Barbarian Airways - Abschiebungen in Kriegsgebiete
Thomas Nowotny 28. März 2018 —
(Auf dem Bild die ehemalige Lufthansa-Maschine "Landshut", Foto: Der Spiegel)
Der Trend zeigt eindeutig nach unten: Der 11. Abschiebeflug aus Deutschland nach Kabul am 26. März hatte die zweitniedrigste Zahl unfreiwilliger Passagiere. Zehn Unglückliche wurden diesmal "rückgeführt". Laut Bundesinnenministerium - jetzt unter Seehofer - kamen vier aus Bayern, zwei aus Baden-Württemberg, zwei aus Hamburg, einer aus Rheinland-Pfalz und einer aus Mecklenburg-Vorpommern. Demnach seien sieben Straftäter gewesen und drei der vier bayerischen Deportierten "hartnäckige Identitätsverweigerer". Wie schnell man dazu wird, zeigt sich bei einem der Geflüchteten, der im Ostallgäu lebte. Der Bayerische Flüchtlingsrat berichtet: Nach erheblichen Schwierigkeiten habe die Person schließlich in Afghanistan eine Tazkira beschaffen können.
Die Sachbearbeiterin der ZAB (Zentralen Ausländerbehörde) Augsburg war darüber informiert, vierzehn Tage vor der Abschiebung wurde ihr eine Kopie der Tazkira geschickt mit dem Hinweis, das Original sei auf dem Postweg unterwegs. Vermutlich am Montag kam diese Tazkira an, der Besitzer war da schon fast auf dem Rückweg nach Kabul. Der Anwalt hatte Antrag auf Erteilung einer Duldung gestellt, weil sein Mandant kein hartnäckiger Identitätsverweigerer sei. VG Augsburg lehnte ohne große Argumente ab, der bayerische VGH bezog sich auf ein Diktum Joachim Herrmanns, nach dem es reiche, wenn eine Person einmal der Aufforderung, zum Konsulat zu gehen und einen Pass zu beantragen, nicht Folge geleistet hätte.
So weit die "Rechtslage". Jetzt wird's persönlich. Als ich mein Update schon fertig hatte, bekam ich diese mail von einer guten Bekannten, die sich seit langem für Geflüchtete einsetzt:
Hallo Herr Nowotny,
am Montag wurde aus Obergünzburg ein afghanischer Geflüchteter abgeschoben. Identitätsklärungsverweigerer.
Dies ist seine Geschichte. Möchten Sie diese irgendwie verwenden? Vielleicht brauchten sie Morteza ja noch so kurzfristig, um die Mindestabschiebezahl zu erreichen.
Am Montag um 6:20 Uhr kam die Polizei in unsere Asylunterkunft nach Obergünzburg/Ostallgäu und verhaftete Morteza D., um ihn noch am Abend nach Afghanistan abzuschieben. Er ist 1991 geboren und afghanischer Asylsuchender. Ihm wurde vorgeworfen, dass er nicht genügend an seiner Identitätsklärung mitgewirkt hätte.
Morteza wurde in Afghanistan geboren. Als er noch ein Kleinkind war, musste seine Familie wegen religiöser Verfolgung in den Iran fliehen. Seine Familie gehört dem Stamm der schiitischen Hazara an. 2015 wurde Morteza aus dem Iran abgeschoben (weil er sich weigerte, im Syrienkrieg zu kämpfen) und musste zurück nach Afghanistan, wo er aber weder Bekannte noch Verwandte hatte. Er fand keinen Schutz, da er keinem Familienverbund angehörte. Die Schiiten werden inzwischen von den Taliban und dem IS verfolgt. Er flüchtete nach Deutschland. Hier leben zwei ältere Brüder von ihm, die bereits vor einigen Jahren den Iran verlassen mussten und nach Deutschland flohen. Ein Bruder von ihm lebt in Bayern und besitzt inzwischen einen deutschen Pass.
Morteza kam nach Obergünzburg in die Asylunterkunft. Er war weder Straftät noch Gefährder. Er lernte deutsch und war bemüht, sich zu integrieren. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, verlangte die ZAB Augsburg von ihm, sich einen afghanischen Pass zu besorgen. Er sprach beim afghanischen Konsulat in München vor, bekam aber die Bestätigung, er hätte sich bemüht, aber ohne Tazkira könnten sie keinen Pass ausstellen. Diese Bestätigung legte er bei der ZAB vor. Von da ab versuchte er, seine Originaltazkira zu bekommen. Da er aber keinen einzigen Verwandten in Afghanistan hatte, bemühte er sich monatelang umsonst.
Er hielt alle Termine bei der ZAB ein, auch den beim Konsulat. Im Dezember 2017 fand er einen Anwalt in Afghanistan, der ihm zusicherte, ihm die Tazkira zu besorgen. Zeitgleich nahm ich Kontakt mit seiner Sachbearbeiterin auf. Sein Bruder fuhr mit ihm zur ZAB, zeigte seinen deutschen Pass. Die Ähnlichkeit der beiden Brüder ist nicht zu übersehen. Seitdem war ich in regelmäßigem E-Mail Kontakt mit der Sachbearbeiterin. Sie gab aber nie eine Antwort. Vor drei Wochen sandte ich ihr dann per Mail ein Foto der Tazkira, das der Anwalt an Mortezas Handy geschickt hatte. Ich versicherte ihr, dass die Tazkira auf dem Postweg sei. Am vergangenen Freitag erhielt Morteza die Originaltazkira per Post. Am Montag wurde er nun verhaftetet. Eilantrag und Klage vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg hatten keinen Erfolg. Auch die Tatsache nicht, dass er inzwischen im Besitz der Tazkira war. Begründung der Ablehnung - dass er "zuvor mindestens einmal vorsätzlich gegen seine Mitwirkungsverpflichtung an seiner Identitätsklärung verstoßen" habe.
Wann dies geschehen sein soll, wird nicht genannt.
Nun ist Morteza in einem Hotel in Kabul. Er wartet darauf, dass wir ihm seine Papiere schicken, dann wird er wohl wieder zu seiner Familie in den Iran flüchten. Dort erwartet ihn aber die Rekrutierung für den Syrienkrieg.
Sehr traurige Grüße
C.K., Obergünzburg"
Einen weiteren Skandal meldete zuerst der wie gewohnt aktuelle und umfassende Blog von Thomas Ruttig:
https://thruttig.wordpress.com/2018/03/27/abschiebeflug-nr-1-unter-merkel-iv-vier-anschlage-in-funf-ersten-tagen-des-afghanischen-neuen-jahrs/
Im Fall von Herrn M aus Oberfranken hatte das Amtsgericht Lichtenfels am vergangenen Donnerstag die Haft für unrechtmäßig erklärt und aufgehoben. Die Bediensteten der JVA Eichstätt hielten Herrn M. jedoch mehr als zwei Stunden fest. Der Anwalt, der nach Eichstätt gefahren war um seinen Mandanten abzuholen, wurde vertröstet. In der Zwischenzeit organisierte die Ausländerbehörde einen neuen Haftbeschluss. Als die JVA Eichstätt den Flüchtling endlich gehen ließ, kam eine Polizeistreife, verhaftete den Afghanen und brachte ihn zurück in die Abschiebehaft. Der Anwalt hat inzwischen Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gegen die Bediensteten der JVA Eichstätt gestellt.
„Die unbedingte Vollstreckung der Abschiebung nach Afghanistan ist ein zynisches Spiel mit Menschenleben. Kabul wird als ausreichend sicher deklariert, auch wenn die Hauptstadt inzwischen zu den gefährlichsten Gebieten in Afghanistan gehört. Die Fiktion „sicherer Gebiete“ wird auch von der neuen Bundesregierung aufrechterhalten, gleichzeitig weigert man sich, eine aktuelle Lagebewertung vorzunehmen“, kritisiert Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats.
„Bayerns Behörden haben sich der Durchsetzung von Abschiebungen mit besonderem Furor verschrieben. Rechtsmissbrauch wird dabei kalkuliert in Kauf genommen. Eines Rechtsstaats ist dieses Behördenhandeln nicht würdig. “
Auch im Tagesspiegel wird die perfide Strategie der bayerischen Innenbehörde sehr gut beschrieben:
https://www.tagesspiegel.de/politik/abschiebungen-nach-afghanistan-die-probleme-mit-der-identitaet/21118874.html
Und das alles wegen zehn Deportierten? Jede Airline würde bei diesem Geschäftsmodell pleite gehen - außer Barbarian Airlines. Und wenn nur einer pro Monat fliegen muss - damit werden Tausende terrorisiert, die das gleiche befürchten müssen.
Die Flüchtlingsräte schreiben zu Recht: An Absurdität ist dieses unmenschliche Vorgehen nicht zu überbieten.
http://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2018/03/26/pm-abschiebung-nach-afghanistan-an-absurditaet-nicht-zu-ueberbieten/
Ob das Kalkül aufgeht, dass deshalb weniger Menschen aus Afghanistan nach Europa fliehen, darf bezweifelt werden. Dazu bedarf es drastischerer Maßnahmen wie des erneuerten Türkei-Deals.
Deutschland schert sich bisher wenig um die Einschätzung des UNHCR, die gerade überarbeitet wird - jetzt schon stellen die Flüchtlingshelfer eine weitere Verschlechterung der Sicherheit fest.
https://derstandard.at/2000076159419/Afghanistan-Abschiebungen-stehen-vor-neuen-Huerden
Ob ausgerechnet Österreich sich danach richtet? Der für den 20. März angekündigte Abschiebeflug aus Wien zumindest ist nach Informationen aus Unterstützerkreisen ausgefallen.
Darauf können wir uns in Deutschland leider nicht verlassen - und so bleibt uns nur, alle potenziell Gefährdeten rechtzeitig - also jetzt - zu unterstützen. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat:
"Es macht viel Sinn, rechtzeitig zu schauen, ob eine Person gefährdet ist (Hinweise dazu auf unserer Homepage: http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/tl_files/Not%20safe/Warnhinweise%20Afghanistan.pdf ), es macht auch Sinn, rechtzeitig mit einem Anwalt Kontakt aufzunehmen und zu sehen, ob rechtlich noch was zu holen ist. Wenn Montag abends die Abschiebung ist und ein Anwalt erst Montag früh tätig werden kann, dann reicht es meist nicht aus."