07. Februar 2023   Themen

Bundesregierung: Gesinnungsstrafrecht auf dem Vormarsch

Konzerninteressen gehen vor -  Kritik unerwünscht - statt Aufklärung Propaganda

Recherche: WDR-Journalist nach Kommentar zu Braunkohleabbau in Lützerath kaltgestellt

Von Kristian Stemmler
 

Einst wurde die größte unter den Sendeanstalten der ARD, der Westdeutsche Rundfunk, kurz: WDR, von konservativen Kräften als »Rotfunk« beschimpft. Aber das ist mehr als 40 Jahre her. Heute riskieren für den Sender arbeitende Journalisten, die etwa den Energiekonzern RWE zu deutlich kritisieren, ihre Stellung. Das zeigt der Fall von Jürgen Döschner, der seit knapp 40 Jahren für den WDR arbeitet und sich jetzt genötigt sah, vor das Arbeitsgericht Köln zu ziehen, weil die Verantwortlichen des Senders ihn kaltgestellt haben.

 

Um Döschner für kritische Kommentare abzustrafen, wählte die WDR-Führung Methoden, die nicht nur in der Medienbranche gern für »Mobbing von oben« genutzt werden. Er bekam keine Aufträge mehr und wurde versetzt. Dabei gehört der seit 1984 für den WDR tätige Journalist zweifellos zu den profiliertesten Mitarbeitern. Er war von 1997 bis 2002 Korrespondent und Studioleiter im ARD-Hörfunkstudio Moskau. Von 2003 bis September 2015 arbeitete der Duisburger in der Wirtschaftsredaktion des WDR-Radios, leitete zudem den Aufbau des Bereichs »Investigativer Journalismus« beim WDR-Hörfunk. Von Ende 2011 bis 2017 war Döschner offizieller »Energieexperte« des ARD-Hörfunks.

Warum Döschner in Ungnade fiel, beleuchtete das Recherchezentrum Correctiv auf seiner Homepage Ende Oktober. Demnach stand er spätestens seit 2015 bei den WDR-Granden in der Kritik, weil er es in einem Kommentar gewagt hatte, die Besetzung des rheinischen Tagebaus Garzweiler als »nicht legal, aber legitim« und den Vorwurf des Hausfriedensbruch gegenüber den Klimaaktivisten als »absurd« zu bezeichnen. Offenbar ein Tabubruch. Der Sender habe daraufhin verfügt, so heißt es bei Correctiv, dass Döschner nicht mehr auf den Sender dürfe, ohne zugleich auch die »Gegenposition« darzustellen.

Noch mehr Ärger hatte Döschner im September 2019 für einen Radiobeitrag bekommen, der eine von anderer Seite heimlich mitgeschnittene Äußerung des damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) enthielt. Darin räumte Laschet offen ein, seine Regierung habe für die Räumung des Hambacher Forstes ein Jahr zuvor einen Vorwand gebraucht. Döschners Beitrag stand am 18. September 2019 in der ARD-Audiothek, aber nur zweieinhalb Stunden, dann war er gelöscht – nach Recherchen von Correctiv in Absprache mit WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn. Der schrieb in einer internen Mitteilung, aus der das Recherchezentrum zitiert: Er vermisse Kommentare, die anerkennen, »dass besser ein modernes Kohlekraftwerk wenig CO2 ausstößt als viele ältere Kraftwerke viel«.

Seit dem Laschet-Beitrag habe Döschner, so heißt es weiter bei Correctiv, so gut wie keine Berichte, Kommentare oder anderen Beiträge mehr »in sämtlichen Ausspielwegen des WDR« absetzen können. Trotz eines Jahresgehalts von rund 100.000 Euro arbeite der Redakteur nur noch höchstens fünf Stunden im Monat, so wird Döschners Anwalt Jasper Prigge zitiert. In den vergangenen drei Jahren sei Döschner nur noch ein Zehntel der früheren Zeit auf Sendung, und dann auch meistens bei einer der kleinsten WDR-Wellen, »Cosmo«, zu der er zuletzt versetzt worden war.

Beim Arbeitsgericht Köln hat Prigge in Döschners Auftrag auf eine Entschädigung wegen »Nichtbeschäftigung« geklagt. Der Streitwert liegt bei 75.000 Euro. Für die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union bei Verdi, Monique Hofmann, hat der »Fall Döschner« grundsätzliche Bedeutung. »Er wirft erneut die Frage auf, wie es im WDR inzwischen eigentlich um den Umgang mit Machtmissbrauch bestellt ist«, sagte Hofman gegenüber dem Recherchezentrum. In einem Sender, der es sich auf die Fahne geschrieben habe, im Kampf gegen Machtmissbrauch voranzugehen, stoße »der unangemessene Umgang mit einem renommierten Journalisten doppelt auf«.

 

 

 

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