01. November 2023   Themen

Deutschlands Kanzler ein Vorbild?

Rechtsgleichheit
Das Rechtsstaatsprinzip besagt u.a., dass für alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Gesetze gelten und sie vor Gericht auch gleich behandelt werden (Art. 3 GG). Nur Bundeskanzler sind vor dem Gesetz gleicher, sie haben den Kanzler-Bonus und manche von ihnen rechtsstaatlich genehmigte Gedächtnislücken. Es gab einmal eine Zeit, da war Anstand eine Kategorie, um Politiker und ihre Arbeit zu bewerten. Die Zeitenwende schob davor einen Riegel, was für ein Zufall ... (Roswitha Engelke)


"Skandale säumen seinen Weg",  schreibt Cicero

Quelle: Cicero, Von ULRICH THIELE am 7. September 2022

Im Kanzleramt sitzt ein skrupelloser Machtzyniker, dessen Karriere unfassbare Skandale und Vergehen durchziehen. Olaf Scholz macht sich sogar in aller Öffentlichkeit darüber lustig, dass er damit durchkommt. Wie konnte jemand mit so wenig Anstand so weit kommen?

„I will die!“, schreit Achidi John am 9. Dezember 2001 im Hamburger Institut für Rechtsmedizin. Der 19-Jährige ist panisch, wehrt sich mit Händen und Füßen, mehrere Polizisten halten ihn fest und fesseln ihn. Eine Ärztin führt dem Zwangsfixierten einen Schlauch durch die Nase in den Bauch und führt durch die Sonde ein Brechmittel ein. Achidi John übergibt sich, wobei er Rauschgift-Kugeln herauswürgt. Dann bricht er zusammen und erleidet einen Herzstillstand – drei Tage später wird er im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf für tot erklärt.

 

John, ein abgelehnter Asylbewerber aus Afrika, hatte die abgepackten Drogen offenbar beim Zugriff der Polizei heruntergeschluckt. Wenn Beamte den Verdacht haben, dass ein mutmaßlicher Dealer versucht, auf diese Weise Beweismaterial zu verstecken, haben sie zu dieser Zeit in mehreren deutschen Großstädten die Möglichkeit, die vermuteten Drogen mit dem zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln zu konfiszieren. Etliche Mediziner und Juristen bezeichnen die Methode als menschenunwürdig und lebensgefährlich. Spätestens, seit im Jahr 1998 ein Verdächtiger in Frankfurt am Main fast zu Tode gekommen ist, wird auch in der breiten Öffentlichkeit vermehrt über das Thema diskutiert.

„Gesundheitlich unbedenklich“

Olaf Scholz lässt all das außen vor, als er die Prozedur im Juli 2001 in Hamburg einführt. Er ist Innensenator der Hansestadt und die Bürgerschaftswahl steht vor der Tür. Die CDU und Ronald Schills rechtspopulistische Partei Rechtsstaatlicher Offensive treiben die rot-grüne Koalition vor sich her und drohen, sie beim Thema „Law and Order“ zu überholen, indem sie – angebliche – Mängel in der Kriminalitätsbekämpfung anprangern. Schill fordert schon seit Monaten die Erlaubnis für Brechtmitteleinsätze. Die SPD verurteilt die Methode als „menschenverachtende und gesundheitsgefährdende Zwangsmaßnahme“.

Doch als sich in den Umfragen abzeichnet, dass CDU und Schill-Partei die rot-grüne Koalition ablösen könnten, leitet Scholz, der als Vorsitzender für den Wahlkampf verantwortlich ist, die Kehrtwende ein. Im Juli 2001 gibt er grünes Licht für den Brechmitteleinsatz. Fortan reicht es aus, wenn ein Beamter Kaubewegungen bei einem Verdächtigen wahrnimmt. Die Methode sei „gesundheitlich unbedenklich“, sagt Scholz.

Wider die Fakten

Das ist – wie so oft – die Unwahrheit. In Städten wie Frankfurt, Bremen und Düsseldorf, in denen zu dieser Zeit bereits seit Jahren Brechmitteleinsätze durchgeführt werden, sind zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen es bei Betroffenen zu schweren Kreislaufzusammenbrüchen, inneren Verletzungen und wochenlang andauernden Brechreizen gekommen ist. Mediziner bezeichnen besonders die Zwangseinführung durch eine Nasensonde als lebensgefährlich, renommierte medizinische Fachpublikationen warnen bereits seit den 1990er Jahren vor den lebensgefährlichen Risiken der Methode. Dr. Bernd Kalvelage von der Hamburger Ärzteopposition bezeichnet den Brechmitteleinsatz als „Todesstrafe durch die Hintertür.“ 1996 kommt das Frankfurter Oberlandesgericht zu der Einschätzung, dass das „zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln gegen die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten“ verstoße. Hinzu kommt: Wenige Monate vor Scholz' Erlass betont die Innenbehörde, die Scholz fünf Monate vor der Bürgerschaftswahl 2001 übernimmt, dass Brechmitteleinsätze zur Beweissicherung überflüssig seien.

Scholz' Versuch, CDU und Schill-Partei rechts zu überholen, hilft der SPD nicht. Im September 2001 wird die rot-grüne Koalition abgewählt. CDU, FDP und Schill-Partei bilden eine Koalition mit Ole von Beust (CDU) als Erstem Bürgermeister.

Er hält dran fest

Als Achidi John im Dezember 2001 stirbt, ist Scholz nicht mehr Innensenator. Ole von Beusts Regierung hält am Brechmitteleinsatz fest. Dass Menschenrechte nicht an Bedingungen geknüpft sind, will von Beusts Regierung nicht gelten lassen. Die Betroffenheit halte sich in Grenzen, sagt der Schill-Abgeordnete Frank Michael Bauer. Achidi John sei nicht Opfer, sondern Täter.

Berlin und Niedersachsen stellen die Foltermethode nach Johns Tod ein. Olaf Scholz hält unbeirrt daran fest. Auf keinen Fall will er den Eindruck entstehen lassen, seine Partei sei in puncto „Law and Order“ zu lasch. 2004 lässt er in das Wahlprogramm der Hamburger SPD schreiben, dass diese weiterhin zum Brechmitteleinsatz steht. 2006 entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Einsatz von Brechmitteleinsätzen menschenrechtswidrig und ein Verstoß gegen das Folterverbot der Menschenrechtskonvention ist.

Man sollte sich diese Tatsache deutlich vor Augen führen: Olaf Scholz hat auf Grundlage unwahrer Behauptungen einen Foltererlass eingeführt, der ein Menschenleben gekostet hat. Und das einzig aus dem Grund, Wählerstimmen zurückzugewinnen.

„Ich habe das nicht als Folter empfunden“

Die Wahlniederlage ist nur ein kleiner Rückschlag für seine Karriere. Wenige Monate nach seinem Erlass und Achidi Johns Tod kehrt er auf die Bühne zurück: Gerhard Schröder macht ihn nach der Bundestagswahl 2002 zum Generalsekretär der SPD. Der einstige Sozialist hat nun die Aufgabe, Schröders neoliberale Agenda-Politik zu verteidigen.

Das alles ist kein Geheimnis und bedarf keiner investigativen Recherche. Eine kurze Google-Recherche reicht, denn über Scholz‘ Vergehen wird seit 20 Jahren immer wieder (und auch ausführlicher als an dieser Stelle) berichtet, zum Beispiel hier, hier und hier. Der Youtuber Rezo veröffentlichte kurz vor der Bundestagswahl 2021 ein Video, in dem er in aller Deutlichkeit auf die Bedeutung des Brechmitteleinsatzes (und des Cum-Ex-Skandals) eingeht. Es wurde fast vier Millionen Mal geklickt. In Bürgerbefragungen vor der Bundestagswahl 2021 wurde er wiederholt auf sein Versagen angesprochen. Scholz scholzte sich wie immer heraus. „Ich habe das nicht als Folter empfunden“, antwortete er auf die Frage eines Bürgers in der Prosieben-Bundestagswahlshow.

2001 sprach er wohlgemerkt nicht von einem „Empfinden“, das ausschlaggebend für seinen Erlass gewesen sei, sondern verkündete wider die bekannte Faktenlage, die Maßnahme sei „medizinisch unbedenklich“, als sei das ein Fakt. Und trotzdem konnte ihm der Skandal bis heute nichts anhaben.

Der Cum-Ex-Skandal

Aus Machtkalkül heraus verantwortungslos handeln und hinterher keine Verantwortung dafür übernehmen. Sich in Widersprüche verwickeln und hinterher Nebelkerzen werfen und die Sache aussitzen. Motive, die sich wie ein roter Faden durch Scholz‘ Karriere ziehen. Sein Umgang mit dem Brechmittelskandal ist wie ein Muster, das sich im Umgang mit sämtlichen seiner Skandale und Fehlentscheidungen wiederfindet: Wirecard, G20, Nord Stream 2, HSH Nordbank und Cum-Ex, sein prominentester Skandal. Die Arroganz, mit der er ihn aussitzt, sucht ihresgleichen.


Weitere Artikel von Ulrich Thiele über Olaf Scholz und Cum-Ex:

 

Mehr

 

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute1
Gestern4
Woche25
Monat163
Insgesamt94811
 

Anmeldung