05. Juli 2019   Themen

Afghanistan: Tote und Verletzte nach Anschlag in Kabul

Es ist schon der achte Anschlag in Kabul in diesem Jahr: Ein Selbstmordattentäter hat in der afghanischen Hauptstadt eine Autobombe gezündet. Laut Polizei gibt es mehrere Opfer

 

Freitag, 31.05.2019   07:51 Uhr

 

Die Explosion einer Autobombe im Osten der afghanischen Hauptstadt Kabul hat mindestens sieben Menschen getötet oder verletzt. Alle Opfer seien Zivilisten, sagte ein Sprecher der Kabuler Polizei am Freitag. Weitere Details waren zunächst nicht bekannt.

Erst am Donnerstag hatte sich ein Selbstmordattentäter am Eingang der Marschall-Fahim-Akademie in die Luft gesprengt. Dabei starben nach offiziellen Angaben mindestens sechs Personen, 16 weitere wurden verletzt. Militärkreise sprachen von mindestens zehn Toten. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) reklamierte den Anschlag über ihr Sprachrohr Amak für sich.

Es ist das achte Attentat in Kabul in diesem Jahr. Bei 22 Anschlägen in Kabul im Vorjahr waren mehr als 550 Menschen getötet und über 1000 verletzt worden.


Immer öfter gibt es Angriffe auf Schulen. Hilfsorganisationen warnen: Die positive Entwicklung des Bildungssystems im Land sei in Gefahr.

 

Mehr als 190 militärische Angriffe auf Schulen hat es in Afghanistan im vergangenen Jahr gegeben. Das teilte das Kinderhilfswerk Unicef mit. "Die Bildung in Afghanistan ist unter Beschuss", sagte eine Sprecherin. Im Vergleich zu 2017 habe sich die Zahl der Attacken knapp verdreifacht.

Bis Ende vergangenen Jahres mussten laut Unicef über tausend Schulen in mehreren Provinzen geschlossen werden. Dabei hatte sich die Bildungssituation in Afghanistan zuletzt leicht verbessert: Laut der Kinderrechtsorganisation Save the Children hatten im Jahr 2015 neunmal mehr Kinder in Afghanistan Zugang zu Bildung als noch 2001.

Inzwischen geht der Trend allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Nach Schätzungen von Unicef gehen derzeit etwa 3,7 Millionen afghanische Kinder zwischen sieben und 17 Jahren nicht zur Schule, das ist die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder. Mädchen seien davon besonders betroffen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, nur ein Drittel der weiblichen Jugendlichen könne lesen und schreiben. Neben den fehlenden Schulen sind nach Angaben von Unicef auch die zunehmende Armut und die anhaltende Diskriminierung von Mädchen dafür verantwortlich.

Human Rights Watch berichtet auch davon, dass aghanische Sicherheitskräfte zunehmend Schulen als Stützpunkte nutzen, wenn sie in von den Taliban dominierten Gebieten Militäroperationen durchführen.

 

Damit gefährden sie Kinder und nehmen Tausenden ihre Bildungsmöglichkeiten, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die afghanische Regierung soll dringend Maßnahmen ergreifen, um die militärische Nutzung von Schulen zu begrenzen.

“Education on the Front Lines”

Military Use of Schools in Afghanistan’s Baghlan Province

Der 45-seitige Bericht „Education on the Front Lines: Military Use of Schools in Afghanistan’s Baghlan Province“ dokumentiert, dass staatliche Sicherheitskräfte und die Taliban in der nordöstlichen Provinz Baglan Schulen besetzen und anderweitig militärisch nutzen. Er basiert auf Interviews mit mehr als 200 Schuldirektoren, Lehrern und Verwaltungsangestellten sowie mit Familien aus der Provinz, die vom Konflikt betroffen sind. Überall in Afghanistan befinden sich immer mehr Schulbezirke im Kreuzfeuer des bewaffneten Konflikts. Viele Schüler riskieren ihr Leben, wenn sie Schulen besuchen, die von Soldaten genutzt werden und daher als militärische Ziele klassifiziert werden können. Andere können ihre Schulbildung nicht fortsetzen, bis sie eine alternative Einrichtung finden.

„Nicht nur die Taliban gefährden die Bildungsmöglichkeiten afghanischer Kinder, sondern auch Regierungskräfte, die Schulen besetzen“, so Patricia Gossman, Afghanistan-Expertin. „Die Kinder werden ausgerechnet von den Kräften in Gefahr gebracht, die sie schützen sollen.“

Jahrzehntelange, hartnäckige Konflikte haben das afghanische Schulwesen massiv beschädigt. Ganze Generationen hatten keine Bildungschancen. Seit Ende des Jahres 2001 konzentrieren sich viele Geberländer darauf, die zerstörte Schulinfrastruktur wieder aufzubauen.

Ausländische Geldgeber haben massiv in Bildung investiert. Sie haben Schulen aufgebaut, die Ausbildung von Lehrern gefördert sowie Schulbücher und andere Materialien an Schulen überall im Land verteilt. Aber im Zuge der sich verschlechternden Sicherheitslage geraten Schulen seit ein paar Jahren zunehmend in das Visier von Rebellengruppen und staatlichen Sicherheitskräften, die sie für militärische Zwecke nutzen.

In einem Fall griffen die Taliban im Jahr 2010 eine Mittelschule im Dorf Postak Bazaar in der Provinz Baglan an, die afghanische Sicherheitskräfte besetzt hatten. Sie erschossen sieben Polizisten in einem Klassenzimmer. „Wir konnten das Blut nicht mit Wasser entfernen“, sagte ein Schulmitarbeiter. „Wir mussten es mit einer Axt von der Wand abkratzen.“

Die Kinder werden ausgerechnet von den Kräften in Gefahr gebracht, die sie schützen sollen.

Patricia Gossman

Afghanistan-Expertin

Im Jahr 2015 besetzten Regierungskräfte die Schule erneut. Sie lagerten Sandsäcke in der zweiten Etage, während die Schüler in den unteren Etagen unterrichtet wurden. Besorgte Mitarbeiter der Schule erreichten, dass Entscheidungsträger in Kabul einen Brief an die Streitkräfte schrieben, in denen sie diese dazu aufforderten, das Gebäude zu verlassen. Aber der Kommandant ignorierte den Befehl. Als Schulmitarbeiter ihm während der Prüfungszeit erneut den Brief vorlegten, gaben Offiziere Schüsse in Richtung der versammelten Lehrer und Schüler ab.

Auch die Taliban nutzen Schulen in Baglan als Stützpunkte. Ihre Streitkräfte besetzten eine von der schwedischen Regierung finanzierte Schule im Dorf Omar Khail kurz nach ihrer Eröffnung im Jahr 2015. 350 Jungen und Mädchen hätten dort unterrichtet werden können. Die Dorfältesten appellierten erfolglos an die Taliban, die Schule zu verlassen. Anfang des Jahres 2016 griffen Regierungskräfte die Taliban in der Schule mit Schusswaffen und Mörsergranaten an. Die Taliban konnten fliehen, das Schulgebäude wurde vollständig zerstört.

Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft ist ein wesentlicher Erfolg der afghanischen Regierung, dass mehr Mädchen zur Schule gehen. Aber viele Eltern schrecken davor zurück, ihre Töchter zum Unterricht zu schicken, wenn sich Soldaten auf dem Schulgelände aufhalten oder die Gefahr besteht, dass die Schule angegriffen wird. All das nimmt Mädchen ihre Bildungsmöglichkeiten.

Unter dem Kriegsrecht sind Schulen zivile Gebäude, die nicht angegriffen werden dürfen, solange sie nicht für militärische Zwecke genutzt werden. Wenn Schulen unnötigerweise militärisch genutzt werden, widerspricht das der internationalen Erklärung zum Schutz von Schulen, die Afghanistan seit dem Jahr 2015 unterstützt. Die Erklärung ruft alle Konfliktparteien dazu auf, „Schulen und Universitäten keinesfalls zu nutzen, um militärische Ziele zu erreichen“.

„Ein Jahrzehnt des erfolgreichen Wiederaufbaus des afghanischen Bildungssystems und der zunehmenden Schulbildung von Mädchen sind gefährdet, solange das Militär Schulen nutzt und die Gefahr besteht, dass sie angegriffen werden“, sagt Gossman. „Die afghanische Regierung soll ihre Soldaten aus den Schulen entfernen.“

 

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