Zweiklassen-Medizin / Missachtung der Menschenwürde Demenzkranker in psychiatrischen Kliniken
(...) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (...) Wird die Menschenwürde demenzkranker Kassenpatienten in deutschen Psychiatrie-Zentren tatsächlich real geachtet? Und gibt es nicht bereits eine Zwei-Klassenmedizin in Deutschland? Ist ein Gesundheitssystem, bei dem viele medizinische Leistungen privat bezahlt werden müssen und daher nicht mehr für alle Bürger erschwinglich sind, nicht bereits eine Zweiklassen-Medizin?
Beitrag: Roswitha Engelke
Akutbehandlungen in Notfällen, sagt man, stehen psychiatrische Praxen mit Notfalldienst, psychotherapeutische Ambulanzen, psychiatrische oder psychosomatische Kliniken zur Verfügung. Soweit so gut. Nehmen wir eine Klinik in einer bewaldeten Mittelgebirgsgegend südöstlich von Braunschweig ins Visier. Ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie mit Fachpersonal, Fachärzten, ausgebildeten Pflegern / Pflegerinnen und privaten sowie Kassen-Patienten mit verschiedenen Krankheitsbildern.
Befassen wir uns mit den dementen Kassen-Patienten. Sie liegen apathisch in ihren Krankenzimmern werden ruhiggestellt und vegetieren dahin. Sie haben ausgedient, leben in den Räumen ihrer Krankenanstalt, nur ein Blick aus dem Fenster in einen wunderschönen Park, den sie nicht betreten dürfen, ist alles was sie an "Freiheit" noch haben. Kommt es manchmal zu einem Eklat, weil ein Patient aufbegehrt, werden die PflegeInnen rabiat anstatt auf den Kranken mit Ruhe einzugehen wie sie es einmal gelernt haben. Demenzkranke können nichts für ihr "ausrasten" oder für "Beleidigungen" sie äußern sich so wie sie noch können und wie sie fühlen. Das sollte ausgebildetes Gesundheits-Personal wissen und nicht rabiat und grob-brutal auf den Kranken reagieren, wenn er nicht die Etikette würdigt. Gleichzeitig anwesende Angehörige verbal und physisch grob anzugehen, geht gar nicht. Man könnte fast annehmen, Menschenwürde und Verständnis werden nur anwesenden Privatpatienten zuteil und auf dem Tablett "serviert". Demente Kassenpatienten, die "Anderen", scheinen hier Menschen dritter Klasse zu sein, die sich zum Glück des Personals nicht zur Wehr setzen können/dürfen, a) weil die Demenz sie zunehmend in ihrer Aufmerksamkeit, der Sprache, des Auffassungs- und Denkvermögens sowie der Orientierung beeinträchtigt und b) weil sie unter Medikamenten-Einfluss stehen (zum Teil zu ihrer eigenen Sicherheit, zum Teil aber auch, um weniger Arbeit zu machen). Die Kranken sind praktisch wehrlos, diese Wehrlosigkeit macht die einen aggressiv, die anderen depressiv.
Auf dem Gelände befindet sich eine Gedenkstätte " Euthanasie Psychiatrie K..". Sieht man sich um, erscheint zwangsläufig das Bild der Skulptur vor den Augen. (Bild siehe unten)
Da den Patienten die Brillen weggenommen werden, denn sie könnten sich daran verletzten, tasten sich viele halbblind an den Wänden entlang oder kriechen suchend über den Flurboden. Der ganze Körper drückt Verzweiflung über den eigenen gesundheitlichen Zustand aus und das Entsetzen in den Augen über den Ort, an dem sie sich befinden, von dem sie nicht entkommen können, vergisst man nicht so schnell. Das Personal scheint jedes Mitgefühl verloren zu haben, Verständnis und Nächstenliebe für die Patienten würde ihm guttun. Das darauf Fixiertsein, die Kranken "ruhig zu stellen" ist beängstigend und abstoßend. Die Frage ist, prüft niemand von Zeit zu Zeit die Pflegekräfte, ob sie sich tatsächlich noch für diesen schweren Job eignen???
Wahrscheinlich wird Freundlichkeit und Verständnis für die Situation der Demenzkranken nur in der Privatstationen gezeigt.
Ist die Leitung der Institution mit der Zweiklassen-Behandlung einverstanden??
Lautet die Devise: Bisher hat sich noch niemand von den Kassenpatienten ernsthaft beschwert (Ironie)!
Die Personalsituation in der Klinik: Haben Angehörige Fragen sind Stationsärzte plötzlich erkrankt, ihre Vertretungen können keine Auskunft geben, weil sie angeblich nicht über die Kranken und deren Zustand informiert sind. Wie können sie dann im Notfall die richtige medikamentöse Entscheidung treffen? Am Freitagnachmittag, quasi am Wochenende, ist in der Station niemand bereit selbst eine minimale Antwort auf Fragen von Angehörigen zu geben. Man vertröstet sie: Der leitende Stations-Arzt ist vielleicht am kommenden Montag zurück, er wird sich dann bei ihnen melden. Der Stationsarzt meldet sich noch nicht einmal nach der Einlieferung von Patienten, um eine Kurzauskunft zur Beruhigung der Angehörigen abzugeben.
Unhöflichkeit und eine gewisse Frechheit gegenüber Besuchern scheint ein Normalzustand zu sein. Ein Beispiel: Ein Angehöriger sucht nach einem ersten Krankenbesuch aus dem Gänge-Labyrinth nach dem Ausgang, eine Ausschilderung im Krankenbereich gibt es nicht. Ein Mitglied des Pflegepersonal erscheint auf dem Flur und fragt in einem Tonfall als sei die Person ein flüchtiger Patient: Wo wollen sie hin? Die Antwort "zum Ausgang" wird nicht akzeptiert, die Frage wo wollen sie hin wird etwas aggressiver gestellt. Auf die gleiche Antwort wird lautstark folgendermaßen reagiert: "Warum antworten sie mir nicht?! Sind sie nicht in der Lage eine Antwort zu geben ...?!" - Tonfall und Wortwahl sind eine Frechheit.
Letztendlich kann der Besucher sich freuen, wenn ihm das Verlassen der Station erlaubt wurde, er selbständig den Ausgang aus dem Gänge-Labyrinth der Klinik gefunden hat und draußen wieder Freiheit atmen darf. Sie kommt einem schlagartig kostbar vor.