und zwar bereits bis 2020! Mit dem Kommissionsvorschlag kommt deutlich weniger Emissionsminderung zu Stande, die Mehr-Emissionen schleppen wir dann absehbar noch jahrelang mit (es gibt ja quasi auch keine Zwischenziele bis 2030). Überschläglich werden dadurch allein in der ersten Phase dadurch knapp 20 Prozent weniger Treibhausgase reduziert, und dies auch noch um zwei Jahre (bis 2022) verzögert. Der Beitrag der Energiewirtschaft, die Lücke zum 2020-Minderungsziel der Bundesrepublik soweit wie möglich zu schließen, dürfte damit marginal ausfallen.
Weil es im Papier keine Hinweise auf Instrumente zur Begrenzung der Vollaststunden für die jeweils verbliebenen Kraftwerke gibt (diese waren eine Forderung von uns), besteht die Gefahr, dass verhandelte Abschaltungen durch eine höhere Auslastung verbliebener Meiler (Teil-)kompensiert werden. Im Gesetzgebungsprozess steht darum die Aufgabe, solche Instrumente einzufordern.
Dass die 3 GW Braunkohle bis 2022 nur im Rheinland abgeschaltet werden sollen, wie Medien berichten, findet sich im Text nicht wieder, ist aber mündlich verabredet worden.
Die Empfehlung, den Hambacher Forst nicht abzubaggern, kann als Teil-Erfolg verbucht werden. Es bleibt dagegen tragisch, dass gegen den erbitterten Widerstand Sachsens und insbesondere des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Woidke keine Formulierungen gefunden wurden, die von Abbaggerung bedrohte Dörfer in der Lausitz schützen. Die LEAG soll weiterhin selber erst 2020 entscheiden dürfen, ob sie den Tagebau Welzow-Süd II noch aufschließt. Durch das von der Kommission ausgehandelte Ausstiegsdatum 2035 mit der Option auf 2038 wird zwar ein neuer Tagebau Welzow II unwahrscheinlich. Die Unsicherheit für die Menschen aber bleibt.
Die Ziele bis 2030 gehen zumindest etwas über die von Wirtschaftsminister Altmaier seit Monaten verkündete Ziel einer Halbierung der Kohlekapazitäten bis 2030 hinaus (um 10 Prozentpunkte). Allerdings hatten die Umweltverbände eine Halbierung auf 20 Gigawatt bereits bis 2022 gefordert, um einigermaßen Paris-kompatibel zu bleiben.
Der Verzicht auf Zwischenziele bis 2030 ist gefährlich, denn er könnte jenen Vorschub leisten, die zwischen 2023 und 2030 kaum mehr Meiler stilllegen wollen. Deutschland hätte sein rechnerisches Paris-kompatibles CO2-Budget für den Energiesektor in einem solchen Szenario womöglich schon vor 2030 aufgebraucht. Ob die Kommissions-Formulierung, die eine möglichst stetige Reduktion im Zeitraum vorschlägt, auch instrumental im Gesetzesverfahren unterlegt wird, um gegenzusteuern, bleibt fraglich.
Die vorgeschlagene Löschung der Emissionsrechte im Umfang der zusätzlichen Abschaltungen ist sehr zu begrüßen. Somit wird jenen der Wind aus dem Segeln genommen, die Argumentieren, der deutsche Kohleausstieg führe über die Logik des EU-Emissionshandel (ETS) zu Mehremissionen im EU-Ausland.
Das Enddatum für die Kohleverstromung liegt mit 2038 sehr spät, hier wird aber hoffentlich die Dynamik der Energiewende dafür sorgen, dass es vorgezogen wird. Ohnehin sind substantielle frühe Reduzierungen klimapolitisch bedeutend wichtiger als die Frage, wann tatsächlich der letzte Meiler vom Netz geht. DIE LINKE sollte dennoch weiter für den Zeitraum 2030-2035 als Abschluss streiten.
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STRUKTURHILFEN UND BESCHÄFTIGUNGSSICHERUNG
Die Kohlekommission schlägt für die betroffenen Regionen ein enormes Unterstützungspaket vor. Die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen sollen in den kommenden 20 Jahren 40 Mrd. Euro an Strukturhilfen erhalten. Die konkreten Maßnahmen für den Umbau sollen in einem eigenen Gesetzespaket festgeschrieben werden, welches auch für die kommenden Regierungen bindend sein soll.
Von den 2 Mrd. Euro pro Jahr über 20 Jahre sollen 1,3 Mrd. als „zusätzliches Budget für aus dem Bundeshaushalt zu finanzierende Einzelprojekte für die von einer vorzeitigen Beendigung der Kohleverstromung betroffenen Länder“ zur Verfügung gestellt werden. Die restlichen 0,7 Mrd. jährlich sollen als „Finanzierungsmöglichkeit“ für eine „mittel- und langfristigen Absicherung strukturpolitischer Maßnahmen aus Mitteln des Bundes den Ländern “ bereitgestellt werden, „die von der Haushaltslage unabhängig ist“.
Zur Umsetzung soll es u.a. ein „Maßnahmengesetz“ geben, „in dem etwa Maßnahmen des Bundes bzw. mit Bundesbeteiligung insbesondere im Bereich Infrastrukturausbau, Wirtschafts- und Innovationsförderung sowie Ansiedlung von Behörden und von Forschungseinrichtungen geregelt werden könnten“. Zudem soll das Ganze in einem „zu ratifizierenden Staatsvertrag zwischen dem Bund sowie den betroffenen Ländern und Kommunen“ umgesetzt werden. Die Eckpunkte für das Maßnahmegesetz soll die Bundesregierung bereits bis zum 30. April 2019 festlegen, erwartet die Kommission. Das Gesetz könnte sich lt. Kommission an das "Bonn-Berlin-Gesetz" anlehnen.
Im Bericht selbst werden für den institutionellen Rahmen der Finanzierung neben dem Maßnahmengesetz ein Sonderfinanzierungsprogramm für die Verkehrsinfrastruktur und Bundesmittel für entsprechende beschäftigungspolitische Maßnahmen vorgeschlagen. Über einen Verteilungsschlüssel entsprechend der unterschiedlichen Betroffenheit der Regionen sollen Bund und Länder sich einigen. Als Anlagen 5 und 6 wurden die Projektlisten der Länder (197 Seiten) kommentarlos angehangen, der Bericht selbst enthält aber bereits etliche Vorschläge zu zentralen Vorhaben, u.a. werden zahlreiche Verkehrsprojekte und die Ansiedlung von Bundesbehörden angeregt, mit denen in den nächsten zehn Jahren rund 5.000 neue Arbeitsplätze in die Region kommen sollen.
Die besondere Bedeutung des Bundes beim Umbau wird hervorgehoben auch dadurch, dass auf eine Mitfinanzierung durch Länder und Kommunen verzichtet werden soll. „Angesichts der Betroffenheit der Länder und Kommunen ist auf eine Kofinanzierung zu verzichten“. Zudem sei zu ermöglichen, dass Kofinanzierungsanteile in EU-geförderten Maßnahmen auch aus Bundesmitteln erbracht werden können.
SPON hatte vor Verabschiedung des Endberichts eine Zusammenstellung des DNR aufgegriffen (siehe Tabelle am Ende), welche die Gesamtkosten des Kohleausstiegs beziffern sollte. Nach Korrektur der Zahl mit der letztlich empfohlene Summe für Strukturhilfen für Kohleregionen im verabschiedeten Endbericht käme man hier auf insgesamt 74 Mrd. Euro (einschließlich Entschädigungszahlungen an Betreiber und weitere Unterstützungszahlungen). Die Zahl ist mit Vorsicht zu genießen, denn es ist eine grobe und auch unzulängliche Schätzung: Über die Ermittlung einiger Einzelposten ließe sich diskutieren, vor allem die gesellschaftlichen Kosten eines nicht vollzogenen Kohleausstiegs sind nicht gegengerechnet – um ein Gefühl für die einzelnen Summen zu bekommen, ist die Aufstellung vielleicht dennoch interessant.
In einem strukturpolitischen Sofortprogramm sollen die im Koalitionsvertrag für die aktuelle Legislaturperiode eingeplanten 1,5 Mrd. Euro verwendet werden. Für den Zeitraum 2019 bis 2021 soll für die Kohlereviere als „ersten Investitionsanreiz“ ein „Sofortprogramm für unternehmerische
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Investitionen“ aufgelegt werden (kurzfristig eine „Investitionszulage für die Braunkohlereviere“, Programm „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“, Programm „Unternehmen Revier“).
Die Kommission hat ferner Kriterien erarbeitet, nach denen der gesamte Strukturwandel ausgestaltet werden soll und die Projekte auszuwählen sind. Insgesamt sind 17 Kriterienpunkte aufgeführt. Die Kommission fordert u.a., die Strukturentwicklung solle sozialverträglich und nachhaltig erfolgen, bestehende hochwertige und mitbestimmte Arbeitsplätze sichern oder neue, hochwertige und zukunftssichere schaffen. Damit werde eine positive Beschäftigungsbilanz sichergestellt. Strukturwandel sei gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Akteure vor Ort sollten gestalten, die Politik solle unterstützen, ober notwendige Freiräume erhalten.
In diesem Zusammenhang fordert die Kommission an die Beschäftigten und Auszubildenden „eine verbindliche Sicherheitszusage der Politik, dass die notwendigen Maßnahmen der Strukturentwicklung auf die Schaffung neuer, wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze gerichtet sind und die Beschäftigten die notwendige Unterstützung bekommen, um ihre Beschäftigungsqualität und ihr Einkommensniveau in angemessener Weise aufrechterhalten zu können. Betriebsbedingte Kündigungen werden ausgeschlossen“.
Je nach persönlicher Situation des betroffenen Beschäftigten seien „verbindliche Regelungen zu treffen, z. B. zur Sicherung einer qualifizierten Arbeit durch Vermittlung und Ausgleich von Lohneinbußen, Aus- und Weiterbildung, zur Abfederung finanzieller Einbußen oder für einen früheren Eintritt in den Ruhestand und Brücken zum APG, Ausgleich von Rentenabschlägen oder für einen sonstigen früheren Eintritt in den Ruhestand“. Nur so sei gesichert, „dass alle betroffenen Beschäftigten die Chance auf einen zukunftsgerichteten Arbeitsplatz mit adäquaten Lohn- und Arbeitsbedingungen wahrnehmen können“. Dabei seien die Mitbestimmungsorgane und ihre Gewerkschaften in die Verhandlungen und Vereinbarungen zur Stilllegung von Kraftwerkskapazitäten und Tagebauen einzubeziehen und die getroffenen Regelungen in einem Tarifvertrag zwischen den zuständigen Sozialpartnern festzulegen.
Die Kommission verbindet Entschädigungsleistungen mit Regelungen zur sozialverträglichen Gestaltung des Kohleausstiegs und will beides gesetzlich verankert wissen:
„Die Kommission empfiehlt, zur Umsetzung eine einvernehmliche Vereinbarung auf vertraglicher Grundlage mit den Betreibern im Hinblick auf die Stilllegungen zu erzielen. Diese enthält sowohl eine Einigung über Entschädigungsleistungen für die Betreiber als auch Regelungen über die sozialverträgliche Gestaltung der Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung und wird anschließend gesetzlich fixiert.“
Ferner muss eine „Perspektiven für neue, möglichst tariflich abgesicherte Arbeitsplätze“ einen vergleichbaren Standard bedienen, wie die bisherigen, um einen Strukturbruch zu vermeiden und die Wertschöpfung in den Regionen zu sichern. Die Kommission fordert dafür neben den Strukturhilfen einen „aktiven und präventiven Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“.
Bewertung
Die Strukturhilfen in Höhe von 2 Mrd. pro Jahr sind eine anständige Hausnummer für die am Ende doch überschaubare Anzahl von Arbeitsplätzen in der Braunkohle (21.000 direkt betroffen, in der Automobilindustrie wird von bis zu 300.000 Arbeitsplätzen ausgegangen, deren Wegfall durch E-Mobilität drohen könnte).
Der Bericht enthält über weite Teile gute Abschnitte zum Strukturwandel – Kommunen, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften konnten sich an vielen Stellen durchsetzen. Die Länder-Projektlisten sind jedoch weitgehend eher als schnell zusammengezimmerte Wunschliste nach dem Motto, „Was wir schon immer haben wollten“ zu betrachten (ohnehin nur Dokumentation als
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Anhang zum Bericht). In der Überarbeitung wird der Bezug zum Strukturwandel in vielen Fällen erst noch herzustellen sein. Leider fehlt im Text ein Verteilungsschlüssel für die Strukturmittel entsprechend der unterschiedlichen Betroffenheit der Regionen genauso wie ein Vorschlag für eine Quote, die zivilgesellschaftlichen Projekten zur Verfügung stünde (war in der Debatte). Laut Presse, die sich auf den Brandenburger Wirtschaftsminister Steinbach bezieht, gibt es aber dennoch eine mit den MPs abgesprochene Lausitz-Quote. 45 Prozent der Bundesmittel seien für die Lausitz vorgesehen.
Eine „Beschäftigungsgarantie“ bzw. eine „Einkommensgarantie“ im Sinne unseres Fraktionsbeschlusses finden sich dem Buchstaben nach nicht im Papier. Die vorgeschlagenen Kriterien und Instrumente - insbesondere innerhalb des Konzepts der Kommission einer „verbindlichen Sicherheitszusage“ - kommen dem aber sehr nahe. Ob sie auch wirken werden, hängt selbstverständlich von ihrer tatsächlichen gesetzlichen und tariflichen Ausgestaltung sowie finanzieller Unterlegung im Bundeshaushalt ab. Auf jeden Fall ließe sich eine Einschätzung, die Kommission habe an dieser Stelle versagt, nur schwerlich rechtfertigen.
STROMPREISE FÜR PRIVATE
Die Kommission rechnet infolge des Kohle-Ausstiegs mit steigenden Preisen. "Es ist ein Ausgleich zu schaffen, der Unternehmen und private Haushalte vom Strompreisanstieg entlastet, der durch die politisch beschleunigte Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung entsteht." Gerechnet wird mit einem Strompreiseffekt von 0,4 Cent/kWh. Gedacht ist hier an eine Reduzierung der Netzentgelte. Ferner soll die Stromsteuer abgeschafft werden, was auch der Sektorkopplung nutzen würde.
Bewertung
Der Strompreiseffekt des beschleunigten Kohleausstiegs von 0,4 Cent/kWh würde bei einem Musterhaushalt (4 Personen mit 5.000 kWh/a) insgesamt eine Mehrbelastung von 20 Euro ausmachen – im Jahr. Dies ist also kein wirklicher Knackpunkt. Selbstredend ist eine Kompensation begrüßenswert, ebenso die vorgeschlagene Abschaffung der Stromsteuer, welche die LINKE schon lange fordert. Bemerkenswerter sind Strompreiseffekte des jüngst reformierten EU-Emissionshandelssystem. Die Großhandelspreise haben infolge im letzten Jahr um rund 2 Cent angezogen. Netto kommt aber etwa nur die Hälfte beim Endkunden an, weil sich die EEG-Umlage dadurch teilweise verringert.
STROMPREISE FÜR INDUSTRIE
Die Kommission will die energieintensive Industrie zusätzlich und dauerhaft von Kosten entlasten, die durch CO2-Verschmutzungsrechte entstehen (in der Vergangenheit bis zu 300 Mio./Jahr, Summe dürfte künftig ansteigen). Zusätzlich soll auch die Industrie von sinkenden Netzentgelten und abgeschaffter Stromsteuer profitieren.
Bewertung
Hier konnte sich die Industrie durchsetzen. Da die zusätzlichen Kosten diesmal nicht direkt auf die Verbraucher*innen umverteilt werden sollen, werden sie im Bundeshaushalt landen (was auch so formuliert ist). Hier sollten wir kritisieren, dass die Industrie ohnehin in einem nicht sachgerechten Maße bei Umlagen und Abgaben privilegiert ist, und diese Politik nun verstetigt werden soll. Die Abschaffung der Stromsteuer sollten wir nicht explizit kritisieren, denn die haben auch wir immer generell gefordert (haben da nicht unterschieden in Industrie und Privathaushalte).
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ENTSCHÄDIGUNGEN FÜR KRAFTWERKSBETREIBER
Die Kommission empfiehlt zum einen vertragliche Regelungen mit den Kraftwerksbetreibern und Entschädigungen bei Stilllegungen. Hier werden Entschädigungszahlungen nach dem Vorbild der Sicherheitsreserve empfohlen (in jeweils vier Jahren rund 600 Millionen Euro pro Gigawatt Leistung). Zum anderen sollte auch das neu zu schaffende Instrument einer Ausschreibunge von Stilllegungsprämien genutzt werden können. Der Text ist hier etwas unklar formuliert, ob die Kommission tatsächlich ersteres für Braunkohlekraftwerke und letzteres für Steinkohlekraftwerke empfiehlt, wie in der Presse dargestellt. Zumindest für den Zeitraum 2019-2022 wird hier nicht unterschieden. Bei Kraftwerken, die älter als 25 Jahre sind, soll, je älter ein Braunkohle-Kraftwerk ist, desto weniger Entschädigung gezahlt werden. Dennoch (obwohl solch alte Meiler eigentlich abgeschrieben sind, U.W.) sollen die Entschädigungen "angemessen" sein.
Sollte es bis Juli 2020 zu keiner vertraglichen Einigung mit den Betreibern kommen, soll der Ausstieg über das Ordnungsrecht verfügt werden. Auch hier werden vom Bund Kompensationen nahegelegt, die sich dann aber nur am „im Rahmen der rechtlichen Erfordernisse“ orientieren sollen.
Mit den Entschädigungen sollen auch etwaige Mehraufwendungen abgegolten werden, die Betreiber bei der Widerherstellung infolge des beschleunigten Kohleausstiegs haben.
Bewertung
Der Kommissionsbericht empfiehlt Entschädigungszahlungen bzw. Stilllegungsprämien an Betreiber selbst für Anlagen, die älter als 25 Jahre sind. Demgegenüber haben mehrere Rechtsgutachten festgestellt, dass der Ausstieg aus der Kohleverstromung angesichts des Alters des Anlagenparks und des voraussichtlich schrittweisen Ausstiegs in der Regel entschädigungsfrei erfolgen kann. So das Rechtsgutachten „Ein Kohleausstieg nach dem Vorbild des Atomausstiegs?“ im Auftrag von Agora Energiewende, welches feststellt, dass Kohlekraftwerke, die älter als 25 Jahre sind, vom Gesetzgeber entschädigungsfrei stillgelegt werden könnten, sofern eine Übergangsfrist von mindestens einem Jahr gewährt werde. Das Rechtsgutachten „Klimaschutz und die rechtliche Zulässigkeit der Stilllegung von Braun- und Steinkohlekraftwerken“ im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.
Wenn also bei Wahrung kurzer Übergangsfristen kein grundsätzlicher Entschädigungsanspruch für Kraftwerksbetreiber besteht und zudem die Mehrzahl der Anlagen eine Betriebszeit von 25 Jahren aufweist oder diese Grenze bis zu ihrer Abschaltung erreicht wird, so sind die empfohlenen pauschalen Entschädigungen gänzlich unverständlich. Sie setzen vielmehr ein verheerendes Zeichen an andere Branchen, leistungslos ebenfalls die Hände aufzuhalten, sofern sie vor einem Strukturwandel stehen, der aus Gründen von Klimaschutz oder Gesundheit zwingend erforderlich ist. Vergleichbar dürfte die negative Vorbildwirkung für das Ausland sein, insbesondere für Staaten, die sich solch großzügige Zahlungen kaum leisten können. Transferzahlungen sollten grundsätzlich vielmehr dazu dienen, den Strukturwandel für Beschäftigte und Regionen zu unterstützen und sozial abzusichern.
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SICHERSTELLUNG DER WIEDERHERSTELLUNG (RÜCKSTELLUNGSPROBLEMATIK)
Der Bericht stellt fest, grundsätzlich gelte im Bergbau bei der Wiederherstellung (Rekultivierung, sonstige Nachsorge) das Verursacherprinzip. Die bilanziellen Rückstellungen wiesen bei einer vorzeitigen Betriebsstilllegung ein Defizit zwischen den zu einem nominal bestimmten Zeitpunkt zur Rekultivierung erforderlichen Finanzmitteln und dem tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt verfügbaren Barwert aus. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob bei einer vorfristigen Beendigung bzw. Stilllegung eines Tagebaus eine vollständige Erfüllung der Verpflichtungen des Bergbautreibenden zur Wiedernutzbarmachung durch (monetäre) Bereitstellung der bis zu diesem Zeitpunkt gebildeten Rückstellungen gewährleistet werden kann. An anderer Stelle wird angeführt, dass eine beschleunigte Beendigung der Kohleverstromung zu Zusatzkosten für die Betreiber führen kann. Wenn Tagebaue deutlich verkleinert würden, sei es nicht gesichert, dass die bisherigen Rückstellungen ausreichten, um die Wiedernutzbarmachung vollständig zu finanzieren. Außerdem fielen die Kosten zeitlich früher an, würden also in einem geringeren Umfang abgezinst, auch müssten die notwendigen Mittel gegebenenfalls über kürzere Zeiträume angesammelt werden.
Die Kommission schlägt vor, die Betreiber zu verpflichten, über die derzeitigen Jahresabschlüsse hinaus Transparenz zu schaffen, inwieweit die künftigen Zahlungen (gemeint sind sicher Finanzierungsverpflichtungen U.W.) für Wiedernutzbarmachung und Stilllegung nicht nur gedeckt, sondern zum benötigten Zeitpunkt liquide vorliegen. Darüber hinaus sollte eine staatliche Behörde ein Auskunftsrecht erhalten. Die Kommission unterstreicht, dass die Folgekosten des Kohleabbaus nach dem Bundesberggesetz der Unternehmer tragen muss. Wenn Entschädigungen oder Stilllegungsprämien gezahlt würden, müssten die Eigner der Braunkohleunternehmen diese Zahlungen verwenden, um die Folgekosten abzudecken. Um dies zu erreichen, sollten die Länder bei der Zulassung von neuen Betriebsplänen nach Bundesberggesetz die Möglichkeit von insolvenzfesten Sicherheitsleistungen ausschöpfen.
Bewertung
Im Kommissionsbericht wird die drohende Finanzierungslücke beschrieben, die sich durch die Entwertung von Rückstellungen ergibt, welche bei einem beschleunigten Kohleausstieg zu erwarten ist. Nicht betrachtet wurde dagegen der Fall vorzeitiger (vielleicht sogar angestrebter) Insolvenzen auf die Finanzierung der Nachsorge. Dies könnte aber insbesondere bei der LEAG kein unrealistisches Szenario sein.
Zu begrüßen ist die klare Haltung, dass die Betreiber nach BbergG für die Widerherstellung vollständig aufkommen müssen. Entsprechend zu begrüßen ist auch die Forderung nach insolvenzfesten Sicherheitsleistungen. Sachsen und Brandenburg streben derzeit aber Zweckgesellschaften bei den Betreibern an, bei denen zumindest umstritten ist, ob sie insolvenzfest sind.
Dennoch richtet sich die Kommission auf eine zumindest indirekte Mitfinanzierung der Nachsorge ein: Werden Entschädigungen oder Stilllegungsprämien gezahlt, sollen die Eigner der Braunkohleunternehmen diese Zahlungen verwenden, um die Folgekosten abzudecken. Fraglich ist, ob die Betreiber das auch so sehen werden, wenn sie die Gelder erst einmal in der Tasche haben. So könnte die LEAG das Geld auch einsacken und die Firma dennoch Mitte der 20er Jahre dicht machen.
VERSORGUNGSSICHERHEIT
Um weiterhin Blackouts sicher auszuschließen, soll die Sicherheit der Stromversorgung genauer beobachtet werden (Monitoring). Zudem soll die Genehmigung von umweltfreundlicheren Gaskraftwerken beschleunigt werden, die auch an den alten Kraftwerksstandorten stehen könnten. Hierfür werden Investitionsanreize gefordert. Langzeitspeicher für Strom (etwa Power to Gas - PtG)
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sollen über „Reallabore“ in Forschung und Entwicklung gefördert werden, damit sie dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus, die jährliche Zubaumenge an Ökostrom „im Einklang mit dem 65-Prozent-Ziel bis 2030“ anzupassen.
Bewertung
Grundsätzlich begrüßenswert. Investitionsanreize für neue Gaskraftwerke sind notwendig, da diese nur wenige hundert Stunden im Jahr laufen werden, und es fragwürdig ist, ob sich unter diesen Bedingungen (hoffen auf extrem hohe Strommarktpreise in diesen wenigen Stunden) Investoren dafür finden. Ob Investitionszulagen das leisten können, bleibt abzuwarten. Die gezielte statte Gießkannen-Förderung von PtG und Co ist ebenfalls zu begrüßen, genauso ausgeweitetes Monitoring.
Sehr gut, dass die Kommission fordert, die gegenwärtig gedeckelten und zu geringen Ausschreibungsmengen für neue Ökostromanlagen entsprechend des 65-%-Ziels anzuheben.
STOFFLICHE NUTZUNG DER BRAUNKOHLE
Der Kommissionsbericht empfiehlt an mehreren Stellen die stoffliche Nutzung (d.h. die chemische Verwertung) von Braunkohle. Statt Braunkohle zu verbrennen, sollen aus ihr wieder Brenn- und Treibstoffe sowie Chemikalien hergestellt werden, so wie es in der Vergangenheit schon einmal geschah. Die stoffliche Nutzung geschieht heute hierzulande nur in geringem Maße wie Produkte für Spezialanwendungen zur Herstellung von Montanwachs oder Aktivkohle.
Bewertung
Die Herstellung von Chemieprodukten aus Braunkohle jenseits von Spezialanwendungen, wie es der Kommissionsbericht nahelegt, ist eine Option, die mit Blick auf Klimaschutz und Effizienz eine Sackgasse darstellt. So lassen sich aufgrund der chemischen Zusammensetzung aus einer Tonne Braunkohle viel weniger Chemieprodukte – wie Kraft- und Brennstoffe oder Kunststoffe - herstellen, als aus einer Tonne Erdgas oder Erdöl. Deshalb ist der Ausstoß des Treibhausgases CO2 entsprechend größer, denn aus einer Tonne Braunkohle wird immer dieselbe Menge CO2 gebildet, egal ob man sie verbrennt oder vergast und daraus Produkte herstellt.
Zudem kann eine CO2-Neutralität der hergestellten Produkte ausgeschlossen werden, denn ihr chemisches Kohlenstoff-Gerüst besteht weiter aus dem der Braunkohle. Wird Braunkohle direkt verbrannt, so wird sie vollständig in CO2 (und Asche) umgewandelt. Wird sie vergast, so wird zwar zunächst eine geringere Menge an CO2 freigesetzt, der Rest entsteht aber später aus den hergestellten Produkten am Ende ihres Lebensweges. Das passiert bei Brenn- und Treibstoffen unmittelbar bei der Verbrennung, bei Kunststoffen und anderen Chemikalien, wenn sie nicht mehr gebraucht und entsorgt werden, z. B. in einer Müllverbrennungsanlage.
Es sollte vielmehr damit begonnen werden, Grundstoffe oder daraus aufbauend erzeugte Chemieprodukten vorrangig aus Kohlendioxid herzustellen, das prozessbedingt zwangsläufig anfällt und nicht vermieden, sondern auch in Zukunft nur vermindert werden kann. Beispiele für solche Anlagen sind Biogasanlagen, Klärwerke, Brauereien, Kalkbrennereien, Ziegeleien und Zementwerke. Für eine nachhaltige organische Chemie können auch Reststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen und Abfälle eingesetzt werden, die sich anderweitig nicht sinnvoll verwerten lassen, perspektivisch auch CO2 aus der Atmosphäre.
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Tabelle: Übersicht nach Annahmen des Deutschen Naturschutzringes (DNR) zur Finanzierung Kohleausstiegs
Maßnahme Grundlage für Berechnung Summe
Strukturhilfen für Kohleregionen
2 Mrd. Euro über 20 Jahre
40 Mrd. Anpassungsgeld für Beschäftigte Berechnungen der Industriegewerkschaft IG BCE 7 Mrd.
Kompensationen für höheren Strompreis für energieintensive Industrien
Preisanstieg von 0,4 Cent, Nachfrage von 500 Terawattstunden, Berechnung bis 2030
20 Mrd. Entschädigungen für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken 0,6 Milliarden pro Jahr bis 2030 6 Mrd.
Zusätzliche Mittel für Umstellung der Kraft-Wärme-Kopplung
100 Millionen pro Jahr
1 Mrd. Gesamt
74 Mrd. Quelle: DNR, eigene Berechnungen auf Basis Endbericht KWSB
Ursprungstabelle entnommen aus Spiegel-Online, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kohleausstieg-diese-milliardeninvestitionen-fallen-an-a-1249723.html
Zahl für Strukturhilfen für Kohleregionen (Zeile 1) angepasst an Endbericht KWSB von 18 auf 40 Mrd., daraus folgernd Gesamtsumme angepasst von 52 Mrd. auf 74 Mrd.

 

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