21. September 2025   Themen

«Die soziale Ungerechtigkeit zu verschärfen, hilft niemandem»

Eva-Maria Kröger, Oberbürgermeisterin der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. Ihre Stadt hat es in einer EU-Studie 2023 in die Top Ten der lebenswertesten Städte Europas geschafft.


Beitrag: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Interview mit der Rostocker Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger zur Krise der Kommunalfinanzen

Die Hans- und Universitätsstadt Rostock ist eine kreisfreie Stadt und mit über 200.000 Einwohner*innen die bevölkerungsreichste Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Die Stadtverwaltung beschäftigt rund 2.600 Mitarbeiter*innen und ist damit einer der größten Arbeitgeber der Region. Rostock wurde 2023 in einer EU-Studie zur Lebensqualität in europäischen Städten unter den Top Ten aufgeführt. 

Eva-Maria Kröger (Die Linke) ist seit 2022 Oberbürgermeisterin der Stadt. Mit ihr sprachen Eva Völpel und Alrun Kaune-Nüßlein von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
 

Eva Völpel: Die Krise der Kommunalfinanzen hat auch Rostock mit voller Wucht erreicht. Das kommunale Defizit ist 2024 auf über 40 Millionen Euro gestiegen, für die nächsten Jahre rechnen Sie mit einem weiter wachsenden Minus. Was sind die Gründe für die Misere?

Eva-Maria Kröger: Die negative Entwicklung der kommunalen Finanzen wird sich in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter fortsetzen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Einerseits ist da die wirtschaftliche Schieflage, die durch Kriege und Krisen in und außerhalb Europas geprägt ist, andererseits sind es die rückläufigen Steuereinnahmen auf Bundes- und Landesebene. Hinzu kommen die Ergebnisse der zurückliegenden Zensuserhebung im Jahr 2022, die zu rückläufigen Landeszuweisungen führen. Für die Stadt Rostock bedeutet dies konkret, dass sie jährlich acht Millionen Euro weniger Geld in der Stadtkasse zur Verfügung hat. Aber allein im Bereich Jugend und Soziales rechnen wir mit steigenden Ausgaben um zusätzliche sechs Millionen. 

Die kommunalen Kassen sind stark belastet.

Wir erwarten in den nächsten Jahren starke Kostensteigerungen, die nur durch die Inanspruchnahme von Krediten gedeckt werden können, obwohl wir gleichzeitig mit einem leichten Anstieg der Gesamteinnahmen rechnen. Zumindest mittelfristig erwarten wir keine Entspannung.

Warum steigen die Kosten für Sozialleistungen, beispielsweise im Bereich Jugendhilfe, so stark an? 

Wir stellen fest, dass die sozialen Problemlagen zunehmen und immer komplexer werden. Der Allgemeine Soziale Dienst, die zentrale Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Eltern, verzeichnet seit Jahren einen Anstieg der Bedarfe an Integrationshilfen für junge Menschen. Die seelischen und sozialen Probleme von Kindern und Jugendlichen spielen zunehmend eine größere Rolle und das nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Hilfen für junge Volljährige werden stärker in Anspruch genommen und wir verzeichnen seit Jahren einen Anstieg bei den Inobhutnahmen und bei Integrationshilfen für junge Menschen. All diese Leistungen werden zum allergrößten Teil aus Steuermitteln finanziert.

Der Bund bestellt, bezahlt aber nicht genug, lautet eine Kritik aus den Kommunen mit Blick auf Sozialleistungen, die rechtlich zwingend in den Gemeinden geleistet werden müssen, die aber vom Bund nicht ausfinanziert werden. Welche Bereiche betrifft das besonders und wieviel müssen Sie zuschießen für Aufgaben, über die allein in Berlin entschieden wird? 

Seit Jahren wird über die generelle Unterfinanzierung der Städte und Gemeinden diskutiert. Hauptgrund für diese finanzielle Schieflage ist die unzureichende Finanzausstattung durch Bund und Land für übertragene Aufgaben. Denn rund 90 Prozent unserer Aufgaben werden uns von Dritten übertragen. Ein Kostentreiber sind beispielsweise steigende Sozialausgaben. Allein durch die unzureichende Erstattung bei Ausgaben für Jugend und Soziales fehlen uns aktuell sechs Millionen Euro im Haushalt. So sind die Kosten für Leistungen nach dem SGB XII (Sozialhilfe) von 2023 auf 2024 um fast zehn Millionen auf 63,3 Millionen Euro gestiegen. Grund hierfür sind unter anderem die erhöhten Regelsätze für Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Leistungen zur Grundsicherung werden komplett vom Bund bezahlt. Die anderen Kosten wurden zu 72 Prozent refinanziert, sodass die Stadt 11,8 Millionen Euro allein aufbringen musste.

Das schränkt unseren politischen Handlungsspielraum enorm ein. Denn wir sind ja auch zuständig für die Schülerbeförderung, für Sportstätten und Bäder, für Bibliothek, Kultur und anderes mehr.

Was müsste sich also finanziell ändern? 

Generell müsste im Bereich der Jugendhilfe (SGB VIII) über eine Refinanzierung nachgedacht werden. Aktuell gibt es keine Kostenerstattungen des Landes oder des Bundes. Lediglich die Aufwendungen für unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) werden zu 100 Prozent erstattet.

Für die Bereiche SGB IX und SGB XII (ausgenommen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) müsste die Erstattungsquote angepasst werden. Während die Landkreise jährlich 82,5 Prozent ihrer Nettoausgaben erstattet bekommen, sind es bei den beiden kreisfreien Städten in Mecklenburg-Vorpommern nur 72 Prozent. Gegen diese Ungleichbehandlung ist ein Gerichtsverfahren anhängig.

Aufwendungen zur Kindertagesförderung werden nach dem entsprechenden Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern aktuell zu 55,22 Prozent vom Land erstattet. Ein erstes Rechtsgutachten hat bereits eine Anfangsfinanzierungslücke bei den Kommunen festgestellt. Jetzt erwarten wir Verbesserungen bei der Refinanzierung nach der Evaluierung durch das Land.

Friedrich Merz will stattdessen Sozialleistungen kürzen, etwa im Bereich Jugend- und Eingliederungshilfen oder bei den Mietkosten von Bürgergeldbezieher*innen. Was halten Sie davon?

Die soziale Ungerechtigkeit zu verschärften, hilft niemandem. Er sollte sich lieber Gedanken machen, wie bestellte Leistungen bezahlt werden, damit die Kommunen handlungsfähig sind.

Wenn das kommunale Defizit wächst, kürzen viele Kommunen bei den freiwilligen Leistungen, etwa bei Schwimmbädern, Jugendclubs, Bibliotheken. Wie gehen Sie in Rostock damit um? 

Die negative Haushaltslage hat mich im Juli dazu gezwungen, eine Haushaltssperre zu verhängen. Auslöser hierfür war die verschlechterte Finanzprognose aufgrund der geringeren Zuweisungen des Landes, die sich aus den Zensusergebnissen von 2022 ergeben haben.

Dennoch ist es natürlich das Ziel von Bürgerschaft und Verwaltung, die im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung vorhandenen Angebote und Leistungen zu erhalten. Schließlich sind es vor allem die freiwilligen Aufgaben, die unsere Stadt Rostock attraktiver machen, sei es im kulturellen oder sportlichen Bereich oder im Hinblick auf das städtische Gesamtbild. Inwieweit dies in den kommenden Haushaltsjahren 2026 und 2027 realisierbar sein wird, hängt unter anderem auch von der Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde im Rahmen des Haushaltsgenehmigungsprozesses ab.

Warum ist es Ihnen so wichtig, an diesen Posten nicht zu kürzen?

Die gesellschaftliche Stimmung ist von Krisen geprägt. Perspektivlosigkeit und Frust haben sich breitgemacht. In dieser Situation wäre es, als würde man Öl ins Feuer gießen, wenn man ausgerechnet dort kürzt, wo Menschen zusammenkommen und ihre Freizeit genießen.

Für den «Investitionsbooster» will die Bundesregierung unter anderem die Unternehmenssteuern senken. Das verursacht allein bei den Kommunen bis 2029 ein Defizit von über 13 Milliarden Euro. Jetzt will der Bund zumindest dieses Defizit komplett ausgleichen. Sind Sie also zufrieden? 

Am 24. Juni 2025 hat das Bundeskabinett den zweiten Regierungsentwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2025 beschlossen mit dem steuerlichen Investitionsprogramm beschlossen. Wir haben natürlich schon mal grob gerechnet, wie sich die Mindereinnahmen auf den Rostocker Haushalt auswirken. 2025 rechnen wir mit rund 50.000 Euro und 2026 mit rund 3,3 Millionen Euro Mindereinnahmen, 2027 sind es dann schon 7,6 Millionen Euro. Die Einigung von Bund und Ländern sieht einen vollständigen Ausgleich der kommunalen Steuerausfälle über einen erhöhten Anteil am Umsatzsteueraufkommen der Städte und Gemeinden vor. Schaue ich mir jetzt die aktuelle Steuerschätzung an, dann zeigt sie über die nächsten Jahre zwar noch moderat steigende Steuereinnahmen. Dennoch sind die Steigerungen der Steuervolumina viel niedriger als die zu erwartenden Kostensteigerungen der Kommunen. Unter Betrachtung der gesamten Steuereinnahmen gehen wir 2026 bereits von einem Minus von 2,2 Millionen Euro aus.

Welche Hoffnungen oder auch Zweifel verbinden Sie mit dem 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen? 100 Milliarden Euro davon sind ja für die Länder vorgesehen, damit müsste ja auch etwas bei den Kommunen ankommen. 

Wir freuen uns über die Hilfen. Wir wissen aber auch, dieses Geld löst unsere Probleme mit Blick auf die weiter steigenden laufenden Ausgaben nicht. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich dazu bekannt, 60 Prozent der Mittel an die kommunale Ebene weiterzuleiten.  Wichtig ist aber, dass neben neuen auch bereits begonnene Maßnahmen finanziert werden können. Nur so kann sichergestellt werden, dass die zusätzliche Finanzspritze auch zeitnah eingesetzt werden kann.

Der Investitionsrückstau der Kommunen ist laut Städte- und Gemeindebund bundesweit auf einen neuen Rekord von 216 Milliarden Euro gestiegen. Im Bereich Straßen, Schulen, Kinderbetreuung, aber auch bei Sportanlagen, der Wasserversorgung oder in der Kultur braucht es Investitionen. In welchen Bereichen Ihrer Stadt schmerzt es Sie besonders, dass Investitionen nicht so vorankommen, wie es nötig wäre? 

Bundesweite zusätzlich Investitionsbedarfe ergeben sich u. a. für Digitalisierung, Zivil- und Katastrophenschutz und die Energiepolitik. Die Stadt steht zwar auch im Investitionsstau, aber im Vergleich zu anderen Städten ist es weniger schlimm. In Rostock mussten einige Sportstätten und ein Museum darunter leiden, das kein Geld da war. Diese Baustellen bestehen nach wie vor. Auch in Sachen Mobilitätswende würde ich gern mehr investieren.

Für die Kommunen gibt es viele relativ neue Herausforderungen, Stichwort Bekämpfung des Klimawandels durch weniger CO2-Ausstoß, aber auch Anpassung an den Klimawandel, etwa zum Schutz der Bevölkerung, siehe allein die letzte Hitzewelle. Welche neuen Aufgaben kommen da auf Sie zu und sind Sie als Stadt dafür finanziell annähernd gewappnet? 

Die Klimaneutralität ist beschlossene Sache – auch in Rostock. Wir arbeiten an einem echten Transformationspfad, mit dem wir alle notwendigen Maßnahmen auf ihre Machbarkeit und Wirkung prüfen. Schon jetzt ist absehbar, dass extrem hohe Investitionen notwendig sein werden, die die Stadt definitiv nicht alleine leisten kann. Wir werden absehbar über Milliardensummen reden. Es ist völlig klar, dass diese Herausforderungen nur mittel- bis langfristig zu bewältigen sind. Zunächst muss es darum gehen, das umzusetzen, was besonders effektiv ist, also den höchsten Nutzen bei geringsten Kosten bringt. Transformation ist nicht nur eine finanzielle Frage, sondern stößt auch hinsichtlich der Personalressourcen für Konzeption, Planung, Kommunikation und Umsetzung an Grenzen.

Angesichts des Defizits und der wachsenden Aufgaben in den Kommunen – wie müssten die Kommunalfinanzen grundsätzlich reformiert werden? 

Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist die Berechnung des kommunalen Finanzausgleichs sehr komplex. Eine Reform ist anspruchsvoll. Schon allein ein Mentalitätswechsel, nach dem bestellte Leistungen auch voll bezahlt werden, wäre hilfreich. Dafür gibt es schließlich das Konnexitätsprinzip. Es muss durchgesetzt und konsequent eingehalten werden. Seit Jahren beobachten wir eine gegenläufige Bewegung bei bestehenden und neuen Pflichtaufgaben von Bund und Land, insbesondere in den Bereichen Jugend und Soziales.

 

 

 

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