09. August 2021   Themen

Die Fregatte Bayern macht auf ihrer Ostasienfahrt auf Diego Garcia Station. Die Insel, Standort einer US-Militärbasis, ist laut UN-Gerichten von Großbritannien illegal besetzt

Quelle: GERMAN-FOREIGN-POLICY.com, 03.8.2021

Illegal besetzte Inseln

BERLIN/LONDON/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Die Fregatte Bayern wird auf ihrer am gestrigen Montag gestarteten Fahrt nach Ostasien in Kürze auf einer völkerrechtswidrig besetzten und zu militärischen Zwecken genutzten Insel Station einlegen. Bei der Insel handelt es sich um Diego Garcia, die Hauptinsel des Chagos-Archipels mitten im Indischen Ozean, auf dem die Vereinigten Staaten eine strategisch bedeutende Militärbasis unterhalten. Das Chagos-Archipel ist alter britischer Kolonialbesitz, der einst zu Mauritius gehörte, bei dessen Entkolonialisierung aber völkerrechtswidrig abgetrennt wurde, um den Bau des US-Stützpunkts zu ermöglichen. Die Bevölkerung wurde in Elendsgebiete auf Mauritius deportiert. Zu dem Vorgang liegen inzwischen mehrere Urteile internationaler Gerichte sowie eine Resolution der UN-Generalversammlung vor, die sämtlich feststellen, die Souveränität über Diego Garcia liege bei Mauritius; Großbritannien müsse ihm das Chagos-Archipel, das es rechtswidrig besetzt hält, zurückgeben. London und Washington verweigern sich dem bis heute. Berlin stört sich daran nicht.

 

Die "regelbasierte Ordnung"

Berlin begründet die Entsendung der Fregatte Bayern nach Ostasien offiziell mit dem Bestreben, sich für die Durchsetzung des Völkerrechts einsetzen zu wollen. Das bezieht sich insbesondere auf die Konflikte um zahlreiche Inseln und Atolle im Südchinesischen Meer, die zwischen den Anrainern umstritten sind und von denen nach Angaben des Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) 28 von China gehalten und teilweise militärisch genutzt werden. Die Philippinen kontrollieren laut CSIS neun, Malaysia fünf und Taiwan eine Insel, während Vietnam rund 50 Außenposten verschiedener Art errichtet hat; alle vier Länder sind auf einigen der von ihnen genutzten Inseln und Atolle ebenfalls militärisch präsent.[1] Allein auf China bezieht sich freilich die gestrige Äußerung von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, im Südchinesischen Meer werde zur Zeit versucht, "Gebietsansprüche nach dem Recht des Stärkeren durchzusetzen": "Als Verfechter einer regelbasierten Ordnung ist es uns nicht egal, wenn geltendes Recht missachtet wird und völkerrechtswidrige Fakten geschaffen werden".[2] Auch Außenminister Heiko Maas behauptet, die Bundesrepublik setze sich "im Indo-Pazifik" insbesondere "für die Einhaltung des Völkerrechts" ein.[3]

Kolonie mit Sklaven

Unabhängig von den Streitigkeiten im Südchinesischen Meer wären die Berliner Behauptungen wenigstens formal ein wenig glaubwürdiger, wäre nicht eines der ersten Ziele der Fregatte Bayern laut Angaben des Bundesverteidigungsministeriums Diego Garcia, die größte der Chagos-Inseln mitten im Indischen Ozean.[4] Die Chagos-Inseln zählen zum alten europäischen Kolonialbestand. Frankreich hatte sie 1783 in Besitz genommen und umgehend Sklaven aus Madagaskar und aus Mosambik auf sie verschleppt, um sie dort auf Kokosplantagen schuften zu lassen. 1814 riss Großbritannien das Archipel an sich; verwaltet wurde es von der britischen Inselkolonie Mauritius östlich von Madagaskar - bis 1965. In diesem Jahr trennte London die Chagos-Inseln als British Indian Ocean Territory (BIOT) völkerrechtswidrig von Mauritius ab, das sich auf seine - 1968 vollzogene - Entkolonialisierung vorbereitete. Der Grund für die Abtrennung: Die Vereinigten Staaten planten den Bau eines Marine- und Luftwaffenstützpunkts auf Diego Garcia; das Archipel sollte deshalb nicht mit Mauritius in die Unabhängigkeit entlassen werden. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wurde die gesamte Bevölkerung - wohl gut 2.000 Menschen - deportiert: in Elendsviertel auf Mauritius und den Seychellen.[5]

Angriffskriege und Folterverhöre

Die Vereinigten Staaten haben ihre Militärbasis auf Diego Garcia nicht zuletzt als Startpunkt für Luftangriffe in zahlreichen Kriegen genutzt, darunter offen völkerrechtswidrige Angriffskriege wie der Überfall auf den Irak im Jahr 2003. Der Stützpunkt besitzt für die US-Streitkräfte bis heute höchste strategische Bedeutung; Experten stufen ihn als den "strategischen Schlüssel-Außenposten der USA im Indischen Ozean" ein.[6] Als nützlich erwies er sich auch für die Verschleppung von Verdächtigen in Folterverliese durch die CIA nach dem 11. September 2001. Lawrence Wilkerson, Stabschef des damaligen US-Außenministers Colin Powell von 2002 bis 2005, bestätigte Anfang 2015, Diego Garcia habe der CIA als "Durchgangsstation" gedient: Sie habe Verdächtige auf den Stützpunkt verschleppt, "wenn andere Plätze belegt waren oder als zu gefährlich oder unsicher galten oder wenn sie gerade nicht zur Verfügung standen".[7] In solchen Fällen habe man die Verschleppten nach Diego Garcia ausgeflogen "und sie dort, sagen wir mal, untergebracht und ab und zu befragt". Die damaligen Vorgänge sind bis heute nicht angemessen aufgeklärt worden; die Verantwortlichen für die Verschleppungs- und Folterverbrechen wurden nie belangt.

Das Urteil der UNO

Unabhängig davon wird die britische Kolonialherrschaft über Chagos, die die Grundlage für die US-Militärbasis bildet, seit Jahren international scharf attackiert. Die ehemaligen Bewohner haben es im November 2000 zunächst erreicht, dass ihre Deportation vom britischen High Court offiziell als Unrecht eingestuft wurde; um ihr Recht auf Rückkehr kämpfen sie bis heute. Mauritius hat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen die 1965 völkerrechtswidrig erfolgte Abtrennung der Chagos-Inseln geklagt und am 25. Februar 2019 Recht erhalten: Der IGH urteilte mit 13 gegen eine Stimme, Großbritannien müsse Mauritius das Archipel zurückgeben. Die eine Gegenstimme kam von der US-Richterin Joan E. Donoghue. Am 22. Mai 2019 forderte daraufhin die UN-Generalversammlung das Vereinigte Königreich mit 116 zu 6 Stimmen auf, dem Urteil des IGH Folge zu leisten und die Inseln binnen sechs Monaten freizugeben. London und Washington ignorierten das UN-Votum ebenso wie den IGH. Am 28. Januar 2021 schließlich schloss sich der Internationale Seegerichtshof der Vereinten Nationen in Hamburg dem IGH-Spruch an und konstatierte, die Souveränität über die Chagos-Inseln liege unverändert bei Mauritius.[8] Demnach halten Großbritannien und die USA Diego Garcia völkerrechtswidrig besetzt - zu militärischen Zwecken.

Berliner Moral

Laut Angaben des Bundesverteidigungsministeriums fährt die Fregatte Bayern, die gestern in Wilhelmshaven aufbrach, zunächst ins Mittelmeer, wo sie an der NATO-Operation Sea Guardian teilnehmen wird; nach der Weiterreise durch den Suezkanal und das Rote Meer wird sie sich dann in die EU-Operation Atalanta am Horn von Afrika einklinken. Anschließend ist die Reise in die pakistanische Hafenstadt Karatschi geplant, bevor die Fregatte den Indischen Ozean kreuzen und Diego Garcia anlaufen soll. Etwaige Kritik an "Gebietsansprüchen nach dem Recht des Stärkeren" (Kramp-Karrenbauer) und an einer konstanten Verweigerung der "Einhaltung des Völkerrechts" (Maas) hat Berlin mit Blick auf Diego Garcia nicht.

 

[1] Occupation and Island Building. amti.csis.org.

[2] Rede der Ministerin anlässlich des Auslaufens der Fregatte "Bayern". bmvg.de 02.08.2021.

[3] Außenminister Maas zur Abfahrt der Fregatte "Bayern" nach Asien. Pressemitteilung des Auswärtigen Amts. 02.08.2021.

[4] Die Route der "Bayern". bundeswehr.de 02.08.2021.

[5] Eine umfassende Darstellung der Geschichte der US-Militärbasis auf Diego Garcia bietet: David Vine: Island of Shame. The Secret History of the U.S. Military Base on Diego Garcia. Princeton/Oxford 2009.

[6] Blake Herzinger: The power of example: America's presence in Diego Garcia. lowyinstitute.org 15.02.2021.

[7] Ian Cobain: CIA interrogated suspects on Diego Garcia, says Colin Powell aide. theguardian.com 30.01.2015.

[8] Michael Vosatka: Seegerichtshof spricht Chagos-Inseln samt US-Basis "Diego Garcia" Mauritius zu. derstandard.de 29.01.2021.


 

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