22. Februar 2019   Themen

Alarmstufe Rot: Ist der Fehmarnbelt unser nächster Hambacher Forst?

Von Hagen Scheffler

Was machen Sie so freitags? Arbeiten? Shoppen? Freunde treffen? Schüler gehen demonstrieren, jedenfalls diejenigen, die den Weckruf der 16jährigen schwedischen Schülerin Greta Thunberg vernommen haben: „Fridays For Future“. Die jungen Leute engagieren sich, so wie Tausende vor kurzem in Berlin, für den Klimawandel und fordern die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf, nicht nur endlos zu reden, sondern die Probleme von der „langen Bank“ zu holen und konkret zu lösen. „Ich will, dass ihr handelt!“ fordert die schwedische Klimaaktivistin. Denn welchen Sinn habe es, in der Schule für eine Zukunft zu lernen, wenn diese Zukunft schon bald nicht mehr existiert.

Die größten Problemfelder sind schon lange bekannt wie z. B.: Brandrodungen des Regenwaldes, Verschmutzung der Atmosphäre und Meere durch Schadstoffe von Verbrennungsmotoren der Autos, Flugzeuge und Schiffe, Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen, Verseuchung von Land und Wasser durch diverse Schadstoffe, insbesondere durch Düngemittel und (Mikro-)Plastik, wie jüngst der unvorstellbare Verschmutzungsskandal der Schlei... Die Liste der Schadstoffe und Umweltsünden, die derzeit unseren „Blauen Planeten“ belasten, ist groß.

Die Folgen für Umwelt und Klima sind weltweit bekannt und schon dramatisch erfahrbar, werden aber auch geleugnet. Die Reaktionen vonseiten der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zum Schutz der Rettung von Natur, Umwelt und Klima sind global sehr unterschiedlich, wenig miteinander abgestimmt und so nicht wirkungsvoll genug. Nach dem Vorbild der „Klima-Ikone“ Greta demonstrieren deshalb umwelt- und klimabewusste Schülerinnen und Schüler für die Chance auf eine lebenswerte Zukunft, versuchen im „Jahr der Politischen Bildung“ (in Schleswig-Holstein) praktische Lösungen zu erwirken und fordern ein konsequentes „Tu es“, wie es als Maxime am Eingang zum Katharineum steht.

Die UN-Klimakonferenz von Paris vom 12. Dezember 2015 endete mit dem bahnbrechenden Übereinkommen aller Teilnehmer, die globale Erwärmung auf 2° C zu drücken, möglichst sogar unter 1,5° C. Dazu müssten die Treibhausgas-Emissionen weltweit zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückgehen.

Auch bei einer sehr konsequenten und sehr aktiven Klimaschutzpolitik rechnen die wenigsten damit, dass dieses ehrgeizige Ziel ohne zusätzliche Maßnahmen erreicht werden wird, auch nicht von Deutschland. Auf die Frage, was jeder einzelne zum Schutz des Klimas durch persönlichen Verzicht auf manche lieb gewordene Lebensgewohnheit beitragen könnte, kommen von anderer Seite Vorbehalte, wieviel Klimaschutz denn wirtschaftlich, finanziell und sozial für eine Gesellschaft tatsächlich verträglich sei.

Die zähen Verhandlungen der Kohle-Kommission über die Bedingungen für den Ausstieg aus der Kohle haben deutlich gemacht, wie schwierig ein solcher gesellschaftlicher Kompromiss zu erreichen ist.

Der Abschied von der Kohle wird den hiesigen Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren helfen, aber klimapolitisch reicht dies nicht für die Einhaltung der Klimaschutz-Ziele. Was also könnte man zusätzlich tun zusätzlich?

Im Spätsommer letzten Jahres geriet der Hambacher Forst, jedenfalls der Restbestand, der von ihm noch übrig ist, in die Schlagzeilen und wurde zum Symbol des Widerstands der Umwelt- und Klimaschützer im rheinischen Braunkohlerevier.

Das war so etwas wie der Einstieg in den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger (bis auf Gas). Die letzte Steinkohlezeche wurde inzwischen in Nordrhein-Westfalen geschlossen. Der Atomausstieg ist für 2022 vorgesehen. Die Braunkohle-Verstromung soll jetzt nach Beschluss der Kohle-Kommission schrittweise bis 2038 enden. Damit setzt Deutschland ab 2022 zunehmend und fast ausschließlich auf Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien. Dennoch bleibt fraglich, ob Deutschland damit bis 2030 die nationalen wie internationalen Klimaschutzziele erreicht.

Alarmstufe Rot für die Ostsee!

Was könnten wir, die Erwachsenenwelt, unterstützend für die berechtigten Forderungen unserer Nachfolgegenerationen tun im Land zwischen den Meeren?

Einen Hambacher Forst haben wir nicht. Doch wir haben die Meere, für deren Sauberkeit höchste Priorität gilt. Das transnationale Wattenmeer ist mit seiner einzigartigen Biodiversität zwischen 2009 und 2014 in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen worden und steht damit unter Schutz.

Und die Ostsee? Um den Schutz und Erhalt dieses kleinsten Brackwassermeeres ist es schlecht bestellt.

Dr. Sonja Overbeckmann vom Leibnitz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde hat beim „Küstenschnack“ der Ostsee-Zeitung am 2. August 2018 die „Alarmstufe Rot“ für die Ostsee ausgegeben, und zwar allein wegen des alljährlich tonnenschweren Mikroplastik-Eintrags aus Kläranlagen.

Es geht dabei um Plastikfasern aus Synthetik-Bekleidung und um Plastikmikropartikel aus der Kosmetikindustrie (z.B. in Zahnpasta und Peelings). Sie enthalten Giftstoffe, die über Fische und Muscheln in die Nahrungskette gelangen und damit auch die Gesundheit von Menschen gefährden können. Welches Ausmaß dieses Giftpotential inzwischen besitzt und welche Belastung dadurch für den Lebensraum der Ostsee entsteht, ist bisher noch zu wenig erforscht.

Das europäische Fast-Binnenmeer ist nicht erst in den letzten Jahrzehnten, sondern in den letzten 100 Jahren zu einem schwer angeschlagenen Patienten geworden.

In der Ostsee wurden nach den Weltkriegen Tausende von Tonnen von Munition versenkt, darunter chemische Kampfmittel mit Senfgas, Phosphor- und Arsenverbindungen, möglicherweise auch atomarer Müll. Hier tickt eine Zeitbombe, deren tödlicher Inhalt vor allem beim massenhaft gleichzeitigen Durchrosten oder bei Beschädigung der Munition durch Unterwasserarbeiten freigesetzt werden könnte, z. B. bei Verlegung von Röhren (North Stream-Gasleitungen), bei Fundamentgründungen von Windparks oder bei Kabelverlegungen. Dass die Ostsee inzwischen als einer der dreckigsten Orte zählt, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Scheint nicht das klare Wasser das pure Gegenteil nahezulegen? Doch was wirklich zählt, ist das Unsichtbare, aber Nachweisbare.

Das sind vor allem die Nährstoff-Einträge aus der Landwirtschaft nach der alljährlichen Düngung. Über Flüsse gelangt immer noch ein hoher Anteil an Phosphor- und Stickstoff-Verbindungen ins Ostseewasser.

Der 2010 von den Ostseeanrainer-Staaten und der EU-Kommission beschlossene Plan, bis 2021 die Ostsee vor den Folgen der Überdüngung zu retten und damit für einen guten ökologischen Zustand zu sorgen, zeigt bisher nicht den gewünschten Erfolg. Die Folgen der Eutrophierung sind Licht- und Sauerstoffmangel am Boden der Ostsee, Fäulnisprozesse und Fischsterben in den inzwischen riesig angewachsenen „Todeszonen“, in denen kein organisches Leben am Grund des Meeres mehr möglich ist. Sie bedecken inzwischen etwa 20% der Böden der Kern-Ostsee.

Der Fehmarnbelt und die Beltretter

Die Beltretter sind eine Bewegung gegen den Bau der geplanten festen Fehmarnbelt-Querung. Sie kämpfen gegen den geplanten 18 Kilometer langen Ostsee-Tunnel und für den Erhalt des Ökosystems der Ostsee. Der Bewegung gehören Bürgerinitiativen, Gemeinden, Verbände, Parteien und Organisationen an, deren erklärtes Ziel die Bewahrung ihrer angestammten Heimat ist und die den ökonomischen Nutzen einer festen Querung angesichts eines funktionierenden umweltfreundlichen Fährverkehrs bezweifeln. In einer Ad-hoc-Aktion haben sich Beltretter Ende des Jahres 2018 symbolisch „an die Ostsee gekettet“. Karin Neumann, Sprecherin der Beltretter: „Hier gibts keine Bäume wie im Hambacher Forst“, aber „zum Glück noch Natur“, die man vor den ökologischen Auswirkungen eines gigantischen Absenktunnels retten will. Denn durch das Ausbaggern eines 16 Meter tiefen, 60 Meter breiten und etwa 18 Kilometer langen Grabens zwischen Lolland und Fehmarn für die Aufnahme der Tunnelelemente wird, so die Überzeugung der Tunnelgegner, eine jahrelange und nachhaltige Verschmutzung des Fehmarnbelts und auch darüber hinaus befürchtet, die Flora, Fauna und die Biodiversität zerstört und als Folge das Urlaubs- und Erholungsland, den vorherrschenden Tourismus und die Arbeitsplätze in der Region gefährdet. Die betroffene Region wird nicht nur Transitland mit allen Folgen, sondern steht vor grundlegenden Strukturveränderungen, die von den hier wohnenden Menschen überwiegend mit Sorge und Ablehnung betrachtet werden. Unverständlich ist auch für alle Beltretter der Tatbestand, dass der geplante Tunnel ein Gebiet mit dem höchsten Schutzstatus nach den europäischen Flora-Habitat-Richtlinien durchschneiden wird. Des Weiteren: Allein der Bau eines solchen Tunnels wird Treibhausgas-Emissionen von über 2 Millionen Tonnen CO2 freisetzen. Außerdem dürfte der Tunnel in der Hauptsache für den Straßen- und nicht für den Schienenverkehr genutzt werden und damit den Zielen der EU-Klimapolitik entgegenstehen.

Eine zusätzliche Maßnahme zur Erreichung der globalen Klimaschutzziele

Visionäres Planspiel: So wie der Hambacher Forst in letzter Minute gerettet worden ist, könnte in einem großen und respektablen Umdenkprozess auch von Dänemark und Deutschland das Tunnelprojekt zum Schutz von Natur und Klima aufgegeben und damit die Fehmarnbelt-Region vor einer möglichen Alarmstufe „Dunkelrot“ bewahrt werden. Wenn man in der Politik die Interessen und Vorbehalte der heimischen Bevölkerung ernst genommen hätte, dann wäre das ein konkreter, ein zugleich Aufsehen erregender wie beispielgebender Schritt hin zur besseren Erreichung unserer notwendigen Klimaschutzziele. Die TEN-Strecke verliefe dann weiter über das leistungsfähige und emissionsarme Fährsystem, und die eingesparten ca. 7,4 Mrd. Euro könnten für weitere effektive Maßnahmen zum Schutze unseres „Blauen Planeten“ eingesetzt werden. Dafür sind bzw. werden auch andere milliardenschwere Prestigeobjekte aufgegeben.


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