09. Dezember 2022   Themen

Die Klimakrise und die globale Verantwortung Deutschlands

Quelle: Grundrechte-Report 2021, Seite 217 ff

Jede:r hat das Recht auf Leben, von Myriam von Fromberg

Der menschengemachte  Klimawandel beschäftigt weltweit die Politik - und inzwischen auch die Gerichte. Allein das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erreichten bis Anfang 2020 vier Verfassungsbeschwerden von Menschen aus Deutschland, Bangladesch und Nepal. Sie richtensich gegen die unzureichende Reduzierung der nationalen Treibhausgasemissionen. Ihre Forderungen werden von einem breiten Konsens der Klimaforschung getragen und scheinen auch nach der Rechtsprechung des BVerfG folgerichtig.

Grundrecht auf Klimaschutz?

Das Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG verpflichtet den deutschen Staat nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG, die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit vor Beeinträchtigungen durch Dritte oder Naturkatastrophen zu schützen. Nach dem sogenannten Vorsorgeprinzip ist der Staaat dafür nicht nur zur Abwehr akuter Gefährdungen verpflichtet - wie zum Beispiel im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Er muss darüber hinaus auch möglichen Schäden in der Zuunft vorbeugen. Bei Schäden katastrophalen Ausmaßes genügt nach dem BVerf-G bereits die nachvollziehbare Möglichkeit eines Schadenseintritts, um staatlich Schutzpflichten auszulösen (Beschluss vom 18.02.2010, 2 BvR 2502/08).

Der menschengemachte Klimawandel stellt bei realistischer Betrachtung ein solche katastrophale Bedrohun dar. Es werden schon heute j#hrlich mindestens 150.000 vorzeitige Todesfälle auf den Klimawandel zurückgeführt. Eine Erderwärmung um nur 2° Celsius würde bis zu 400 Millionen weitere Menschen einem Hungerrisiko aussetzen. Unvorstellbare 2 Milliarden Menschen könnten keinen angemessenen Zugang zu Wasser haben.

 

Dazu kommt das Risiko, dass jederzeit bestimmte Kipppunkte (Tipping-Points) im Erdsystem erreicht werden könnten. Einmal erreucgte Jipppunkte könnnten in einer unwiderruflichen Kettenreaktion zu einer Treibhaus-Erde führen und letztlich die Bewohbarkeit des Planeten als Ganzes bedrohen.

Die Betroffenen im In- und Ausland

Für die überwiegend sehr jungen BeschwerdeführerInnen aus Deutschland, die vor dem BVerfG verhindern wollen, dass derartige Szenarien Wirklichkeit werden, scheint nahezu sicheer, dass sie im Laufe ihres Lebens auf verschiedene Arten, etwa durch Hitzewellen, gesundheitlich unter den Folgen des Klimawandels leiden werden.

Offen scheint nach der bisherigen Rehtprechung des BVerfG hingegen, inwiefern sich auch Menschen aus dem Ausland auf grundrechtliche Schutzfpflichten Deutschlands berufen können. Dafür sprechen im Rahmen der Klimakrise gewichtige Erwägrunden: Die in Deutschland produzierten Emissionen tragen weit überproportional zum weltweiten Klimawandel bei. Deutschland ist unte den Staaen der aktuell sechstgrößte, historisch gesehen der viertgrößte Emittent. Die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen sind hierzulande noch heute ungefähr doppelt so hoch wie im internationalen Durchschnitt.

Dennoch leiden als Erste und am stärksten Menschen in anderen Teilen der Welt unter den Folgen des Klimawandels - vor allem in Staaten, die nur einen proportional geringen Anteil an den weltweiten Emissione n dem damit verbundenen Reichtum haben.

Eine verfassungsgerichtliche Entscheidung zur Klimakrise und speziell zu den Ansprüchen Betroiffener aus dem Ausland konnte vor diesem Hinterrund nicht nur Fragen der Generationengerechtigkeit, sondern auch der globalen Gerechtigkeit  prägen.

Eingeschränkter staatlicher Gestaltungsspielraum

Die Verfassungsbeschwerden zielen dabei  nicht auf eine verfassungsgerichtliche Verpflichtung zu bestimmten Klimaschutzmaßnahmen. Es geht den Beschwerdeführern allein um die Festlegung von gewissen Mindest-Ermissionsminderungszielen in Deutschland. Auswahl und Umsetzung der konkreten Einsparungsmaßnahmen bleiben Aufgabe von Gesetzgeber und Bundesregierung.

Dem deutschen Staat kommt zwar ein großer, aber kein unbeschränkter Gestaltungsspielraum zu, wie er seine grundrechtlichen Schutzpflichten erfüllt. Im Rahmen der Klimakrise spricht viel dafür, dass der staatliche Gestaltungsspielraum erheblich beschränkt ist.

Umfangreiche Emissionseinsparungen sind zum effektiven Grundrechtsschutz unerlässlich und sollten daher als verfassungsrechtliche Verpflichtung betrachtet werden. Nur durch die grundrechtliche Verpflichtung zu erheblichen Emissionseinsparungen heute bleiben in der Zukunft demokratische Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkkeiten erhalten.

Dafür, so vertreten es einige BeschwerdführerInnen vor dem BVerfG, muss der Gesetzgeber zumindest gewissen Rationalitätsanforderungen erfüllen: Die Wahl und Ausgestaltung des staatlichen Schutzkonzeptes müssen sich auf verlässliche Prognosen stützen.

Um die Erderwärmung mit einige Wahrscheinlichkeit au maximal 1,5° C zu beschränken, dürfen nach dem letzten Bericht des Weltklimarats (IPCC) ab 2018 global noch maximal 420 Gigatonnen CO2-Emissionen produziert werden. Auch wenn die genaue Bestimmung des verbleibenden CO2-Budgets gewissen Unsicherheiten unterliegt, ist esdoch der wissenschatlich beste Annäherungswert und muß daher für die Klimapolitik maßgeblich sein.

Die Identifizierung des nationalen Anteils am verbleibenden globalen CO2-Budget scheint nur auf den ersten Blick offen. Wegen der grundrechtlichen Verpflichtung zu "geeigneten Schutzmaßnahmen" kann Deutschland jedenfalls nicht mehr als den Anteil nach Bevölkerungszahl beanspruchen. Ein höherer Anteil wäre international  nicht nachvollziehbar und damit völlig ungeeignet, die Einhaltung des global verbleibenden CO2-Budgets zu fördern. Deutschland ist schon auafgrund seiner historischen Emission zu besonders hohen Emissionseinsparungen verpflichtet. Dafür sprechen auch die großen wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten hierzulande.

Bisherige Klimaschutzziele sind  unzureichend

Das danach für Dezutschland ab 2020 maximal verbleibende CO2-Budget  zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels (ca. 3,465 Gigatonnen) wäre im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) spätestens 2025 erschöpft. Die bisherigen Klimaschutzziele sind somit verfassungsrechtlich unzureichend. Sie genügen der grundrechtlichen Schutzverpflichtung nicht.

Die Bundesregierung kann sich demgegenüber auch nicht darauf berufen, mit internationalen kompensatorischen Vereinbarungen zur Emissionsminderung baeizutragen. Es ist heute - fas 30 Jahre nach Verabschiedung der Klimarhmenkovention der Vereinten Nationen (UNFCCC) - ausgeschlossen, dass die erforderlichen sofortigen Einsparungen auf diesem Weg erreicht werden können.

Trotz der weltweit immer stärker werdenden Klimaproteste haben sich nur wenige Staaten zu Emissionseinsparungen bewegen lassen, die eine Einhaltung des verbleibenden CO2-Budgets überhaupt noch möglich erscheinen lassen.

Entsprechende deutsche Maßnahmen könnten aufgrund der besonderen internationalen Bedeutung der Bu desrepublik globale Vorbildwirkung entfalten. Gutachten, wie etwa die RESCUE-Studie des Umweltbundesamtes, zeigen immer wieder, dass und wie deutslich ambitionierte Emissionsminderungen in Deutschland umgesetzt werden könnten.

Die Verfassungsbeschwerden wurden Bund und Ländern inzwischen zur Stellungnahme zugestellt - ein erstes Anzeichen dafür, dass auch das BVerfG Erfolgsaussichten für die Klimaklagen sieht.

Literatur: Verfassungsbeschwerde Luisa Neubauer, Yi Yi Prue.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute6
Gestern6
Woche44
Monat195
Insgesamt88108
 

Anmeldung