20. November 2021   Themen

Das Sozialistengesetz des Kaiserreiches - der Adenauer-Erlass - der Radikalen-Erlass

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich in vielen Staaten Europas Arbeitervereine und -parteien, die sich für die Arbeiterbewegung zu einer schlagkräftigen Interessenvertretung entwickelten.

Im Deutschen Reich vereinigte sich 1875 der 1863 unter Ferdinand Lassalle gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) von August Bebel und Wilhelm Liebknecht zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Mit der SAP verfügte die Sozialdemokratie in Deutschland über eine einheitliche Partei, in ihr sah Reichskanzler Otto von Bismarck eine der größten Gefahren für die Gesellschaft im Deutschen Reich.

Wie in Großbritannien, Frankreich und anderen industriell aufstrebenden Nationen herrschte auch im deutschen Bürgertum und beim Adel eine ausgeprägte Furcht vor revolutionären Bestrebungen und gewaltsamen Umsturzversuchen der stetig wachsenden Arbeiterbewegung.

Die Sozialdemokratie löste Mitte der 1870er Jahre in Deutschland den politischen Katholizismus daher als "Reichsfeind Nummer eins" ab.

1878 wurden zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. verübt, die Bismarck der Sozialistischen Arbeiterpartei anlastete. Beweise für eine Urheberschaft gab es allerdings keine.

Dennoch gelang es Bismarck in Folge der Attentate, die Revolutionsängste bei vielen Deutschen so weit zu schüren, dass der Reichstag am 19. Oktober 1878 mit der Stimmenmehrheit der Konservativen und Nationalliberalen das Gesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" verabschiedete.

Dieses so genannte Sozialistengesetz erlaubte Verbote sozialistischer Parteien, Organisationen und Druckschriften sowie politischer Versammlungen.

Bismarcks Intention war es, den zunehmenden Einfluss der Arbeiterbewegung in Politik und Gesellschaft mit polizeistaatlichen Mitteln auszuschalten und die sozialdemokratischen Strukturen zu zerschlagen.

Auf Grundlage des Sozialistengesetzes wurden innerhalb von zwölf Jahren etwa 1.300 Druckschriften und über 330 Arbeiterorganisationen, darunter auch die SAP und Gewerkschaftsverbände, verboten. Tausende Menschen wurden verhaftet und inhaftiert oder zur Emigration gezwungen.

Mit Gesetzen und polizeistaatlichen Verfolgungsmaßnahmen konnten sozialistische Ideen aber nicht unterdrückt werden. Das Sozialistengesetz verstärkte vielmehr die Opposition der Arbeiterbewegung gegenüber dem konservativen Staat und stärkte das Klassenbewusstsein von Arbeitern.

Die Verfolgung unter dem Sozialistengesetz hinterließ bei vielen Menschen tiefe Verbitterung und führte zu einer dem Staat fremd gegenüberstehenden sozialdemokratischen Milieukultur. Die Sozialdemokratie zu zerschlagen, gelang Bismarck mit dem bis 1890 immer wieder verlängerten Sozialistengesetz nicht. Zwar war die SAP ab 1878 offiziell verboten, ihre Reichstagsfraktion blieb jedoch bestehen: Da die Wahlgesetzgebung die reine Persönlichkeitswahl vorsah, behielten die Sozialdemokraten ihre Reichstagsmandate. Die sozialdemokratische Fraktion konnte ihre Stimmen bis 1890 verdreifachen: Bei den Reichstagswahlen von 1881 bis 1890 nahmen die Stimmen für Sozialdemokraten von etwa 312.000 auf 1,4 Millionen zu.

Nach Bismarcks Entlassung 1890 verlängerte der zwei Jahre zuvor zum Kaiser gekrönte Wilhelm II. das Sozialistengesetz nicht: Er war zunächst auf Ausgleich mit der Arbeiterbewegung bedacht. Die Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes führte 1890 zur Neugründung der SAP als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Sie wurde vor dem Ersten Weltkrieg die mit Abstand mitgliederstärkste Partei und stellte 1912 erstmals auch die stärkste Reichstagsfraktion.

Ein Pendent dazu

Der Adenauer-Erlass ist die umgangssprachliche Bezeichnung für den am 19. September 1950 von der Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) gefassten Beschluss zur Verfassungstreue der öffentlich Bediensteten in der Bundesrepublik Deutschland. Dadurch war es diesen Personen verboten, Mitglied in Organisationen zu sein, die die Bundesregierung als verfassungsfeindlich einstufte.

Hintergrund

Hintergrund waren die verstärkten ideologischen Auseinandersetzungen im Kalten Krieg, wie sie sich etwa bei der ersten Bundestagswahl 1949 gezeigt hatten, als die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 5,7 % und die rechtsextremistische DKP-DRP 1,8 % erhalten hatten und ins Parlament eingezogen waren.

Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage hierfür war § 3 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes, der festschrieb, dass die „im Dienste des Bundes stehenden Personen … sich durch ihr gesamtes Verhalten zur demokratischen Staatsauffassung bekennen“ müssen. Der Adenauer-Erlass hat dies dahingehend präzisiert, dass die „Gegner der Bundesrepublik“ nach Auffassung der Bundesregierung ihre Bemühungen verstärkten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu untergraben. Im Erlass hieß es weiter: „Wer als Beamter, Angestellter oder Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Staatsordnung teilnimmt, sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt, … macht sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig.“ Es folgte die Aufzählung von 13 Organisationen, deren Unterstützung für unvereinbar mit den Dienstpflichten erklärt wurde.

Der Erlass richtete sich explizit gegen 11 tendenziell linke sowie gegen zwei nationalsozialistische Organisationen, das Schwergewicht lag beim Kampf gegen den Kommunismus. Neben der KPD enthielt die Aufzählung unter anderem auch die FDJ, den Kulturbund und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Der Erlass wurde insofern kritisiert, als er formal auf die reine Mitgliedschaft abhob und nicht auf eine Einzelfallprüfung. Im öffentlichen Dienst tätige Personen, deren Verfassungstreue in Frage gestellt wurde, mussten mit Leistungskürzungen und Entlassungen rechnen, zumal im Erlass selbst „unnachsichtiges“ Vorgehen gegen „Schuldige“ angemahnt wurde und sich Bundesländer und Kommunen dem Erlass anschlossen. In der Folge wurden daher mehrere tausend Bedienstete auf ihre Verfassungstreue überprüft und bestraft. Die nationalsozialistische SRP wurde 1952 verboten, das KPD-Verbot folgte 1956. Anfang der siebziger Jahre wurde der Adenauer-Erlass in Form des Radikalenerlasses wieder aufgegriffen.

 

 

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