12. Juli 2015   Themen

Schreiben Sahra Wagenknechts an die Kanzlerin Angela Merkel zur Griechenland-Politik der Bundesregierung

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Europa ist in schlechter Verfassung. Überall zahlen die fleißigen Normalverdiener die meisten Steuern und die wirklich Reichen drücken sich. Viele Arbeitnehmer können von ihrem Job nicht mehr gut leben. Auch in Deutschland. Nach einem harten Arbeitsleben droht oft eine dürftige Rente. Aber die Vermögen der Millionäre sind hoch wie nie. In ganz Europa haben die Staaten hohe Schulden, weil sie verantwortungslosen Bankern und Spekulanten die Verluste abgenommen haben.

Besonders hoch sind die Schulden des griechischen Staates.Eine korrupte politische Klasse hat sich hier gemeinsam mit griechischen Oligarchen und den internationalen Banken über viele Jahre schamlos bereichert. Besonders seit Einführung des Euro wurde Party gefeiert. Viele kleinere und mittlere Unternehmen dagegen hat die neue Währung, die für Griechenland viel zu hart war, vom Markt gefegt.
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Skepsis bei Wirtschaftsexperten: Reformvorschläge aus Athen reichen nicht aus 10.07.15 – 01:31 min Mediathek Skepsis bei Wirtschaftsexperten Reformvorschläge aus Athen reichen nicht aus

2010 war Griechenland pleite. Es war schon damals klar, dass es seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Trotzdem haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, 2010 die Weichen dafür gestellt, dass Deutschland und die anderen Euroländer die Haftung für die griechischen Schulden übernommen haben. Sie haben damit Banken und Hedge Fonds vor Milliardenverlusten bewahrt. Für die europäischen Steuerzahler dagegen, die nie gefragt wurden, war diese Entscheidung ein fataler Fehler. Es war von vornherein klar, dass ein großer Teil unseres Geldes verloren sein wird. Zusammen mit anderen Abgeordneten der Linken habe ich Sie damals im Bundestag darauf hingewiesen. Sie wollten das nicht hören.

Mittlerweile hat Deutschland in Griechenland über 60 Milliarden Euro im Feuer. Weil Sie, Frau Bundeskanzlerin, Ihren Fehler nicht eingestehen wollten, wurden immer neue Kredite vergeben, um Griechenland zu ermöglichen, damit alte Schulden zu bezahlen. So wurde der Schein der Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten. Bei einem Unternehmen würde man so etwas Konkursverschleppung nennen. Verbunden wurden die Kredite mit Auflagen, die Griechenland noch tiefer in die Krise geführt haben. Die kleinen Leute haben gelitten, die griechischen Oligarchen wurden noch reicher.

Heute wird in Griechenland 25 Prozent weniger produziert als im Jahr 2010. Es wird nicht mehr investiert, die junge Generation hat keine Perspektive. Obwohl der griechische Staat seine Ausgaben um fast ein Viertel gekürzt hat, mehr als jedes andere europäische Land, sind die Schulden nicht gesunken. Sie sind höher denn je.

Trotzdem wollten Sie, Frau Bundeskanzlerin, vor dem griechischen Referendum noch einmal 15 Milliarden Euro europäischer Steuergelder dafür einsetzen, dass Athen alte Schulden bezahlen kann. Mit neuen Schulden. Ihre einzige Auflage war, dass die griechische Regierung sich verpflichtet, die Politik der letzten Jahre fortzusetzen.

Auch die Steuerzahler in Deutschland können den Griechen dankbar sein, dass sie diesen Vorschlag mit ihrem souveränen "Nein" vom Tisch gefegt haben. Es ist an der Zeit, dass Sie den Menschen reinen Wein einschenken. Hören Sie auf, immer neues Steuergeld zu verbrennen, um zu verschleiern, dass ein Großteil unseres bereits ausgegebenen Geldes weg ist. Irgendwann kommt die Wahrheit doch auf den Tisch. Je später, desto teurer wird es für uns alle.
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Griechenland braucht kein neues "Hilfspaket", um wieder nur alte Schulden mit neuen Schulden zu bezahlen. Griechenland braucht einen Schuldenschnitt. Es muss zumindest für die nächsten drei bis fünf Jahre von dem Druck befreit werden, Zinsen und Tilgungen zu bezahlen, die es aus eigener Kraft ohnehin nicht zahlen kann. Griechenland braucht auch nicht noch mehr soziale Einschnitte, sondern Investitionen und eine kräftige Vermögensabgabe zulasten seiner Oligarchen. Notwendig ist eine Entflechtung der griechischen Wirtschaft, in der heute etwa 800 steinreiche Familienclans über handfeste Monopole verfügen und die Preise diktieren. Das wären Reformen, die das Land voranbringen würden, aber nicht weitere Rentenkürzungen, Mehrwertsteuererhöhungen und Privatisierungen.

Sie sollten sich erinnern: auch der deutsche Wiederaufbau wurde durch einen großzügigen Schuldenschnitt ermöglicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Deutschland zwei Drittel seiner alten Schulden erlassen. Erst dadurch konnte das Wirtschaftswunder durchstarten. Auch bei den Griechen hatten wir damals Schulden, die nie zurückgezahlt wurden.

Frau Bundeskanzlerin, ändern Sie Ihre Politik. Bevor es zu spät ist.

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