09. September 2020   Themen

Zum "selber denken": Wer Außenminister Maas führt und lenkt ...

 

Quelle: Auswärtiges Amt der Bundesregierung

Engstirniger geht 's kaum ...

Rede von Außenminister Heiko Maas beim Luncheon des American Council on Germany (ACG) zu: Germany, Europe and the United States: A strategic partnership facing new challenges?

01.04.2019 - Rede

„Es ist zum Vorteil eines jeden jungen Mannes, in Amerika gewesen zu sein. Dann kann er sagen er hat die Welt gesehen und kennengelernt und weiß, was er von den Menschen zu denken hat.“

Meine Damen und Herren, dieser Satz stammt aus einem Brief, den Isaac Schweitzer, ein nach Amerika ausgewanderter deutsch-jüdischer Kaufmann, vor fast genau 150 Jahren an seine Familie in Deutschland schrieb. Sicherlich würde ihm niemand von uns widersprechen.

Und wo kann man ihm deutlicher zustimmen als hier, in New York! Keine andere Stadt verkörpert das kosmopolitische, das global verantwortliche Amerika so sehr wie New York und die Bilder, die weltweit mit der Stadt verbunden werden:

 

  • New York ist seit über 200 Jahren Melting Pot, hier werden über 200 verschiedene Sprachen gesprochen – auch außerhalb der Vereinten Nationen.
  • Es ist ein Zentrum, in dem globale Trends für Kultur und Gesellschaft gesetzt werden, weswegen wir uns auch heute hier treffen. In der German Academy New York als Laboratorium, in dem an Ideen für die Zukunft gearbeitet wird.  Vielen Dank an die Akademie, dass sie uns heute empfängt.
  • Aber natürlich ist die Stadt auch das New York am East River, das Hauptquartier der Vereinten Nationen, an dem die Idee eines friedlichen Miteinanders aller Nationen auf der Grundlage von Menschenrechten sozusagen zuhause ist.

Die Geschicke dieser Stadt und Europas hängen seit Jahrhunderten zusammen.

Deshalb bereitet es mir große Sorge, dass diese einzigartige Partnerschaft in zentralen Fragen auseinanderdriftet.

Erstens:

An die Stelle unseres gemeinsamen Einsatzes für die Stärkung eines  internationalen Handelsregimes ist das Damoklesschwert eines EU-US Handelskonflikts getreten, bei dem es am Ende nur Verlierer geben wird.

Zweitens:

Wir sind dankbar für die Partnerschaft in der NATO, die uns Europäern in den vergangenen 70 Jahren Sicherheit, Stabilität und Wohlstand ermöglicht hat. Öffentliche Debatten über die Lastenteilung in der NATO aber sorgen für Verunsicherung – und das in Zeiten, in denen Russland unsere Einheit immer wieder auf die Probe stellt.

Wir Europäer wissen, dass wir mehr Verantwortung übernehmen müssen für unsere Sicherheit – aus eigenem Interesse. In Deutschland haben wir deshalb seit 2014 unsere Verteidigungsausgaben um beinahe 40% angehoben.

Und unser Verteidigungsbudget wird weiter steigen - bis 2024 auf 1,5% des Bruttosozialprodukts. 

Wir sind einer der größten Truppensteller in der NATO und stehen zu unseren Verpflichtungen – etwa als Rahmennation der Enhanced Forward Presence in Litauen oder durch die erneute Übernahme der schnellen NATO-Einsatztruppe (Very High Readiness Joint Task Force) in diesem Jahr.

Drittens:

Wir können nicht ignorieren, dass der transatlantische Wertekonsens, der langjährige gemeinsame Einsatz Europas und der USA für eine multilaterale, regelbasierte Weltordnung aus den Fugen geraten ist.

Die richtige Antwort auf eine neue Ordnung, in der Großmächtekonkurrenz wieder auf die Tagesordnung zurückkehrt, sollte nicht “My country first” sein. Sondern der enge Zusammenschluss all derjenigen, die sich für eine regelbasierte internationale Ordnung einsetzen.

Das ist jedenfalls unsere Antwort auf die gegenwärtige Erosion der internationalen Ordnung. Sie wäre auch ein wichtiges Element eines “New Transatlantic Bargain”, der zurecht von vielen klugen Köpfen dies- und jenseits des Atlantiks eingefordert wird.

Es geht dabei auch um das Verhältnis zu China. Der Umgang mit Chinas Aufstieg ist eine strategische Herausforderung, die die internationale Agenda des 21. Jahrhunderts maßgeblich prägen wird.

Wir müssen uns mit Chinas Bestrebungen um politische und wirtschaftliche Einflussnahme weltweit auseinandersetzen. Auch hier geht es im Kern um die Verteidigung und den Schutz der regelbasierten Ordnung, wie sie im Völkerrecht, in der Welthandelsordnung, beim Schutz der Menschenrechte und in internationalen Rüstungskontrollvereinbarungen Gestalt angenommen hat.

Wir wollen und brauchen gute wirtschaftliche und politische Beziehungen zu China. Aber wir sind uns auch bewusst, dass diese langfristig nur tragen, wenn sie fair gestaltet werden. Wenn wir uns auf gemeinsame Regeln und Standards einigen können. Dieses Ziel eint uns, Amerikaner und Europäer.

Wir sollten deshalb an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, China als internationalen Akteur und führende Wirtschaftsmacht stärker in die Verantwortung zu nehmen. Das gilt besonders mit Blick auf chinesische Wettbewerbs- und Handelspraktiken, Investitionen und die Reform der Welthandelsorganisation.

Unser Interesse ist, China als konstruktiven Akteur für die Reform und Weiterentwicklung des multilateralen Systems zu gewinnen. China muss dafür die Einheit der Europäischen Union und ihre zentralen Werte respektieren. Das haben Deutschland, Frankreich und die Europäische Union erst vor wenigen Tagen in Paris gegenüber Präsident Xi Jinping deutlich unterstrichen.

Wir verfolgen übrigens national wie im Rahmen der EU seit langem das Ziel, unsere Beziehungen zu asiatischen Staaten möglichst breit aufzustellen. Auch durch den Abschluss von EU-Freihandelsabkommen in Asien-Pazifik.

Mit dem im Februar in Kraft getretenen Freihandelsabkommen mit Japan ist für über 600 Millionen Menschen ein gemeinsamer Wirtschaftsraum entstanden. So sorgen wir dafür, dass unsere Werte und Regeln weltweit Standards setzen.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich dem anderen strategischen Dreieck zuwenden, dem Verhältnis Deutschlands bzw. der EU und der USA zu Russland.

Dieses Verhältnis ist spätestens seit 2014 schwieriger geworden. Russland hat die regelbasierte internationale Ordnung mehrfach in Frage gestellt: durch die illegale Annexion der Krim, die Einmischung in der Ost-Ukraine, die Tolerierung des Einsatzes von Chemiewaffen in Syrien und durch den Bruch des für Europas Sicherheit so zentralen INF-Vertrag. Viel Vertrauen ist dadurch verloren gegangen.

Aus unserer Sicht muss es darum gehen, Russland zur Einhaltung internationaler Regeln zurückzuführen. Russland ist unser größter Nachbar. Und in fast allen internationalen Konflikten sehen wir: Es geht nicht ohne Russland!

Zu allererst bedeutet das: Wir müssen unsere eigene Handlungsfähigkeit bewahren und die unserer Partner stärken: gegen russische Einmischung in Wahlkämpfe, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Aber auch gegen militärische Bedrohungen und Ungleichgewichte. Nicht umsonst sind deutsche Truppen in Litauen präsent.

Und um es hier noch einmal sehr deutlich zu sagen: Durch Nord Stream 2 wird Deutschland trotz aller Unkenrufe nicht abhängig von Russland! Wir haben alternative Bezugsmöglichkeiten. Erst letzte Woche haben wir im Kabinett beschlossen, die Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur zu verbessern.

Und wir setzen uns zusammen mit der EU dafür ein, dass auch künftig der Gastransit durch die Ukraine erhalten bleibt.

Wenn Russland internationale Regeln verletzt, dann müssen wir das klar benennen und glaubhaft darauf reagieren. Die EU hat dies immer wieder getan, auch mit Sanktionen.

Solche Sanktionen müssen aber an klare politische Ziele geknüpft, zielgerichtet und reversibel sein, wenn ihr Grund entfallen ist. Sanktionen, die das nicht sind, die Partner stärker treffen als Russland, lehnen wir ab.

Bei aller Kritik an Russland brauchen wir immer auch den Dialog. Um diese schwierige Beziehung zu managen und ungewollte Eskalation zu verhindern.

Dazu brauchen wir den NATO-Russland-Rat, aber auch direkte Gesprächskanäle unter den Militärs.

Vor allem aber werden wir nicht nachlassen, die zivilgesellschaftlichen Kontakte mit Russland und die Zivilgesellschaft in Russland zu unterstützen. Eine Isolation Russlands, die letztlich in vielem eine Selbstisolation ist, ist gefährlich. Sie kann nicht in unserem Interesse sein.

Meine Damen und Herren,

Sie sehen: unsere strategische Partnerschaft steht vor großen Herausforderungen.

Aber ich bin überzeugt: Es gibt auf beiden Seiten des Atlantiks nach wie vor mehr Gemeinsames, denn Trennendes.

Für uns Deutsche wird die Geschichte unserer deutsch-amerikanischen Beziehung immer eng mit der großen Unterstützung der USA bei Deutschlands mühsamem Weg zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit  verbunden sein.

Meine Damen und Herren,

ich habe eingangs von dem Brief berichtet, den Isaac Schweitzer an seine Familie in Deutschland schrieb. Dieser Brief ist Teil des Projektes “German heritage in letters” – eines der unzähligen tollen Projekte, die zum Deutschlandjahr in den USA gehören.

Unter dem Motto „wunderbar together“ fördern wir den Dialog zwischen Deutschen und Amerikanern. Wir wollen deutlich machen, was uns verbindet. Wir wollen die Vielfalt unserer Beziehungen abbilden. An vielen Orten der USA, gerade auch im Herzen des Landes, haben wir seit Oktober 2018 zahlreiche Projekte durchgeführt, gemeinsam mit über 200 Partnerorganisationen, unter anderem dem ACG. Dafür vielen Dank!

Für mich ist das ein zentraler, vielleicht entscheidender Beitrag zum Erhalt der transatlantischen Partnerschaft. Diese Partnerschaft lebt von unserem Bekenntnis zu Demokratie, von der Offenheit unserer Gesellschaften und vom gemeinsamen Glauben an politische Pluralität und den fairen Wettstreit der Ideen.

Diese Errungenschaften können wir als Demokratien nur gemeinsam verteidigen und leben. Bei allen Meinungsverschiedenheiten - Europa und Amerika sind gut beraten, zueinander zu stehen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten. “Come rain or come shine”.

Vielen Dank für die Einladung! Ich freue mich auf unsere Gespräche!

[Die Rede wurde auf Englisch gehalten.]

 

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute4
Gestern9
Woche36
Monat187
Insgesamt88100
 

Anmeldung