Notizen vom Ende der unipolaren Welt - ab 20. Oktober 2022 im Handel -
Quelle: Mathias Bröckers, Notizen vom Ende der unipolaren Welt 56
So gelassen, wie die Bundesregierung mit Terroranschlägen auf deutsche Infrastruktur umgeht, hat es den Anschein, dass man wie einst einst Merkel gegen das “Abhören” nunmehr auch gegen das “Pipelinesprengen unter Freunden” einfach nichts machen kann. Und nicht einmal sagen darf, ob und wie man gedenkt, den Anschlag zu ermitteln und den Tätern auf die Spur zu kommen. Man sei, so erfuhr Sahra Wagenknecht auf eine kleine Anfrage, „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.“
Schön mal wieder von ihm hören,
dem guten alten “Staatswohl”, dem es gesundheitlich ja ziemlich gut zu gehen scheint, wenn es den Verlust wichtiger Versorgungsadern so locker hinnehmen kann. Und es seiner Gesundheit sogar für zuträglich hält, sich um mögliche Ursachen keinen Gedanken zu machen oder Auskünfte zu geben. Staaten, denen von Terroristen wichtige Versorgungseinrichtungen zerstört werden, würden normalerweise Zeter und Mordio schreien und alle Fahndungsregister ziehen, um die Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen. Und ihre Bürger, für deren Sicherheit und Infrastruktur der Staat verantwortlich ist, regelmäßig auf dem Laufenden halten – über den Stand der Ermittlungen und der Planungen, solche Terrorattacken künftig zu verhindern: Task-Force, Sonderstäbe, Untersuchungsausschüsse, das ganze Programm. Wie so etwas aussieht, wenn ein Staat alles in Bewegung setzt, um einen Terroranschlag aufzuklären, kann man an den an detaillierten Erkenntnissen sehen, die russische Ermittler innerhalb kurzer Zeit über den Tathergang und die Täter der Attacke auf die Krim-Brücke gewonnen und veröffentlicht haben . Auch wenn sich noch nicht beurteilen lässt, wie “gerichtsfest” die vorgelegten Beweise sind, gewinnt man zweifellos den Eindruck: so geht Anti-Terror-Ermittlung und Polizeiarbeit. Während hierzulande unter Berufung auf die „Third-Party-Rule“ für die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste entspanntes Nichtstun und verordnetes Aussitzen herrscht. Und nicht einmal Abgeordnete und die parlamentarische Geheimdienstkontrolle erfahren dürfen, ob und wie die Regierung den Anschlag aufzuklären gedenkt.
Die Schweden waren als direkte Anrainer zuerst am Tatort, wollen aber “unter Freunden” nicht verraten, was ihre Taucher dort möglicherweise ans Spuren gefunden haben. Dass es der Ausweis eines russischen Matrosen war, ist immerhin ausgeschlossen, denn das wäre sofort gemeldet worden. Die deutsche Bundespolizei ist nach knapp zwei Wochen dann auch mal gemütlich zur Besichtigung des Tatorts aufgebrochen, was dann immerhin eine Eilmeldung der “Tagessschau” wert war – allerdings nur, weil man keine passende Tauchausrüstung dabei hatte und unverrichteter Dinge wieder abzog. Auch Profis können ja mal vergessen, dass die Ostsee 70 Meter tief ist und wenn sie es für das “Staatswohl” tun, um so besser…
Es fragt sich allerdings, um welchen Staat und sein Wohl und Wehe es hier eigentlich geht. Nehmen wir mal an, die amerikanischen “Freunde”, denen deutsche Energieversorgung aus Russland seit über 50 Jahren ein Dorn im Auge ist – siehe dazu “Der unverziehene Strang nach Osten” (Spiegel, 12/1982) – haben ihre britischen, polnischen und skandinavischen Vasallen angespitzt, die Nordstream-Pipelines zu sprengen. Die deutschen Dienste lässt man bei dieser Operation außen vor, erinnert sie dann aber an ihr Schweigegebot und lässt sie auch nicht selbst ermitteln. Weshalb mit der Berufung der Bundesregierung auf das “Staatswohl” auch nicht der deutschen Staat gemeint sein kann, sondern nur das Wohl der “Third Parties”, der “Freunde” in den USA und ihre Vasallen. Dass die Attacken auf die Nordstream-Pipeline, ähnlich wie 2014 die auf den Flug MH-17 über der Ukraine (oder wie 9/11), nicht wirklich ermittelt und aufgeklärt werden, sondern “auf dem weiten Feld der Spekulationen, Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien versumpfen” , hatte ich hier (Notizen *52) schon angemerkt. Genau so scheint es zu laufen. Und es sollte sich niemand wundern, wenn in ein paar Wochen dann “Bellingcat” oder andere “Faktenchecker” in Propagandadiensten mit einer Super-Recherche die Unterwasser-Smoking-Gun aufdecken, die dann doch auf Täter aus dem “Umfeld Putins” verweist…
Unterdessen beklagt die US-Journalistin Ann Applebaum, Gattin des polnischen Ex-Ministers, der sich für den Nordstream-Anschlag mit “Thank You, USA” bedankte, dass man aus Deutschland keine Panzer an Kiew liefert, weil man sich einen Sieg der Ukraine einfach nicht vorstellen will: “Wie wird es Europa verändern, wie wird es Russland verändern, wie wird es das Gleichgewicht der Kräfte verändern? Ich glaube, dass die Situation mit den Panzern genau damit zusammenhängt.” Sie glaubt bei ihrem Talk im “Progressiven Zentrum” auch noch ganz viel anderes, hat aber entweder keinen Schimmer, dass nach aktuell 5876 zerstörten Panzern der ukrainischen Armee ein paar hundert mehr keine Rolle mehr spielen, oder will für ihre Auftraggeber im Militärisch-Industruellen-Komplex einfach nur diese wunderbare Abwrackprämie beibehalten, für die auf ukrainischer Steppe derzeit von den Russen gesorgt wird. Dass es nach der General-Strategie des Pentagon – “unterbreche niemals den Geldfluß!” – aber noch ein ganze Weile so weiterergeht, ist nicht zu erwarten, denn nicht den Russen, sondern dem Westen gehen die Waffen aus.
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