29. Juni 2018   Themen

Rüstungsmarkt Polizei

IMI-Analyse 2018/15 - in: AUSDRUCK (Juni 2018)

 

Teil I: Überblick und Gepanzerte Fahrzeuge

 

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 13. Juni 2018

Dieser Text ist der erste Teil einer Reihe, in der die aktuelle Militarisierung der Polizei aus der Perspektive des Rüstungsmarktes betrachtet wird. Im ersten Teil erfolgt eine grundlegende Einordnung des „Rüstungsmarkts Polizei“ und eine Übersicht zur aktuellen Beschaffung von gepanzerten Fahrzeugen.

„Grundsätzlich gilt: Wir müssen für Waffengleichheit sorgen.“
(Roger Lewentz, Innenminister von Rheinland-Pfalz, Anfang März 2015)

 

Mit diesem inoffiziellen Leitspruch des damaligen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz begann im Frühjahr 2015, nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris, ein Rüstungswettlauf der Polizeibehörden in Deutschland. So führte Lewenz im selben Interview mit der Welt aus: „Da alle 16 Länder eine bessere Ausrüstung beschaffen wollen, gibt es bereits Engpässe auf dem Markt.“ Dieser Trend ist allerdings keine bundesdeutsche Eigenheit, sondern europaweit zu beobachten.

Der Vorlauf der aktuellen Aufrüstung reicht jedoch deutlich weiter zurück, als es die aktuelle Debatte nahelegt. So waren die Anschläge in Paris der Punkt, an dem eine ohnehin anstehende Entwicklung mit einer öffentlichen Begründung, zunehmendem politischem Druck und der dadurch möglichen kurzfristigen Bereitstellung von Finanzmitteln zum Durchbruch gekommen ist. Die Ansätze der Aufrüstung gehen teils über zehn Jahre zurück – z.B. mit der Begründung, besser gegen Amokläufer vorgehen zu können.

 

Auch wenn die Kooperation zwischen Polizeibehörden und Rüstungsunternehmen aktuell neuen Aufschwung erhält, ist sie historisch nicht neu. So waren es neben der jungen Bundeswehr auch der bereits zuvor gegründete Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder, die in der Bonner Republik der Nachkriegszeit wichtige Abnehmer der wieder aufblühenden heimischen Rüstungsindustrie waren.

Angebot schafft sich Nachfrage

 

Spätestens seit dem Einmarsch der NATO in Afghanistan 2001 sind europäische Rüstungsunternehmen damit beschäftigt, Gerät, Ausrüstung und Waffen speziell für militärische Aufstandsbekämpfungsszenarien zu entwickeln. Eben diese Gerätschaften dringen in Deutschland – vermehrt seit 2015 – in den Polizeibereich vor.

 

In den USA als dem NATO-Staat mit der am weitesten vorangeschrittenen Militarisierung der Polizei und dem mit Abstand größten Militärhaushalt kommt die paramilitärische Polizeiausrüstung zumeist direkt vom Militär. So wurden bereits im „Krieg gegen die Drogen“ in den 1990er Jahren ausgemusterte Kriegswaffen vom Militär an Polizeibehörden weitergereicht. Aktuell ermöglicht es das berüchtigte „Programm 1033“ des Pentagon, u.a. Panzerfahrzeuge, ballistischen Körperschutz und Sturmgewehre, aber auch Hightech und Flugzeuge, die aus dem Irak- und Afghanistankrieg stammen, in die Hände lokaler Polizeibehörden zu übergeben.

 

In Europa hingegen versuchen die Rüstungskonzerne aktuell, das primär für das Militär entwickelte Gerät direkt an die Polizeibehörden zu verkaufen. Damit können Produkte, die auf dem teils gesättigten militärischen Markt kaum noch Absatz finden, oder solche, die bis jetzt nicht vom Militär abgenommen wurden, auf dem Polizeimarkt weiter für Gewinne sorgen.

So wird das Kriegsgerät z.T. in leicht modifizierten Varianten seit Jahren auf diversen Messen,(3) in Fachmagazinen, auf Tagungen und seit 2015 teils auch in der Öffentlichkeit beworben.
Ein Beispiel dafür ist der „Polizeipanzer“ Survivor R von Rheinmetall, der erstmals 2013 auf der Rüstungsmesse Eurosatory bei Paris für die militärische Anwendung vorgestellt wurde. Der Panzerwagen des Düsseldorfer Konzerns wurde allerdings laut Fokus von Beginn an sowohl für den Militär- als auch für den Polizeimarkt entwickelt.

 

Weil bis jetzt keine militärischen Abnehmer gefunden wurden, setzt Rheinmetall verstärkt darauf, bis zu 200 Survivor R an deutsche Polizeibehörden loszuwerden, um das Produkt überhaupt auf den Markt zu bringen. Daher wird der Survivor R seit 2015 immer aggressiver auch in Tages- und Wochenzeitungen, sowie mit eigenem YouTube-Format beworben, in dem Jean Pierre Kraemer, eine Größe der Tuningszene, den Panzerwagen gemeinsam mit dem Entwickler von Rheinmetall probefährt. Aber auch Probefahrten mit lokalen Polizeigewerkschaflern auf dem Firmengelände in Kassel gehören zur Öffentlichkeitsarbeit – mit dem direkten Ergebnis, dass die GdP Nordhessen noch vor Ort angekündigt hat, je einen Panzerwagen für die sieben nordhessischen Polizeipräsidien zu fordern.

 

Dazu kommen Sonderfälle, in denen Polizeibehörden direkt auf Rüstungsunternehmen zukommen, um gemeinsam neue Produkte zu entwickeln. So gingen 2010 die Polizeien Baden-Württembergs und Schleswig-Holsteins jeweils auf den Hersteller Mehler zu, um ballistische Schutzkonzepte für Streifenbeamt*innen bei Amokläufen zu entwickeln.(8) Der zusätzliche ballistische Oberkörperschutz (Baden-Württemberg) und das ballistische Schutzschild (Schleswig-Holstein), die aus den Kooperationen entstanden sind, erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit und sind in Streifenwagen in diversen Bundesländern deponiert.

Zahlen? Daten? Fakten?

 

Im Vergleich zum militärischen Rüstungsmarkt weist der Polizeimarkt einige Eigenheiten auf. Von besonderer Bedeutung sind die aufgrund des Föderalismus relativ dezentralen Strukturen, die im Verhältnis zum Militär eher kleinen Auftragsvolumen und die teils völlig fehlende Transparenz.

 

Für die Bundeswehr werden immer wieder Großaufträge zentral vergeben, die bei Großgerät wie Flugzeugen, Kriegsschiffen oder Kampfpanzern von der Entwicklung bis zur Auslieferung teils Milliardensummen verschlingen. Im Polizeibereich ist die Vergabe von Aufträgen jeweils Sache der Bundesländer und des Bundesinnenministeriums. Während die Bundeswehr zentral knapp 180.000 Soldat*innen ausrüstet, kommen alle 19 deutschen Polizeibehörden(9) gemeinsam zwar auf über 300.000 Vollzugsbeamt*innen, und damit bei Käufen von Waffen und persönlicher Ausrüstung theoretisch auf höhere Gesamtumsätze, die sich aber in kleinere und kleinste Einzelchargen aufteilen. So werden teils einzelne Panzerfahrzeuge oder ein paar Dutzend Gewehre beschafft. Große Chargen kommen nur zustande, wenn z.B. Ausrüstung für die gesamte Bundespolizei oder größere Länderpolizeien angeschafft wird.

Ein Sonderfall ist die in Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern geregelte bundeseinheitliche Beschaffung von „Führungs- und Einsatzmitteln“ der 17 Bereitschaftspolizeien durch das Innenministerium.

Während die Länderpolizeien nach dem Abkommen für Unterbringung, Ausbildung, Bezahlung und persönliche Ausstattung der Bereitschaftspolizist*innen zuständig sind, finanziert und beschafft der Bund zentral z.B. Funkausstattung und große Teile des Fuhrparks der Bereitschaftspolizeien der Länder, um eine größtmögliche Kompatibilität sicherzustellen. Über die Verwaltungsabkommen und ihre Umsetzung wacht der „Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder“ im Bundesinnenministerium – eine Art Polizist im Generalsrang.

Wenn also bundeseinheitlich neue Einsatzfahrzeuge beschafft werden, können Auftragsgrößen zustande kommen, die an den Dimensionen der Bundeswehr kratzen. So läuft z.B. seit 2011 die Beschaffung neuer Wasserwerfer für rund 50 Millionen Euro, und die Order von 76 neuen Überwachungsfahrzeugen (Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen) für die Bereitschaftspolizeien 2014 hatte ein Gesamtvolumen von 14 Millionen Euro.

 

Fortsetzung folgt ...

 

 

 

 

 

 

 

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