17. Juni 2015   Themen

Üble Töne aus Regierungskreisen gegen griechische Politiker

Kommentar: Roswitha Engelke

Im Falle Griechenland geht es nicht nur um Geld sondern auch um Prinzipien. Sollte Syriza auch nur etwas Erfolg haben, könnten in Ländern wie Spanien, Portugal und anderswo Wähler auf die Idee kommen ebenfalls eine Linke Regierung zu wählen. Seit dem Amtsantritt von Tsipras fühlt sich die geldgebende neoliberale Orthodoxie gefordert und schlägt zu, koste es was es wolle

und sei es der Staatsbankrott Griechenlands.

Da wehrte sich der IWF mit Händen und Füßen, den im letzten Vorschlag der griechischen Regierung angebotenen Kürzungen von Militärausgaben in Höhe von 400 Millionen Euro zuzustimmen. Statt dessen werden Renten- und Lohnkürzungen von Syriza erwartet. Eine durchschnittliche griechische Arbeiterrente beträgt ungefähr 700 Euro/Monat. Fixkosten für Strom, Benzin etc. befinden sich ähnlicher Höhe wie in Deutschland ...

Das Nein von Tsipras zu diesen und ähnlichen menschenverachtenden Forderungen, die von den Geldgebern an die griechische Regierung gestellt werden, wird ihm von deutschen Spitzenpolitikern böse angerechnet. Üble Beschimpfungen sollen bisher die Folge gewesen sein.

Mehr:

Quelle: German-Foreigns-Policy-Com., 17.06.2015

Von Irrläufern, Zockern und Bürschchen
17.06.2015
BERLIN/ATHEN
(Eigener Bericht) - Mit immer gröberen Beleidigungen überziehen hochrangige deutsche Politiker vor dem morgigen EU-Finanzministertreffen die Regierung Griechenlands. Ministerpräsident Alexis Tsipras sei "ein freche(s) Bürschchen" und solle sich "hinter die Ohren schreiben", dass die - von Berlin inspirierten - EU-Vorschriften einzuhalten seien, dekretiert der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. Finanzminister Gianis Varoufakis sei "ein politischer Irrläufer ersten Ranges", lässt sich der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, zitieren.

In der Athener Regierung säßen "Spieltheoretiker", die "gerade dabei" seien, "die Zukunft ihres Landes zu verzocken", lässt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verlauten. Aus der SPD-Bundestagsfraktion heißt es, die Regierungspartei Syriza sei ohnehin "antideutsch", weshalb man keine Hoffnungen auf sie setze. Sogenannte Qualitätsmedien nennen die Athener Regierung "eine Truppe von Täuschern und Tricksern" und behaupten: "Das Publikum hat die Nase voll". Syriza ist in Griechenland wegen ihres Widerstands gegen die deutschen Diktate nach wie vor die mit Abstand beliebteste Partei; Experten bestätigen, die Regierung, die Berlin nun im sicheren Gefühl, in der EU die herrschende Macht zu sein, mit Häme und Beschimpfungen überzieht, sei "unbestritten die dominierende politische Kraft im Lande".


Rotzfrech, verrückt, zum Affen gemacht
Vor dem Treffen der EU-Finanzminister am morgigen Donnerstag, bei dem die Griechenland-Krise im Zentrum steht, greifen deutsche Spitzenpolitiker die Regierung in Athen mit immer aggressiveren Beleidigungen an. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sei ein "freche(s) Bürschchen" und solle sich "mal hinter die Ohren schreiben", dass die von Berlin inspirierten EU-Regularien einzuhalten seien, lässt sich der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, zitieren: "Rotzfrech auftreten und dabei die Hausaufgaben nicht machen, das geht gar nicht."[1] Auch die zweite Reihe der CDU tut sich mit wüsten Beschimpfungen hervor. "Wir dürfen uns auch nicht zum Affen machen", erklärt der Ministerpräsident des Bundeslandes Hessen, Volker Bouffier (CDU): "Es kann nicht sein, dass die europäische Bevölkerung ... für völlig verrückte Dinge bezahlt."[2] Bouffier selbst wird hierzulande vorgeworfen, die Klärung der Frage, ob ein deutscher Geheimdienstler in irgendeiner Form in die NSU-Morde verwickelt ist, über Jahre verhindert zu haben (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner wiederum erklärt zur Frage, ob man dem darbenden Griechenland nicht Solidarität schulde: "Solidarität ja, aber wir sind nicht blöd."[4]


Unverschämt, hassvoll, das Maul aufgerissen
Ähnlich beleidigend äußern sich führende deutsche Politiker schon seit Monaten. So hatte der EU-Kommissar für die Digitale Wirtschaft, Günther Oettinger, bereits im Januar angesichts der Weigerung Athens, den deutschen Forderungen Rechnung zu tragen, erklärt, die griechische Regierung trete "frech und unverschämt" auf und sende "hassvolle Töne nach Berlin und Brüssel": Dies sei "ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der EU".[5] Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, hatte sich im März mit der Aussage über die griechische Regierung zitieren lassen: "Jetzt in der Reha am Tropf das Maul aufreißen und neue Forderungen stellen - das geht nicht."[6] Nur kurz zuvor hatte Griechenlands Botschafter in Berlin im Auswärtigen Amt eine Beschwerde eingereicht, die sich auf eine nicht näher beschriebene Beleidigung des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble gegenüber seinem Athener Amtskollegen bezog. Schäuble hat danach abgestritten, Varoufakis' Kommunikation "dümmlich naiv" genannt zu haben.[7] Über die Kommunikation des deutschen Finanzministers hat der konservative britische Journalist Ambrose Evans-Pritchard vor drei Jahren geschrieben: "Halb Europa lebt in Angst vor dem launenhaften Wolfgang Schäuble ..., dessen gequälte Emotionen ein Fluch für den Kontinent geworden sind". Schäuble habe "seinem Ruf, zu Ausbrüchen von Jähzorn zu neigen", bei einem Treffen mit ihm wenige Tage zuvor "voll entsprochen".[8]


Populisten, Spieler, dumm
Den Invektiven gegen die griechische Regierung schließen sich mittlerweile auch einflussreiche SPD-Politiker an. Finanzminister Yanis Varoufakis sei "ein politischer Irrläufer ersten Ranges", erklärte am Wochenende der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs. Über die griechische Regierungspartei wird ein nicht namentlich genannter SPD-Bundestagsabgeordneter zitiert: "Syriza hat nie Freunde gehabt in der SPD, die waren von vornherein zu antideutsch". Entsprechend erklärt ein weiterer anonymer SPD-Abgeordneter: "Im Endeffekt sind das dumpfe Linkspopulisten".[9] Ressentiments bediente am Wochenende auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). "Die Spieltheoretiker der griechischen Regierung sind gerade dabei, die Zukunft ihres Landes zu verzocken", sagte Gabriel: "Europa und Deutschland" würden sicherlich "nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen."[10] Gabriel hatte schon vor Monaten die parteiübergreifende Forderung Athens, Berlin solle endlich Reparationen leisten oder zumindest die NS-Zwangsanleihe zurückzahlen, die selbst das NS-Regime als Schuldenposten eingestuft hatte, "dumm" genannt.[11]
Erpresser, Realitätsverweigerer, Trickser
Den chauvinistischen Tonfall haben sich nicht nur deutsche Politiker, sondern auch deutsche Medien zu eigen gemacht - die Boulevardpresse ohnehin, die weiterhin von "gierigen Griechen" schreibt [12], aber auch sogenannte Qualitätszeitungen. "Tsipras und Varoufakis sind Spieler", heißt es etwa in der Tageszeitung "die Welt" über die Bemühungen Athens, gegen erheblichen deutschen Druck weitere Rentenkürzungen abzuwehren: "Sie versuchen, Europa mit der Pleite ihres Landes zu erpressen."[13] Die griechische Regierung lege "ideologisch motivierte Realitätsverweigerung" an den Tag, hieß es gestern in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Das Publikum hat die Nase voll".[14] Bereits zuvor hatte das Blatt geurteilt, "die neunmalkluge Regierung Tsipras" [15] trete "fast täglich als eine Truppe von Täuschern und Tricksern auf" [16], und zu den Forderungen, Berlin solle die NS-Zwangsanleihe doch nun endlich einmal zurückzahlen, erklärt: "Deutschland ist nach wie vor der liebste Buhmann der neuen Regierung in Athen. Dem kann man so schön Wehrmacht- und SS-Uniformen anziehen, das versteht noch der dümmste Grieche."[17]


In Griechenland populär
Die Regierung Griechenlands, eines souveränen Staates, ist nicht nur demokratisch gewählt; ihre tragende Kraft, die Partei Syriza, genießt bis heute ungebrochene Popularität im Land - weil sie als erste griechische Partei den deutschen Austeritätsdiktaten etwas entgegenzusetzen versucht.

In Umfragen erreicht sie gegenwärtig 34,5 Prozent und ist damit die mit großem Abstand beliebteste Partei. Die konservative Nea Dimokratia, die bis Anfang 2015 den Ministerpräsidenten stellte und den Berliner Sparforderungen letzten Endes stets nachkam, ist hingegen von 27,8 Prozent bei der Parlamentswahl im Januar auf 16,5 Prozent in aktuellen Umfragen eingebrochen. "Die Tatsachen zeigen eindeutig, dass der Ministerpräsident und die derzeitige Regierung unbestritten die dominierende politische Kraft im Lande sind", wird der Meinungsforscher Yannis Mavris zitiert.[18] Für führende Politiker Deutschlands, der dominierenden Macht in der EU, sind sie "Spieler", "Irrläufer", "antideutsch" und "Bürschchen".


Mehr zur deutschen Griechenland-Politik: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Austerität tötet, Millionen für Milliarden, Erbe ohne Zukunft, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz, Die Bilanz des Spardiktats, Unter Geiern, Geschlossen unter deutscher Führung und Dringender Appell.
[1] Albrecht Meier, Sigrid Kneist: Volker Kauder nennt Premier Alexis Tsipras "freches Bürschchen". www.tagesspiegel.de 13.06.2015.
[2] CDU-Politiker warnen Griechenland. www.n24.de 15.06.2015.
[3] S. dazu Ein fatales Näheverhältnis.
[4] CDU-Politiker warnen Griechenland. www.n24.de 15.06.2015.
[5] Oettinger nennt Griechen "frech und unverschämt". www.welt.de 31.01.2015.
[6] Schäuble über Tsipras-Regierung: "Sie haben alles Vertrauen zerstört". www.spiegel.de 17.03.2015.
[7] Hat Schäuble Varoufakis beleidigt? www.tagesschau.de 12.03.2015.
[8] Ambrose Evans-Pritchard: Germany's reluctant hegemony and misguided Calvinism. www.thetelegraph.co.uk 01.04.2012.
[9] Martin Greive, Karsten Kammholz: SPD-Mann nennt Varoufakis "politischen Irrläufer". www.welt.de 14.06.2015.
[10] "Wir werden uns nicht erpressen lassen". www.bild.de 14.06.2015.
[11] Sigmar Gabriel nennt Debatte um Reparationen "dumm". www.tagesspiegel.de 07.04.2015.
[12] Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen. Bild 26.02.2015.
[13] Andre Tauber: Warum im Griechen-Poker nur noch Kaltblütigkeit zählt. www.welt.de 10.06.2015.
[14] Klaus-Dieter Frankenberger: Das Publikum hat die Nase voll. www.faz.net 16.06.2015.
[15] Berthold Kohler: Was die Griechen sich fragen müssen. www.faz.net 22.02.2015.
[16] Berthold Kohler: Der weiche Bauch. www.faz.net 27.02.2015.
[17] Berthold Kohler: Ungewöhnlich dumm. www.faz.net 02.03.2015.
[18] Michael Martens: Hoffnungslos ist nur die Lage. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.06.2015.

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