12. Januar 2021   Themen

Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden

Vorgetragen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin, 16./17.01.2009 Rosa Luxemburgs Demokratievorstellungen und ihr Manuskript zur russischen Revolution

Tanja Storløkken „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“

Viele kennen diese Worte aus Rosa Luxemburgs berühmtester Schrift Die Russische Revolution. Nicht allen, die diese Aussage zitieren, ist bewußt, daß sie in einem revolutionären Zusammenhang und mit unmißverständlicher Zielsetzung formuliert wurde. Auf den Punkt gebracht, lautet sie: Freiheit und sozialistische Demokratie sind notwendige und wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche revolutionäre Entwicklung.

Rosa Luxemburgs unvollendete Schrift über die Russische Revolution vom Herbst 1918 ist vor allem wegen ihrer Kritik an der bolschewistischen Revolution berühmt geworden. Inhaltlich freilich ist sie weitaus vielschichtiger und profunder. Zweifelsohne geht die Schrift mit den Bolschewiki kritisch ins Gericht. Gleichzeitig jedoch preist sie deren revolutionäre Tatkraft. Die Bolschewiki lobt sie, die Ehre des internationalen Proletariats wiederhergestellt zu haben, während sie die russischen Menschewiki, die deutschen Sozialdemokraten sowie das internationale Proletariat im allgemeinen und das deutsche Proletariat im besonderen mit deutlichen Worten kritisiert. Der Hauptvorwurf gegenüber all diesen Gruppen lautet, an ihren revolutionären Aufgaben gescheitert zu sein. Sie hätten die Russische Revolution und das russische Proletariat verraten. Gleichwohl gibt sich Rosa Luxemburg nicht damit zufrieden, andere einfach nur zu kritisieren, sondern arbeitet in Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Russischen Revolution am eigenen Revolutionsverständnis, denn „[s]chließlich muß man sich sagen, daß es keinen Sinn hat, alles zu kritisieren, über alles zu brummen, ohne es selbst besser zu machen.“ So Rosa Luxemburg in einem Brief an ihren Gefährten Leo Jogiches vom 22. Januar 1899.

1 Im Revolutionsjahr 1917 mußte sich die polnisch-jüdische Revolutionärin darauf beschränken, die revolutionären Ereignisse in Rußland innerhalb der Festungsmauern von Wronke und später aus ihrer Breslauer Gefängniszelle heraus zu verfolgen, wo sie wegen ihrer Aktivitäten gegen den Krieg einsaß. In einem Brief an ihre Freundin Luise Kautsky vom 24. November 1917 gab sie der Russischen Revolution wenig Chancen: „Freust du Dich über die Russen? Natürlich werden sie sich in diesem Hexensabbath nicht halten können – nicht weil die Statistik eine so rückständige ökonomische Entwicklung in Rußland aufweist, wie Dein gescheiter Gatte [Karl Kautsky] ausgerechnet hat, sondern weil die Sozialdemokratie in dem hochentwickelten Westen aus hundsjämmerlichen Feiglingen besteht und die Russen, ruhig zusehend, sich werden verbluten lassen.“

 

2Es ist genau diese Ablehnung von Verantwortung, weswegen Rosa Luxemburg in ihrer Schrift über die Russische Revolution  die deutsche Sozialdemokratie sowie das deutsche und internationale Proletariat kritisiert. Die Russische Revolution kann ohne Revolution in Deutschland nicht siegen. Das deutsche Proletariat und die deutsche Sozialdemokratie tragen nicht nur Verantwortung für die Entwicklung in Deutschland, sondern auch in Rußland und der übrigen Welt.

Die Verantwortung für soziale Ungerechtigkeit und das Mitgefühl für die Unterdrückten enden nicht an den Grenzen des eigenen Nationalstaates, sondern müssen der ganzen Welt gelten.

Gleichwohl hat Rosa Luxemburg die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß sich die deutsche und internationale Sozialdemokratie sowie das deutsche und internationale Proletariat letztlich doch von der Russischen Revolution inspirieren lassen und von ihren Erfahrungen lernen werden.

Nicht zuletzt deswegen ist es für die Luxemburg wichtig, die Erfahrungen der Russischen Revolution zusammenzufassen und in einem kritschen Licht zu betrachten, um Schlußfolgerungen für den revolutionären Kampf sowohl in Rußland als auch international zu ziehen.

Wie Rosa Luxemburg hervorhebt, hätte es an ein Wunder gegrenzt, wäre die Russische Revolution  in einer derart schwierigen Situation, inmitten eines Weltkrieges und angesichts eines internationalen Proletariats, das vollkommen versagte, ohne jeglichen Makel verlaufen. „In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem  ́Bolschewismus ́“.

3Mit diesen Worten schließt sie ihre Schrift über die Russische Revolution. Die russische Revolution hat die Grundlehre jeder großen Revolution bestätigt. „Der „goldene Mittelweg“ läßt sich eben in keiner Revolution aufrechterhalten.“4Es ist notwendig, in Bewegung zu bleiben, sich neue Ziele zu setzen und nicht zögerlich zu sein, will man der Konterrevolution nicht zum Opfer fallen. Die Alternative im Jahre 1917 lautete nicht: bürgerliche Demokratie oder Diktatur des Proletariats, sondern Sieg der Konterrevolution oder Diktatur des Proletariats, die für Luxemburg gleichbedeutend mit sozialistischer Demokratie war. Auch wenn Rosa Luxemburg der revolutionären Tatkraft der Bolschewiki Tribut zollte, war sie mit deren Politik über weite Strecken alles andere als einverstanden.

Drei Dinge kritisierte sie an den Bolschewiki. Erstens kritisierte sie die Bolschewiki für die Lösung der Bodenfrage, dafür, daß sie die Ergreifung und Aufteilung des Grund und Bodens durch die Bauern begrüßten. Sie verstand sehr wohl, daß dies kurzfristig eine schlaue Taktik war, mit der die Bauern an die Revolution gebunden wurden. Allerdings war sie skeptisch, was die Verbundenheit der Bauern mit der Revolution betraf. Langfristig würde die Schaffung neuen bäuerlichen Eigentums zu unüberwindlichen Problemen beim Übergang zu einer sozialisitschen Landwirtschaft führen.

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Zweitens kritisierte Rosa Luxemburg die Bolschewiki dafür, daß sie für das Recht auf nationale Selbstbestimmung eintraten, war dies für sie doch gleichbedeutend mit dem staatlichen Zerfall Rußlands. Die Randstaaaten des Reiches gingen eigene Wege und trugen so dazu bei, die konterrevolutionären Kräfte zu stärken. Laut Luxemburg bleibt unter den Bedingungen bürgerlicher Klassenherschaft das Recht auf nationale Selbstbestimmung eine Illusion, da verschiedene Klassen verschiedene Wege der Selbstbestimmung beschreiten wollten. Die Abtrennung der Randstaaten von Rußland stärkte die Konterrevolution, konnte doch die Bourgeoisie in jedem einzelnem Staat die einheimische Arbeiterklasse leichter in den Griff bekommen. Die Doktrin der nationalen Selbstbestimmung würde sich daher als mächtiges Bumerang für die Russische Revolution erweisen.

Schließlich und endlich kritisierte die Luxemburg die Bolschewiki für ihre mangelhafte demokratische Praxis. Doch es war nicht nur mangelhafte Praxis, die sie monierte. Auch warf sie den Bolschewiki vor, ein falsches theoretisches Verständnis davon zu haben, was Demokratie beinhalte. Dieses fehlende Demokratieverständnis hat nicht nur ernsthafte Konsequenzen für die Demokratie, sondern auch für die Revolution als solche. Schließlich ist eine lebendige sozialistische Demokratie eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Revolution. Luxemburg: „Lenin sagt: Der bürgerliche Staat sei ein Werkzeug zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, der sozialistische – zur Unterdrückung der Bourgeoisie. Es sei bloß gewissermaßen der auf den Kopf gestellte kapitalistische Staat.“5 Für Rosa Luxemburg zeugt dies von einem falschen Verständnis, ignoriert es doch die Tatsache, daß der sozialistische Staat der politischen Erziehung der Massen und ihrer auf der Suche nach guten Lösungen gemachten Erfahrungen bedarf. Indem sie das öffentliche politische Leben behinderten und den Massen verwehrten, politische Erfahrung zu machen, haben die Bolschewiki die Möglichkeit weiterer revolutionärer Entwicklung vereitelt.

Die berühmten Worte “Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden”6wurden eben im Kontext der Bedeutung der im Revolutionsprozess gemachten Erfahrungen geschrieben. Politische Freiheit ist gerade deshalb so besonders wichtig, weil Menschen erst durch sie die Möglichkeit bekommen, Erfahrungen zu machen, und aus den Erfahrungen auf dem Weg zu einer sozialistischen und demokratischen Gesellschaft hoffentlich etwas lernen.

Freiheit ist ganz einfach eine wichtige und notwendige Voraussetzung einer erfolgreichen Entwicklung der Revolution. Ohne diese Erfahrungen kann keine demokratische und sozialistische Gesellschaft verwirklicht werden. Was sie wissen müssen, um eine sozialistische Gesellschaft zu erschaffen, lernen die Revolutionäre im Revolutionsprozess durch politisches Handeln und politische Freiheit. Die Revolution muss deshalb langwierig sein, weil die Menschen im Kampf selbst durch Versuch und Irrtum lernen, was sie wissen müssen, um sich selbst leiten zu können. 

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4Der Marxismus stellt eine Vision der großen und allgemeinen Ziele dar, aber wie diese Ziele zu erreichen sind, werden die Menschen durch politisches Handeln im Revolutionsprozess herausfinden müssen. Dieser Erfahrungsprozess wird in der sozialistischen Gesellschaft nicht zu Ende sein. Die sozialistische Demokratie beginnt nicht im Gelobten Land, nachdem der Sozialismus eingeführt wurde. Sie beginnt mit der Eroberung der politischen Macht durch die Revolutionäre.

Nach Luxemburg hört die sozialistische Demokratie im gelobten Land auch nicht auf zu funktionieren, wobei diese Demokratie nicht existieren kann ohne die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen.

Meiner Meinung nach verteidigt die Luxemburg demnach die Notwendigkeit, Erfahrungen in drei verschiedenen Phasen zu sammeln: In der Phase vor der sozialistischen Machtergreifung, in der Übergangsphase nach der sozialistischen Machtergreifung und vor der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft, sowie in der abschließenden Phase, der Phase des Gelobten Landes, in dem die  sozialistische und demokratische Gesellschaft errichtet wurde. Auch der Sozialismus in der gelobten und klassenlosen Gesellschaft kann sich nicht von den Bedingungen des Lebens und dem ständigen Bedarf an neuen Erfahrungen auf dem Golgathaweg des Lebens freimachen. 

1 Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Band 1, S. 256.

2 Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Band 5, S. 329.

3 Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution (1918), in: GW 5, S. 365.

4 Ebenda, S. 340. 5 Ebenda, S. 359. 6 Ebenda, S. 359.

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