Der Militärisch-universitäre Komplex
(...) Unangenehm fallen da Studenten und Lehrkräfte auf, die Armee und Rüstungsproduzenten über Zivilklauseln von den Universitäten fernhalten möchten. Was soll denn dann bitteschön überhaupt noch relevantes an den Unis geforscht werden? An Lösungen zum Klimawandel vielleicht? (...)
Der Militärisch-universitäre Komplex
Quelle: IMI, Informationsstelle Militarisierung e. V., IMI-Standpunkt 2024/010 - in: junge Welt, 22.5.2024
(Dieser Standpunkt erschien lim Mai unter dem Titel „Rotlicht: Militärisch-universitärer Komplex“ in der Tageszeitung junge Welt.)
Was eine relevante Theorie oder Methode ist, die zu lehren lohnt, entscheiden für gewöhnlich die Dekane und Professoren in den Fakultätsräten mit anschließender Akkreditierung durch das Wissenschaftsministerium. Danach scheint der Gegenstand militärisch-industrieller Komplex als zu wenig aussagekräftig oder zu ideologisch, um an Universitäten vermittelt zu werden. Das Konzept geht auf den US-amerikanischen Soziologen C. Wright Mills zurück und der Terminus sogar auf den US-amerikanischen Präsidenten und ehemaligen General Dwight D. Eisenhower, der – von Mills selbst als Beispiel für den Drehtüreffekt zwischen US-Militär, Wirtschaft und Politik ins Spiel gebracht – in seiner Abschiedsrede vor den Gefahren für die Demokratie durch einen von ihm so bezeichneten Komplex warnte, bei dem die Interessen US-amerikanischer Rüstungskonzerne, der hohen Militärs und der Geheimdienste zusammenliefen.
Nach Auffassung hiesiger Universitätsbeamter ist dieser Ansatz aber vermutlich ohne jedes Erklärungspotential, in einem Land nämlich, in dem die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, zugleich in den Präsidien der beiden größten Lobbyorganisationen der Waffenindustrie sitzt, dem „Förderkreis Deutsches Heer e.V.“ und der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“, und in dem die verteidigungspolitischen Sprecher von SPD, CDU und FDP meist leitende Positionen in solchen Lobbyorganisationen innehaben.
Den, der Bevölkerung als ausweglos verkauften, Vorbereitungen für einen Krieg mit dem, der NATO militärisch weit unterlegenen Russland, die dieses Jahr zu Verteidigungsausgaben von rund 85% mehr als im Jahr 2019 bescheren (Sondervermögen und Ausgaben nach NATO-Kritierien außerhalb des Etats miteingerechnet), sollen jedenfalls keine Bemühungen im Wege stehen, die das Zivile und Militärische zu weit auseinanderdividieren wollen. Unangenehm fallen da Studenten und Lehrkräfte auf, die Armee und Rüstungsproduzenten über Zivilklauseln von den Universitäten fernhalten möchten. Was soll denn dann bitteschön überhaupt noch relevantes an den Unis geforscht werden? An Lösungen zum Klimawandel vielleicht?
Dass aber Kooperationen zwischen zivilen Forschungseinrichtungen und Rüstungsindustrie überhaupt Aufwind erhielten, hat laut dem Politikwissenschaftler Stefan Wallatschek, der den Begriff militärisch-universitärer Komplex in den vergangenen Jahren verbreitete, mit der „zunehmenden Ökonomisierung der Hochschullandschaft“ und der fortschreitenden wirtschaftlichen „Ungleichheit zwischen den verschiedenen Hochschulen“ zu tun. Allerdings kooperieren auch großzügig aus Exzellenztöpfen finanzierten Universitäten mit Firmen aus dem „Sicherheitssektor“, die Universität Tübingen etwa – trotz Zivilklausel – mit dem Rüstungszulieferer ZF Friedrichshafen.
Ein so heranwachsender militärisch-universitärer Komplex führt, analog zum Konzept des militaristisch-industriellen Komplexes, zu haltenden Verbindungen zwischen Militärs, Rüstungsherstellern und Universitätsleitungen und Professoren. Die für die drei Seiten profitablen Kooperation – Forschungsgelder und Projekte für die Professoren, billige Forschungsergebnisse und Nachwuchs für Militär und Rüstungsindustrie und natürlich die sogenannte Drehtür, die Offizieren und Ingenieuren honorierte Stellen an Universitäten und Dozenten gut bezahlte Stellen in Militär und Industrie ermöglichen – entwickelt gewisse Selbsterhaltungstriebe. Solange der Komplex die Politik von seiner wichtigen Rolle für die Landesverteidigung und von angeblichen Bedrohungen überzeugt, findet er seine Finanzierung und wird fetter.
Die veröffentlichte Meinung ist sich dabei einig: Um verteidigungsfähig, oder vielmehr kriegstüchtig zu werden, müssen alle, auch die Wissenschaften an einem Strang ziehen. Landesregierungen wie in Bayern und Hessen holen deswegen zum finalen Schlag gegen jene aus, die der deutschen Rüstungsindustrie die Vorsprünge durch staatlich geförderte Dual-Use Forschung nicht gönnen: Die Zivilklauseln sollen, wie in einem vom bayrischen Landtag bereits verabschiedeten Gesetz, direkt verboten oder, wie im hessischen Koalitionsvertrag von CDU und SPD festgehalten, „überprüft“ werden.
Unterstützung gibt es ganz von oben: Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) spricht sich ebenfalls für eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Bundeswehr aus, die Schulen sollen sich den Jugendoffizieren stärker öffnen. Ein Verbot der Zivilklauseln, die heute an rund 70 deutschen Universitäten gelten, lehnt sie jedoch ab.