Die seltsame Auffassung der Bundesregierung vom Grundgesetz und wer darüber entscheidet
Ulrich Engelke, 23.07.2013
In der Bundesrepublik kann jedermann nach Artikel 93 des Grundgesetzes (GG) Verfassungsbeschwerden erheben, die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden werden. Soweit zur Theorie. Die Praxis sieht jedoch anders aus.
In der Regel wird jedes Verlangen eines Bürgers zur Vorlage seiner Rechtsangelegenheit vor das BVerfG gerade auch von den Sozialgerichten abgelehnt. Das kommt nicht von ungefähr, denn gerade im neuen deutschen Sozialrecht lässt sich ohne weiteres eine zweistellige Anzahl von mutmaßlichen Verfassungswidrigkeiten ausmachen – die eigentlich eindeutig geklärt werden sollten.
Beängstigend ist die unglaubliche Arroganz de Sozialgerichte. Sie halten es offensichtlich schon deshalb nicht für notwendig, eine Frage dem BVerfG vorzulegen, weil sie sich die Kompetenz anmaßen, über Verfassungswidrigkeiten selbst zu entscheiden. Das kann man in diesem Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Nordrhein-Westfalen zeigen: nachlesen. „Das LSG kann keinen Verfassungsverstoß erkennen“. Ohne ein dementsprechendes Urteil des BVerfG ist die Feststellung jedoch bloße Anmaßung. In der Bundesrepublik Deutschland entscheidet also jedes poplige Sozialgericht über das Grundgesetz.
Das Thema ist brisant und aktuell, denn in Sachsen-Anhalt sollen nach dem Willen der Landesregierung die Flutschäden von 3000 Zwangsarbeitern beseitigt werden. Natürlich sollen sie dafür nicht regulär entlohnt werden, sondern verbleiben als Ein-Euro-Jobber in der staatlichen Verfolgungsbetreuung. So ist es in Deutschland. Die Zwangsarbeit lebt im großen Stil wieder auf und wer sich weigert, wird sanktioniert, muss hungern und verliert seine Wohnung. Selbst schuld! Und genauso wie einstmals hämmern uns die Medien in die Köpfe: „die Erwerbslosen sind alle zu faul zum Arbeiten!“ Die Bundeskanzlerin spricht dann mal wieder von „Arbeitsanreizen“ und meint genau dasselbe. Die Folgen? Volkswirtschaftlich in Bezug auf die Binnenkonjunktur ein Desaster. Erwerbslose müssen jede Arbeit zu jedem Lohn annehmen und schwächen damit entscheidend die Positionen der Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Es kommt nicht von ungefähr, dass in der BRD nach Einführung von Hartz-IV Deutschland international die Spitzenposition beim Lohndumping einnimmt. Inflationsbereinigt sind die Einkommen gerade bei den kleineren Einkommen um 20% gesunken. Deutschland ein Wirtschaftswunderland? Ja, aber nicht für das Volk. Und das alles angesichts steigender Mieten, Energiekosten und Nahrungsmittelpreise.
In de Bundesrepublik wird die Verarmung des Volkes mit Vorsatz betrieben und die Bundesregierung trickst, lügt und betrügt. Das Verständnis für das Grundgesetz oder die Anerkennung ist auf einen absoluten Tiefpunkt angekommen, wie die Antwort des Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 28. Juni 2013 auf eine Frage von Dr. Diether Dehm DIE LINKE (BT-Drucksache 17/14333) zeigt:
„Die Bundesregierung sieht in dieser gesetzlichen Regelung keinen Verstoß gegen die Grund- und Menschenrechte. Dass Artikel 12 Absatz 2 Grundgesetz (Freiheit von Arbeitszwang) durch § 16d SGB II nicht betroffen ist, entspricht der sozialrechtlichen Rechtsprechung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2012 - L 7 AS 557/12 B ER - zitiert nach juris).“
Damit schließt sich der Kreis. In der BRD entscheiden Sozialgerichte über das Grundgesetz und die Bundesregierung erklärt mit der Vorgehensweise der Sozialgerichte die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Dass das Grundgesetz in Artikel 93 die Prüfung dem BVerfG vorbehält, bedeutet offenbar nichts mehr. Man muss sich fragen, ist die Bundesregierung so ahnungslos oder tut sie nur so?
Nachwort:
Deutsches Recht
Das Verhältnis von Bundesrecht zu Landesrecht ist durch Art. 31 GG geregelt (" Bundesrecht bricht Landesrecht. "). Daraus ergibt sich für das deutsche Recht folgende Hierachie:
1. Bundesrecht
a) Grundgesetz
b) Allgemeine Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG )
c) Einfache Gesetze des Bundes (Art. 70 ff. GG )
d) Rechtsverordnungen des Bundes (Art. 80 GG )
e) Satzungen von Körperschaften des Bundes
2. Landesrecht
a) Landesverfassung
b) Einfaches Landesgesetz
c) Rechtsverordnung eines Landes
d) Satzung einer Körperschaft eines Landes
Links:
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=152039
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html
http://www.freitag.de/autoren/gebe/warum-hartz-iv-verfassungswidrig-ist
http://unabhaengig-und-parteilos.de/streitgesprach-zu-sanktionen-im-sgb-ii/