Tröglitz: Flüchtlinge nicht erwünscht
Deutschlandfunk
Der Erste Bürger von Tröglitz kann nicht mehr, gibt auf. Weil er sich von Rechtsradikalen bedroht, von Politik und Behörden im Stich gelassen gefühlt. Ein Skandal sondergleichen, der Tröglitz mit einem Schlag ins Rampenlicht zerrt. Doch der Reihe nach.
Ende letzten Jahres erhielt Bürgermeister Nierth die Nachricht, dass seine Gemeinde 50 Flüchtlinge aufnehmen soll. Dem 46-Jährigen war nach eigenem Bekunden von Anfang an nicht wohl bei diesem Gedanken, herrscht in Tröglitz doch ein vergleichsweise hoher Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Wie soll man die Flüchtlinge integrieren, fragte er sich wieder und wieder, ohne eine Antwort zu finden.
Die gaben fortan die NPD und ihre Anhänger: Gar nicht. Ab Januar demonstrierten regelmäßig 150 Menschen, die sich selbst als empörte Bürger sehen, in Tröglitz gegen die Aufnahme der Flüchtlinge. Der Bürgermeister plädierte dafür, den Fremden eine Chance zu geben – vergeblich. Direkt persönlich bedroht wurde er nicht, aber im Internet wurde Nierth für seine Haltung beschimpft und beleidigt. Als jetzt die Wutbürger direkt vor seinem Haus demonstrieren wollten, zog Nierth die Reißleine und trat zurück.
Niederlage für die Demokratie
Das ist natürlich eine Niederlage für die Demokratie und man hätte dem Bürgermeister mehr Standhaftigkeit gewünscht. Vor allem aber hätte man ihm mehr Rückendeckung seitens der Politik und der Behörden gewünscht. So bleibt sein Abgang vor allem eins: menschlich mehr als verständlich.
Um seinen Schritt vollends zu verstehen, muss man wissen, dass Nierth Vater von sieben Kindern ist und sein Bürgermeisteramt ehrenamtlich ausübt – wie so viele Menschen in kleinen ländlichen Gemeinden. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie groß die Belastung durch die regelmäßigen Demonstrationen für die Kinder war. Und plötzlich wollen die Wutbürger auch noch direkt vor seinem Haus stehen. Warum sollte der Mann sich das weiter antun, noch dazu, wo er keinen Cent Lohn für seine Tätigkeit erhält? Soviel Selbstlosigkeit und Idealismus kann die Gesellschaft von niemandem einfordern.
Doch was sagt dieser Rücktritt aus? Wenn wir es nicht schaffen, einen Bürgermeister wie Markus Nierth vor den Wutbürgern dieses Landes zu schützen, dann ist die kommunale Selbstverwaltung im ländlichen Raum in Gefahr. Wem will man künftig noch zumuten, ehrenamtlich die Geschicke von Tröglitz und bundesweit über tausend anderer Gemeinden dieser Größe zu lenken. Die NPD ist sicher gern bereit, die entstehenden Lücken mit Sympathisanten aus den eigenen Reihen zu schließen. Das allerdings wäre der GAU.
Nierth selbst beklagte diese Woche in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" er fühle sich im Stich gelassen. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht von der CDU beeilte sich, sogleich zu erklären, ehrenamtliche Bürgermeister künftig besser schützen zu wollen. Da darf man nun gespannt sein. Es hätte ja schon ausgereicht, wenn das zuständige Landratsamt den Aufmarsch vor dem Privathaus verboten hätte. Oder steht das Demonstrationsrecht über dem Schutz der Privatsphäre? Eine Kundgebung an einem neutralen öffentlichen Ort hätte wohl auch ihren Zweck erfüllt.
Rechter Rand baut mehr Druck auf
Es fällt zunehmend auf, dass Leute vom rechten Rand immer mehr Druck aufbauen, ohne dass sie klar und deutlich in ihre Schranken verwiesen werden. Bei den Pegida-Demonstrationen in Dresden gehörte es lange zum guten Ton, Journalisten zu bedrohen und zu beschimpfen. Im Ruhrgebiet veröffentlichten Neonazis fingierte Todesanzeigen für missliebige Reporter. Politiker und Bürger, die sich für eine Aufnahme und Integration von Flüchtlingen engagieren, werden im Netz auf das Übelste beschimpft und bedroht. Das Ganze erinnert fatal an Umtriebe, die man aus dem Geschichtsunterricht kennt, als die Zeit unmittelbar vor der Machtergreifung der Nazis behandelt wurde.
Der fremdenfeindliche Teil Deutschlands radikalisiert sich zusehends, auch, wenn gewaltsame Übergriffe auf Reporter und Politiker wie jüngst in Dortmund noch selten sind. Dagegen gilt es, sich ebenso zu wehren, wie gegen jede fremdenfeindliche Attacke.
Jeder Einzelne kann Haltung zeigen, wie es Markus Nierth lange getan hat. Politik, Behörden und Justiz sind gefordert, endlich null Toleranz gegen Bedrohung und Einschüchterung jeder Art zu zeigen. Der Fall von Tröglitz muss eine traurige Ausnahme bleiben. Dirk Birgel
Die Flüchtlingspolitik unseres Innenministers gießt Öl auf das Feuer: De Maizière will Abschiebungen "praktikabel" machen
Der Innenminister rechnet mit den höchsten Asylbewerberzahlen seit zwanzig Jahren. Er fordert eine schärfere Abschiebepraxis und stößt damit auf Kritik der Opposition.
Die Zahl der Asylanträge wird in diesem Jahr nach Einschätzung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf den höchsten Stand seit zwanzig Jahren steigen. Der CDU-Politiker sagte der Bild am Sonntag: "Insgesamt rechne ich in diesem Jahr mit rund 200.000 Asylanträgen. Das wären circa 70.000 mehr als im vergangenen Jahr und die höchste Zahl seit Anfang der neunziger Jahre." Seit dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges habe Deutschland 50.000 Flüchtlinge und Asylbewerber aus Syrien aufgenommen. Der Minister regte eine Debatte darüber an, wie viele Flüchtlinge Deutschland als reichstes Land der EU aufnehmen kann. Gleichzeitig plant die Regierung derzeit eine Verschärfung des Asylrechts. Im vergangenen Jahr hätten in Europa knapp 435.000 Personen einen Asylantrag gestellt, davon fast 30 Prozent in Deutschland. "Das ist deutlich mehr als wir aufnehmen müssten, egal welchen Verteilerschlüssel man zugrunde legt", sagte de Maizière.
Der Minister forderte strengere Kontrollen. "Wer politisch nicht verfolgt ist und keines Schutzes bedarf, der kann kein Asylrecht bekommen und muss unser Land wieder verlassen." Dies sei in der Regel bei Menschen aus dem West-Balkan der Fall, sie dürften "das Asylsystem nicht weiter belasten". Konkret bedeute das: "Wir müssen bei denen, die hier unter keinem Gesichtspunkt bleiben dürfen, das Instrument der Abschiebung wieder praktikabel machen."
Der Minister sagte, rund 20 Prozent der Antragsteller in diesem Jahr kämen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina.