08. Juni 2020   Themen

Lübcke-Mord: Bundesanwaltschaft erhebt Anklage

Beitrag: Roswitha Engelke

Quelle: Dietmar Gaisenkersting
4. Mai 2020

Der Generalbundesanwalt hat letzte Woche die Anklageschrift gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) an das zuständige Oberlandesgericht in Frankfurt überstellt.

Der Neonazi Stephan Ernst wird angeklagt, Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses kaltblütig erschossen zu haben. Gegen seinen Bekannten Markus Hartmann bestehe der hinreichende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord, schreibt die Bundesanwaltschaft in einer Pressemitteilung.

Ernst hatte die Tat zunächst gestanden, widerrief sein Geständnis aber nach wenigen Tagen. Im Januar dieses Jahres bezichtigte Ernst dann Hartmann, den tödlichen Schuss abgegeben zu haben, was dieser wiederum bestreitet. Die Beweislage gegen Ernst ist erdrückend. An der Tatwaffe, der Munition darin und an Walter Lübcke selbst wurde DNA von Ernst gefunden. Von Hartmann haben die Ermittler nach eigenen Angaben keine Spuren am Tatort entdeckt.

„Ausschlaggebend für die Tat war die von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung“ von Ernst, heißt es in der Anklageschrift. 2015 waren Ernst und Hartmann auf einer Bürgerversammlung anwesend, auf der Lübcke die Unterbringung von Flüchtlingen im hessischen Lohfelden verteidigte. Im Verlauf der folgenden zwei Jahre soll Ernst den Entschluss gefasst haben, Lübcke zu ermorden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm niedrige Beweggründe und Heimtücke vor.

 

„Es kam ihm zudem darauf an, durch die Ermordung ein öffentlich beachtetes Fanal gegen die von ihm abgelehnte gegenwärtige staatliche Ordnung zu setzen“, schreibt der Generalbundesanwalt. Das Attentat habe daher die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet.

Die Bundesanwaltschaft hält Ernst für voll schuldfähig. Ein forensischer Psychiater konnte keine Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit feststellen. Da Ernst einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten habe, wie es in der Anklage heißt, liegen die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung vor, d. h., für eine Inhaftierung über die 15 Jahre Höchststrafe hinaus.

Die 322-seitige Anklageschrift wirft Ernst nicht nur den Mord an Lübcke vor, sondern auch einen weiteren Mordversuch. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt ihn, am 6. Januar 2016 versucht zu haben, im Kasseler Vorort Lohfelden den Iraker Ahmad E. zu ermorden. Ernst soll sich auf einem Fahrrad dem Asylbewerber von hinten genähert und ihm ein Messer in den Rücken gerammt haben. Das Opfer wurde schwer verletzt.

Die Suche der Polizei nach einem Täter war lange erfolglos geblieben, doch bei den Ermittlungen im Fall Lübcke ergab sich ein Verdacht gegen Stephan Ernst. An einem Klappmesser, das die Polizei im Keller des Hauses von Ernst und seiner Familie sicherstellte, fand sich eine DNA-Spur, die mutmaßlich von dem Iraker stammt.

Auch bei einem weiteren Anschlag gilt Ernst als verdächtig, hier reichen aber die Indizien nicht für eine Anklage aus. Im Februar 2003 hatte ein Schuss das Küchenfenster eines Lehrers durchschlagen, der aktiv gegen Rechtsextreme auftrat, und ihn nur knapp verfehlt. Den Namen und ein Foto des Lehrers fand die Polizei auf einem USB-Stick im Keller des Hauses von Ernst.

Markus Hartmann wird hauptsächlich wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke angeklagt (beiden Angeklagten werden auch noch Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen). Hartmann soll Ernst den Kontakt zum Waffenhändler beschafft haben, bei dem er sich die Tatwaffe kaufte. Und er soll Ernst psychische Beihilfe zum Mord geleistet haben, „unter anderem durch gemeinsame Schießübungen in Wäldern und Schützenvereinen in den Jahren 2016 bis 2018“.

Hartmann habe den späteren Lübcke-Mörder im „Umgang mit Schusswaffen, auch in Bezug auf die spätere Tatwaffe“, angeleitet, wirft ihm der Generalbundesanwalt vor. Auch durch die gemeinsame Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen des rechten politischen Spektrums habe Hartmann seinem Bekannten „Zuspruch und Sicherheit für dessen Tat“ vermittelt.

Hartmann soll nicht in die konkreten Anschlagspläne eingeweiht gewesen sein, habe es aber spätestens ab Juli 2016 für möglich gehalten, dass Ernst wegen der Flüchtlingspolitik einen Politiker ermorden könnte. Hartmann habe „dies billigend in Kauf“ genommen und somit Ernst in seinem Willen bestärkt, Lübcke zu töten.

Wie bereits beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der zwischen 2000 und 2007 zehn Morde sowie mehrere Anschläge und Banküberfälle verübte, stellt sich auch bei Ernst und Hartmann die Frage, wie weit staatliche Stellen Bescheid wussten oder gar in ihre Pläne verwickelt waren. Und wie beim Münchener NSU-Prozess ist nicht zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt und das Gericht dieser Frage nachgehen werden.

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute1
Gestern4
Woche25
Monat166
Insgesamt87897
 

Anmeldung