Sozialamt - Datenschutzverstöße gegen Leistungsberechtigte
Das Kreissozialamt Neunkirchen und der Datenschutz: schwere Datenschutzverstöße gegen Leistungsberechtigte
Diesmal geht es um ein besonders gravierendes Beispiel rechtswidriger Verwaltungspraxis – konkret beim Kreissozialamt Neunkirchen. Dort wird Menschen, die auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII angewiesen sind, mit vollständiger oder teilweiser Leistungsversagung gedroht, wenn sie bei der Weiterbewilligung keinen Blanko-Zugriff auf ihre Bankdaten gestatten.
Konkret verlangt die Behörde eine Ermächtigungserklärung, die es ihr erlaubt, bei allen angegebenen Banken und Geldinstituten eigenständig „Auskünfte, insbesondere über den Kontostand und Kontobewegungen der letzten sechs Monate“ einzuholen. Die Verweigerung dieser Entbindung soll zur Kürzung oder Einstellung der Leistung führen.
???? Schreiben des Kreissozialamtes, maßgeblich Seite 6: https://t1p.de/x7plb
Diese Praxis ist gleich mehrfach rechtswidrig und ein eklatanter Verstoß gegen geltendes Datenschutz- und Sozialrecht.
a. Rechtswidrige Ausforschung unter dem Deckmantel der Mitwirkung
Es gilt der Grundsatz: Nur rechtlich zulässige Mitwirkungspflichten dürfen eingefordert werden. Die Vorlage von Kontoauszügen ist in der Regel nur für die letzten drei Monate zulässig (BSG 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R). Vorliegend verlangt das Kreissozialamt Neunkirchen seit 2017 eine umfassende datenschutzrechtliche Entbindungserklärung für sechs Monate, die einer pauschalen Vollmacht zur Kontenausforschung gleichkommt.
Besonders perfide: Durch die Formulierung „insbesondere“ wird der Zugriff nicht einmal auf Kontostände und Bewegungen begrenzt – es wird ein Türöffner für beliebige Abfragen bei Banken und Sparkassen geschaffen. Das ist nichts anderes als ein rechtswidriger Freifahrtschein zur anlasslosen Schnüffelei in den Privatkonten hilfebedürftiger Menschen.
b. Verstoß gegen das Gebot der Datensparsamkeit und den Direkterhebungsgrundsatz
Solche Daten dürfen nur erhoben werden, wenn sie erforderlich sind (§ 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X) – das sind sie aber nicht, wenn Kontoauszüge vorgelegt werden. Außerdem ist die Anforderung von Kontoauszügen nur für drei Monate zulässig, nicht für sechs (BSG 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R).
Darüber hinaus verletzt die direkte Einholung der Daten bei Dritten den Direkterhebungsgrundsatz (§ 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X): Erst muss die betroffene Person selbst zur Auskunft aufgefordert werden, erst wenn diese sich weigert darf im Rahmen der Mitwirkungspflichten die Auskunft bei Dritten eingefordert werden.
Ein weiterer Skandal: Durch den Zugriff direkt bei der Bank umgeht das Amt gezielt die gesetzlich geschützte Möglichkeit zur Schwärzung besonderer personenbezogener Daten (z. B. zu Gesundheit, Religion, Sexualität), wie sie § 67 Abs. 12 SGB X ausdrücklich vorsieht (vgl. BSG 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R).
c. Drohung mit Leistungsentzug – rechtlich haltlos
Noch absurder wird es: Das BSG hat bereits 2009 klargestellt, dass es bei Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII eigentlich keine erneute Antragstellung für die Weiterbewilligung bedarf (BSG 29.09.2009 – B 8 SO 13/08 R). Die Androhung der Leistungsentziehung wegen unterbliebener oder unvollständiger „Folgeanträge“ ist daher schlicht rechtswidrig.
Fazit: Das Formular gehört abgeschafft – und die Praxis offengelegt
Dieses Formular des Kreissozialamtes Neunkirchen, das offenbar seit 2017 im Einsatz ist, sollte sofort aus dem Verkehr gezogen. Es ist nicht nur datenschutzwidrig, sondern zutiefst entwürdigend. Die Behörde hat offenzulegen, in wie vielen Fällen solche rechtswidrigen Bankabfragen bereits stattgefunden haben – und gegenüber den betroffenen Leistungsberechtigten zu erklären, dass von diesen unzulässigen Vollmachten kein Gebrauch gemacht wurde und künftig kein Gebrauch gemacht wird.
Kommentar:
Was hier praktiziert wird, ist ein staatlich angeordneter Kontrollwahn gegen die Ärmsten der Gesellschaft. Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, wie eine Sozialbehörde überhaupt auf die Idee kommt, sich eine solche „Schnüffel-Vollmacht“ erteilen zu lassen – und das auch noch im Rahmen der Grundsicherung. Wer so mit den Rechten Schutzbedürftiger umgeht, offenbart ein tief gestörtes Verhältnis zu Datenschutz, Verfassungsprinzipien und dem Sozialstaatsgebot.
Erweiterter Kommentar:
In den letzten Newslettern habe ich bereits auf rechtswidrige Praktiken beim Sozialamt des Main-Kinzig-Kreises hingewiesen – der Fall Neunkirchen reiht sich nahtlos ein. Solche „Einzelfälle“ sind längst strukturell. Die Aufgabe von Sozialverbänden, Wohlfahrtsorganisationen, politischen Parteien und der sozialen Arbeit muss es sein, systematisch Missstände zu benennen, Verwaltung zu kontrollieren und rechtswidrige Eingriffe konsequent öffentlich zu machen.