29. Oktober 2023   Themen

Schon länger her, Habecks Rückzug von Facebook und Twitter

Der Grünenchef Habeck verteidigt seinen Facebook- und Twitter-Ausstieg, die Reaktionen fallen schnell, kurz, hämisch und spöttisch aus. "Dabei beweist er mit der selbstverordneten Social-Abstinenz vor allem eines: Mut", erklärt der Spiegel. Ist das so?  Oder hat das Ganze doch mehr mit Eitelkeit und sogenannter Feigheit vor dem "Feind" zu tun?


Quelle: SPIEGELKultur, 09.01.2019, 21.38 Uhr Von Arno Frank

Social-Media-Rückzug des Grünenchefs Bleib weg, Habeck

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Robert Habeck ist nicht mehr bei Twitter präsent. Und mehrheitlich reagieren Nutzer auf diese Entscheidung exakt so, wie das Medium selbst sich seine Nutzer inzwischen zugerichtet hat - schnell, kurz, hämisch, spöttisch. Eine beeindruckende Illustration all der guten Gründe, das Twittern sein zu lassen.

Was immer einem politischen Gegner der Grünen zuerst durch den Kopf gehen mag, es ist auf Twitter nachzulesen. Er überlässt "das Feld den Rechten", er kneift beim ersten "lauen Lüftchen", er ist von der Geschwindigkeit der digitalen Kommunikation - und damit der Zukunft - überfordert.

Robert Habeck wäre, ginge er auf alle Anwürfe einzeln ein, die kommenden Wochen gut beschäftigt. Stattdessen hat er in einem Gespräch mit der traditionell entschleunigten "Zeit" im Rundumschlag selbstkritisch dargelegt, von Twitter zu "aggressiverer und zugespitzer Kommunikation" verlockt worden zu sein. Er hat sein eigenes Video zum Wahlkampf in Thüringen gesehen und will vor sich selbst erschrocken sein. Wie Narziss, der sich beim Blick in den Teich selbst nicht mehr gefällt.

 

Sein Erfolg als Politiker beruht zu einem großen Teil darauf, dass er sich um ein "echtes Sprechen" bemüht. Nicht um die sorgsam verpackte Stanze, nicht um die Verlautbarung mit eingebautem Airbag. Habeck geht es ganz romantisch um Authentizität. Er will so smart rüberkommen, wie er sich sieht.

Elitäres Selbstbespiegelungskabinett

Dieses ostentativ Ungeschützte funktioniert auf Parteitagen, in Talkshows oder auch im direkten Gespräch. In den verwinkelten Echokammern der sozialen Netzwerke ist es zum Scheitern verurteilt. Es ist nicht möglich, von Leuten, die einen falsch verstehen wollen, richtig verstanden zu werden. Und umso ernüchternder, sich von solchen Leuten bei der Verbreitung von fragwürdigem Bockmist ertappen zu lassen.

Seine Entscheidung, auf gewissen Kanälen nicht mehr zu senden, mag als Scheitern bewertet werden - auch von Habeck selbst. Seine Erzählung geht so: Der Mensch reflektiert seine menschliche Schwäche und kehrt, soviel Autonomie muss sein, dem Algorithmus den Rücken. Als Signal an Wähler der Grünen, es mal mit Entschleunigung, "digital detox" und mehr Achtsamkeit zu versuchen, ist es nur konsequent und keineswegs ungeschickt.

Christian Lindner, ähnlich jung, eitel und "authentisch" wie Habeck, hat auf Twitter bereits seinen Verbleib auf Twitter damit erklärt, er betrachte es als seine "Verpflichtung als demokratisch gewählter Abgeordneter" da hinzugehen, "wo die Menschen sind, wo sie sich versammeln". Gerade so, als würden Abgeordnete bereits mit Likes oder Retweets ins Amt gewählt.

Wenn "die Menschen" in Masse überhaupt irgendwo sind und sich verbreiten, dann nicht im elitären Selbstbespiegelungskabinett von Twitter - sondern bei Facebook, dem eigentlichen "Feld" umtriebiger Mikropublizisten und Verschwörungstheoretiker, das man den Rechten "nicht überlassen" dürfe. Wenn überhaupt debattiert wird im Digitalen, und sei es auch noch so dumpf oder rauh, dann hier.

Sportliche Freude an der kommunikativen Verrohung

Hier wie dort kann übrigens von isolierenden "Filterblasen" und Selbstbestätigungsmilieus, in die unsere Gesellschaft angeblich zerfällt, keine Rede sein. Die Logik des Netzes ist die Vernetzung, das Problem der Blase ihre Transparenz. Wer nicht meiner Meinung ist, hockt nicht abseits in seinem eigenen Schützengraben - sondern mir direkt vor der Nase. Der polarisierende Dauerstress, der aus der andauernden Sichtbarkeit des Gegners resultiert, sollte nicht mit politischer Auseinandersetzung verwechselt werden. Er kann, anders als die echte Debatte, nichts Gedeihliches haben.

Interessant an der Empörung, der Empörung über die Empörung und der Debatte darüber ist die Ideologie dahinter, Twitter und andere soziale Netzwerke als entscheidende Orte politischer Meinungsfindung zu betrachten. Wonach folglich nur derjenige ein guter Politiker sein kann, der keiner rhetorischen Keilerei aus dem Weg geht und eine sportliche Freude hat an der kommunikativen Verrohung und Infantilisierung.

Qualifiziert es einen modernen Politiker, das auszuhalten oder aktiv zu betreiben? Permanent zu hetzen und sich zugleich gehetzt zu fühlen? Sind das die Tugenden, die wir brauchen? Dann wäre Donald Trump ein moderner Politiker.

Nun hat Robert Habeck notgedrungen eine Wette darauf abgeschlossen, dass einer Politik machen kann, auch wenn diese Seite nicht existiert. Dieses Wagnis ist ihm anzurechnen.

Video: Robert Habeck im Gespräch mit Susanne Beyer  (DER SPIEGEL)

 

 

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