31. Mai 2025   Themen

Wohnen Mietstreik gegen das Geschäft mit dem Wohnen

Beitrag: Rosa-Luxemburg-Stiftung

Hintergrund | 26.05.2025 Soziale Bewegungen / Organisierung - Rosalux International - Commons / Soziale Infrastruktur - Wohnen Mietstreik gegen das Geschäft mit dem Wohnen

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In Spanien fordern Mieter*innen den Wohnungsmarkt heraus – mit Basisarbeit, Mietstreiks und landesweiter politischer Organisierung

Explodierende Mieten, Verdrängung und Wohnungsnot: In Spanien setzen sich Gewerkschaften der Mieter*innen gegen Immobilienwirtschaft und Wohnungspolitik zur Wehr – mit einer radikalen Analyse, kollektiver Organisierung und gezielten Mietstreiks. Ein Aktivist der Mietergewerkschaft Madrid beschreibt die vier Prinzipien, mit denen die Organisation gezielt «Mietermacht» aufbaut.

Pablo Pérez Ruiz ist Aktivist der Mietergewerkschaft Madrid (Sindicato de Inquilinas e Inquilinos de Madrid).

Die Mietergewerkschaft Madrid erlebt derzeit ein steiles Wachstum. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Mitglieder auf 3.000 verdreifacht, und die Zahl der Aktivist*innen liegt nun bei über 300. Die früher in den Stadtteilen kaum vertretene Gewerkschaft hat inzwischen sechs Basisgruppen im gesamten Stadtgebiet. Und das nicht nur in Madrid: In ganz Spanien entstehen immer mehr Gewerkschaften der Mieter*innen, die ein landesweites Solidaritäts- und Aktionsnetz aufbauen. Am 5. April fanden in 42 Städten zeitgleich Demonstrationen statt, an denen mehr als 200.000 Menschen teilnahmen und damit zeigten, dass die Mietergewerkschaften an Schlagkraft gewinnen und die Macht der Mieter*innen auf den Straßen des ganzen Landes sichtbarer wird.

Die Madrider Gewerkschaft betont seit langem, dass es angesichts der Gewalt des Wohnungsmarktes nur eine Option gibt: Die Mieter*innen müssen sich organisieren. Doch was bedeutet das genau? Wovon reden wir, wenn wir von der «Macht der Mieter*innen» sprechen? Wie kann sie aufgebaut werden, welche Ziele verfolgt sie? Im Folgenden stellen wir vier Kerngedanken vor, die zum Verständnis und vor allem zur Umsetzung in der Praxis beitragen.

Unser Gegner: Das Geschäft mit dem Wohnen

Spanien erlebt eine schwere und seit langem anhaltende Wohnungskrise. In Städten wie Madrid und Barcelona sind die Mieten in den letzten zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat der prozentuale Anteil der Mietausgaben an den Haushaltseinkommen historische Höchststände erreicht. Zwanzig Prozent der Bevölkerung wohnen zur Miete; ein großer Teil von ihnen ist nicht in der Lage, die übermäßigen Mieterhöhungen zu bezahlen. Diese Krise ist das Ergebnis unkontrollierter Spekulation, einer Politik, die großen Fonds und Immobilienspekulant*innen hohe Gewinne ermöglicht, sowie einer mangelnden Versorgung mit öffentlichen Wohnungen.

 

Ein Mangel an Wohnungen ist an und für sich nicht das Problem. In Madrid gibt es, wie in vielen anderen Städten auch, hohen Leerstand. Das Problem ist, dass Wohnungen nicht mehr als Wohnungen behandelt werden, sondern als Waren im Dienste einer renditeorientierten Wirtschaft: einer Wirtschaft, die darauf basiert, dass eine Minderheit Reichtum anhäuft, indem sie horrende Mieten für ein Grundbedürfnis verlangt. Blackstone und andere Private-Equity-«Geierfonds», Banken und weitere Profiteure geben heute den Ton an, weil sie die Schlüssel zu unseren Wohnungen in ihren Händen halten.

Die gewinnorientierte Immobilienwirtschaft vertreibt nicht nur Mieter*innen aus den Vierteln, verteuert das Leben und verschärft die prekären Lebensbedingungen derjenigen, die von ihrer Arbeit leben – sie zerstört das soziale Gefüge und zwingt uns zum Überlebenskampf in einer Stadt, die uns isoliert, überschuldet und mundtot machen will. Die Unantastbarkeit ihrer Profiteure ist zu weit gegangen. Jahrelang wurde uns gesagt, man könne nichts dagegen tun, das Geschäft mit Wohnraum sei unantastbar. Aber die Mietergewerkschaft zeigt, dass man sich nicht nur wehren, sondern auch in die Offensive gehen kann. Seit ihrer Gründung hat sie wichtige Erfolge erzielt und gezeigt, dass die Tage der Unantastbarkeit der Rentierkapitalist*innen gezählt sind. 

Vor kurzem hat die Gewerkschaft erreicht, dass Unternehmen wie Alquiler Seguro, das 22.000 Wohnungen im ganzen Land verwaltet, wegen Betrugs zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt wurden – genauer gesagt wegen illegaler Provisionen, Ausfallversicherungen und nicht zurückgezahlter Kautionen. Außerdem sorgt sie dafür, dass organisierte Mieter*innen nicht aus ihren Wohnungen vertrieben werden, unabhängig davon, wer ihre Vermieter*innen sind oder welche Karten diese auszuspielen. Wir bleiben in unseren Wohnungen, auch wenn sie versuchen, die Miete zu erhöhen, die Mietverträge nicht zu verlängern oder Geschichten über angebliche Kinder mit Eigenbedarf erfinden.

Die Koalitionsregierung aus der sozialdemokratischen PSOE und der linken Bündnispartei Sumar befindet sich im politischen Spannungsfeld zwischen dem Druck der Immobilienwirtschaft und den Forderungen der Bevölkerung. Die politische Debatte konzentriert sich auf mietenpolitische Fragen als «Marktproblem» und nicht auf das Recht auf Wohnen. So fehlen trotz der jüngsten Überarbeitung des Mietrechts, mit der etwa die Mietsteigerungen in einigen Gemeinden begrenzt wurden, auch weiterhin wirksame Maßnahmen zum Schutz der Mieter*innen.

Aus Sicht der Mietergewerkschaft Madrid scheitert die Mitte-Links-Politik daran, das Grundproblem anzugehen: das Geschäft mit dem Wohnen, also die Profitorientierung und Spekulation im Immobiliensektor. Trotz gegenteiliger Versprechungen bleibt sie gegenüber den großen Playern der Branche nachgiebig. Die Gewerkschaft mischt sich aktiv in Debatten um ein neues Mietrecht ein und mobilisiert Protest auf der Straße, um die Logik der Profitakkumulation zu durchbrechen und Wohnen als Gemeingut zu entkommerzialisieren. Dies bedeutet eine kritische Haltung gegenüber den Teilreformen der Regierung und die Hinwendung zu einer Gesetzgebung, die über eine Mäßigung des Marktes hinausgeht, mit dem gewinnorientierten Kapitalismus bricht und die Rechte der Mieter*innen umfassend schützt.

Vor diesem Hintergrund ist es der Mietergewerkschaft Madrid gelungen, eine starke Erzählung gegen das Renditesystem beim Wohnen zu entwickeln. Statt sich auf Nebenschauplätzen zu verlieren, haben wir die gewinnorientierte Immobilienwirtschaft als Hauptgegner der Rechte der Mieter*innen identifiziert. Der Kampf gegen diese hat breite Unterstützung gefunden, weil wir konkrete politische Forderungen mit einer soliden Basisorganisation verbunden haben. Dies war entscheidend für die Mobilisierung vieler Mieter*innen, die sich von der traditionellen Politik ignoriert fühlten. 

Unsere Methode: Gewerkschaftliche Basisarbeit

Eine Gewerkschaft ist keine NGO, keine Beratungsstelle und keine Partei. Sie ist eine Gewerkschaft, das bedeutet, dass sie sich von unten, unter Gleichen, organisiert, um gemeinsame Interessen zu vertreten: eine Wohnung, ein würdiges Leben und das Recht auf Stadt. Gewerkschaftsarbeit an der Basis bedeutet, nicht darauf zu warten, dass andere unser Leben in Ordnung bringen. Wir treffen uns, beraten uns gegenseitig, recherchieren gemeinsam zu unseren Vermieter*innen, unterstützen uns gegenseitig bei Zwangsräumungen und Mieterhöhungen und setzen uns notfalls zur Wehr. Wir delegieren nicht, wir entscheiden im Kollektiv.

Die basisdemokratische Gewerkschaftsbewegung ist überzeugt: Die Macht liegt nicht bei den Eliten – seien sie nun besser oder schlechter –, sondern bei der gesellschaftlichen Mehrheit. Aus dieser Haltung leitet sich unser Organisationverständnis ab, den Menschen nicht zu vorzugeben, was sie denken sollen, sondern bei ihren Erfahrungen und Lebensrealitäten anzusetzen. Mietermacht zu organisieren heißt, Gemeinschaft in einer Welt zu schaffen, die uns vereinzelt. Es bedeutet, Nachbarschaftsversammlungen wiederzubeleben, das Gespräch mit den Menschen nebenan zu suchen und zu erkennen, dass wir nicht allein sind.

Die Mietstreiks gegen den drittgrößten Vermieter Spaniens, den Geierfonds Nestar, die im Sinne der Mieter*innen zu einer Mietensenkung um 30 Prozent geführt haben, sind ein gutes Beispiel für diesen Ansatz. Wenn sich Mieter*innen organisieren und gegenseitig unterstützen, sind sie unaufhaltsam. Basisgewerkschaftsarbeit ist nicht nur eine Methode, sondern der Weg zur Transformation unserer Gemeinschaften.

Ein Schwerpunkt der Gewerkschaft liegt auf der kontinuierlichen Weiterbildung. Wissen ist Macht, und um effektiv kämpfen zu können, brauchen wir Werkzeuge, um uns besser zu organisieren. Deshalb hat die Gewerkschaft im Laufe der Zeit zahlreiche Schulungen angeboten, zu Schlüsselthemen wie den Grundsätzen gewerkschaftlichen Vorgehens, der Organisation in Straßenblöcken oder der Bildung regionaler Gruppen. Diese Schulungen stärken nicht die einzelnen Mitglieder, sondern auch den Zusammenhalt und die kollektive Kraft der Organisation.

Darüber hinaus hat die Gewerkschaft Publikationen wie das Organizing-Handbuch für Mieterinnen und Mieter und das Buch «Poder Inquilino» (Mietermacht) herausgebracht. Beide sind wichtige Ressourcen, gerade auch für neu organisierter Mieter*innen. Sie sammeln Erfahrungen und Strategien, dienen als Bildungsmaterial und bieten eine solide Grundlage für das aktive Engagement innerhalb der Bewegung. Die Verbreitung dieser Materialien ist entscheidend, damit die Ideen der Gewerkschaft jeden Winkel der Stadt erreichen und die Selbstverwaltung und Politisierung der Beteiligten vorantreiben.

In den Monaten vor den Großdemonstrationen am 5. April 2025 startete die Gewerkschaft eine neue Initiative: die Piquetes Inquilinos (Mietstreikposten). Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Organisation des Kampfes in den Stadtvierteln. Die Mietstreikposten sind Aktionsgruppen, die informieren, mobilisieren und Unterstützungsnetzwerke in den Nachbarschaften aufbauen, um Mieter*innen zu organisieren und die Unterstützung für Mietstreik zu erhöhen. Man braucht keine Vorkenntnisse, um mitzumachen: Es handelt sich um inklusive Aktionsräume, in denen jede*r sich für wirkliche Veränderung engagieren kann. 

Der Gewerkschaft ist es gelungen, in allen 21 Stadtteilen Madrids Mietstreikposten zu organisieren. Dort wird die gewerkschaftliche Basisbewegung lebendig und greifbar, und es entstehen Netzwerke der Solidarität, der gegenseitigen Unterstützung und des Widerstands gegen die Ausbeutung durch den Immobilienmarkt. Die Streikposten erweitern das Organisationskonzept der Gewerkschaft. Sie stellt damit ihre Fähigkeit unter Beweis, Menschen zusammenzubringen und zu mobilisieren, indem sie auf die Probleme aufmerksam macht, die das Wohnen zur Miete mit sich bringt.

Unser Werkzeug: Der Mietstreik

Ein Mietstreik bedeutet, Mietzahlungen einzustellen und das als Druckmittel einzusetzen. Dahinter steht ein vielfältiges Konzept mit unterschiedlichen Taktiken – je nach Konfliktlage, Zielsetzung und der Mobilisierungsmöglichkeit. Die Mietstreikposten spielen dabei eine wichtige Rolle: Sie helfen dabei, Mitstreiter*innen zu finden, zu mobilisieren und zusammenzubringen.

Derzeit finden in Madrid und Barcelona Mietstreiks gegen zwei der größten Vermieter des Landes statt. In mehreren Wohnblocks des Geierfonds Néstar-Azora verzichten die Mieter*innen auf die Zahlung eines Anteils von bis zu 30 Prozent ihrer Miete, da sie bestimmte Vertragsklauseln für missbräuchlich halten. In Barcelona hat die dortige Mietergewerkschaft einen vollständigen Mietstreik gegen Inmocriteria, eine Tochter der Bankgesellschaft La Caixa, begonnen. Dutzende Mieter*innen kämpfen für öffentlichen Wohnraum und gegen unlautere Verträge. Und diese Streiks sind erst der Anfang.

Für die Mietergewerkschaft Madrid ist der Mietstreik ein kollektives Mittel gegen Missstände, die Vermieter*innen verursachen. Die Streiks können unterschiedlich aussehen: So kann etwa die Mietzahlung für einen begrenzten Zeitraum ganz ausgesetzt werden, um eine Mietsenkung oder notwendige Reparaturen durchzusetzen. Möglich ist auch ein Teilstreik, etwa um missbräuchlich weitergereichte Grundsteuern oder überhöhte Nebenkosten abzuwenden, wie sie vor allem in Verträgen mit großen Immobilienunternehmen oder Hedgefonds üblich sind. Auch der Verbleib in der Wohnung bei Zahlung der bisherigen Miete nach Ablauf des Mietvertrags ist eine Form des Mietstreiks, mit dem Ziel, bessere Bedingungen für die Verlängerung auszuhandeln. Ziel der Mietstreiks ist die sofortige Verbesserung der konkreten Wohnsituation, aber auch, politischen Druck gegen hohe Mieten und prekäre Wohnverhältnisse aufzubauen.

Jeder Streik entwickelt eigene Dynamiken, Risiken und Aktionsformen. Doch alle verfolgen dasselbe Ziel: das Geschäft mit dem Wohnen in Frage zu stellen sowie Mietermacht und spürbaren Druck für Verbesserungen aufzubauen. Jeder einzelne Streik ist ein Schritt auf dem Weg zu einem größeren Ziel: einem landesweiten Mietstreik.

Erfolge in konkreten Konflikten schaffen Vertrauen und Legitimität, nicht nur rechtlich, sondern auch politisch. Denn im spanischen Rechtssystem ist der Mietstreik nicht vorgesehen. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei Mietminderungen wegen Mängeln oder bei missbräuchlichen Klauseln, lässt er sich juristisch leichter begründen. Aber letztlich hängt die Legitimität von Streiks von der sozialen und politischen Unterstützung ab. Deshalb werden alle Mietstreiks durch Öffentlichkeitskampagnen, Solidaritätsaktionen in der Nachbarschaft und mit Unterstützung der gesamten Gewerkschaft begleitet.

Ein Mietstreik ist nie der erste Schritt. Jeder Fall muss einzeln bewertet und ein Aktionsplan werden, der den Druck schrittweise erhöht. Der Mietstreik ist unser stärkstes Mittel, deshalb setzen wir ihn gezielt und überlegt ein, nachdem die anderen gewerkschaftlichen Instrumente ausgeschöpft sind.

Bei einem Mietstreik geht es nicht einfach ums Nichtzahlen. Der Mietstreik ist ein kollektiver Prozess, der Kraft aufbaut, um die Vermieter*innen ins Wanken zu bringen. Historisch gesehen waren Mietstreiks ein Mittel der Selbstverteidigung der unteren Bevölkerungsschichten in Zeiten, in denen das Wohnen zur Armutsfalle wurde. Das ist auch heute noch so. Mietstreiks erinnern uns an etwas Grundsätzliches: Die ganze Macht der Vermieter*innen hängt vom Geld der Mieter*innen ab. Wir sind es, die jeden Monat ihre Taschen füllen. Jede Miete, die wir zahlen, mehrt ihren Reichtum. Der Streik macht uns bewusst, dass wir, wenn wir uns organisieren, den Geldhahn zudrehen und unsere Macht zurückgewinnen können.

Der Kampf der Mieter*innen war immer ein Akt des Ungehorsams, ein Nein zu dem, was uns der Markt als «normal» vorgibt. Um den Kampf gegen das Geschäft mit dem Wohnen aufzubauen, sind außerdem neue Instrumente wie Widerstandskassen notwendig. Sie finanzieren die logistischen Kosten der Streiks, etwa Anwaltskosten, und schaffen eine solidarische Struktur, die zukünftige Mietstreiks unterstützt. Denn ein Streik ist nur so stark wie die Gemeinschaft, die ihn trägt.

Was undenkbar schien, ist Realität geworden: Der Mietstreik ist heute Thema in ganz Spanien. Dank der Organisierung Tausender Mieter*innen wird er in Medien und Politik breit diskutiert. Der Kampf gegen das Geschäft mit dem Wohnen ist sichtbarer denn je – und die Angst hat die Seiten gewechselt: Jetzt fürchten die Immobilieneigentümer*innen den organisierten Bankrott.

Unser Horizont: Kämpfe verbinden, Politik verändern

Die Macht der Mieter*innen ist kein Selbstzweck. Sie ist Teil eines größeren emanzipatorischen Projekts, das sich gegen ein System richtet, das Gemeingüter privatisiert und uns zu einem Leben in Armut verdammt. Wir wissen, dass es ohne ein Dach über dem Kopf keine menschenwürdige Arbeit gibt – und ohne einen bewohnbaren Planeten keine Zukunft. Deshalb muss sich der Kampf um das Wohnen mit den gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen, dem Umweltschutz, feministischen Bewegungen und anderen Kämpfen verbinden, die ebenfalls aus dem Alltag entstehen und sich dem Kapital entgegenstellen.

Unsere Gewerkschaft steht noch am Anfang dieses Prozesses, wird sich aber bewusster, welche Anforderungen aus den Konflikten erwachsen. Manchmal führt die Spezialisierung auf bestimmte Themen zu Abschottung, Uneinigkeit oder identitätspolitischen Sackgassen. Deshalb erprobt die Mietergewerkschaft Madrid neue Organisationsformen, die ein gemeinsames Vorankommen ermöglichen.

Ziel ist es, mittelfristig eine autonome, vielfältige und basisdemokratische politische Kraft aufzubauen, die aktiv in das gesellschaftliche und politische Geschehen eingreift und die Kräfteverhältnisse verschiebt. Die Verbindung unterschiedlicher Kämpfe soll den Weg zu einer umfassenden Gewerkschaftsbewegung ebnen, die nicht nur die Wohnungsfrage, sondern auch Rechte der Arbeiter*innen, Feminismus und Umweltschutz aufgreift. Dafür braucht es ein gemeinsames Dach, unter dem Ideen, Strategien und ein gemeinsames Zukunftsprojekt geteilt werden. Denn wenn wir keine Politik machen, machen andere sie für uns.

Dieser Zusammenschluss muss von unten, aus den Regionen heraus, entstehen. Es geht nicht um eine zentrale Koordination von oben, sondern um einen organischen Zusammenschluss von Initiativen vor Ort. Er muss deren Autonomie achten und die Einzelinitiativen durch Zusammenarbeit gegenseitig stärken. Dieser Prozess muss schrittweise verlaufen, zunächst durch die Stärkung bestehender Strukturen und langfristig mit dem Ziel, eine neue Plattform zu schaffen, die uns effektiv vernetzt.

In diesem Jahr haben wir dabei große Fortschritte erzielt. Die Bildung eines Gewerkschaftsbundes ist vorangekommen, und die Bündnisse mit anderen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen wurden gefestigt. Der Mietergewerkschaft Madrid hat bilaterale Beziehungen zu Kollektiven in verschiedenen Städten aufgebaut, Ressourcen und Strategien geteilt und gemeinsame Kämpfe sichtbarer gemacht. Auf regionaler Ebene entsteht ein solidarisches Netzwerk zwischen den Stadtvierteln, das über wohnungspolitische Forderungen hinausgeht. Gleichzeitig haben wir Räume für den Erfahrungs- und Wissensaustausch geschaffen, um die kollektive Handlungsfähigkeit zu stärken. Dieser Prozess hat den Horizont der Madrider Mietergewerkschaft erweitert, aber auch die Basisgewerkschaftsbewegung insgesamt organisch wachsen lassen, neue Bündnisse ermöglicht und die Kräfte in der Region vervielfacht.

Die von uns angestrebten Veränderungen erfordern eine gewerkschaftliche Ausrichtung, die das Leben in all seinen Facetten in den Mittelpunkt des politischen Handelns stellt. Eine Haltung, die nicht auf einen Machtwechsel wartet, sondern in den täglichen Kämpfen die Art von Gesellschaft gestaltet, die wir aufbauen wollen. Es ist ein revolutionärer gewerkschaftlicher Ansatz, der sich nicht auf Abwehrkämpfe beschränkt, sondern die Strukturen der Unterdrückung von Grund auf verändern will.

Mietstreiks, Basisgewerkschaften, Wohnungsgenossenschaften und ökosoziale Kämpfe sind keine isolierten Maßnahmen. Sie müssen Teil in einer gemeinsamen Strategie sein. Nur durch die Verbindung der Kämpfe können wir die notwendigen Kräfte von unten aufbauen, damit unsere Forderungen nicht vereinzelt bleiben. Gegen das «Rette sich, wer kann» des Marktes setzt die Gewerkschaft auf den Zusammenschluss und den Wiederaufbau einer Welt, in der ein gutes Leben kein Privileg ist.

Die Macht der Mieter*innen bedeutet nicht nur, für Wohnraum zu kämpfen. Sie bedeutet, für alles zu kämpfen.

 
Übersetzung von Camilla Elle und Christiane Quant für Gegensatz Translation Collective.

 

 

 

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