21. August 2025   Themen

Erich Fromm (1900–1980): Synthese von Marxismus und Psychoanalyse

(...) Wie Erich Fromm im Eingangskapitel von Jenseits der Illusionen (1962) bekennt, haben die
Erkenntnisse und Ideen von Marx und Freud sein Denken so grundlegend geprägt, dass er seit
den 20er Jahren stets um eine kritische Synthese bemüht war. Dabei hält er Marx für „weit
tiefgründiger und umfassender als Freud“ (GA IX, S. 44). (...) Fromm-Gesellschaft


 

"Erich Fromm (1900–1980): Synthese von Marxismus und Psychoanalyse"

Beitrag: Deutsches Ärzteblatt

Vor 125 Jahren wurde der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm geboren. Er hat Freuds Psychoanalyse in den Bereich der Soziologie erweitert und eine religiös fundierte psychoanalytische Anthropologie begründet.

Mit Harald Schultz-Hencke, Karen Horney, Harry Stack Sullivan und Frieda Fromm-Reichmann wird Erich Fromm zur „Neopsychoanalyse“ gezählt. Ihre Vertreter setzten sich kritisch mit den Annahmen Sigmund Freuds auseinander und entwickelten sie weiter. Fromm hat Freuds Psychoanalyse in den Bereich der Soziologie erweitert und eine religiös fundierte psychoanalytische Anthropologie begründet. Dabei ist sein Menschenbild neben Freud vor allem von Karl Marx inspiriert. „Die Furcht vor der Freiheit“ erschien 1941 und machte den Autor weithin bekannt. Seinen größten literarischen Erfolg erzielte Fromm indes mit dem Buch „Die Kunst des Liebens“ (1956) – es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Auch sein Spätwerk „Haben oder Sein“ (1976) war ein Bestseller. Hier stellt er zwei „Existenzweisen“ einander gegenüber und argumentiert im Sinn einer „nichttheistischen und rationalen Religiosität“ (Josef Rattner). Seine Befunde bleiben über die Jahrzehnte bemerkenswert aktuell.

Fromm studiert zunächst den Talmud und Jura

Fromm wird 1900 in Frankfurt in eine orthodox-jüdische Familie geboren. Der Vierzehnjährige erlebt den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und empfindet Skepsis gegenüber staatlichen Autoritäten, die eine Enthemmung nationaler und sadistischer Leidenschaften fördern. Er studiert zunächst den Talmud und Jura, wechselt aber bald zur Soziologie nach Heidelberg. Seine erste Ehefrau, die Psychoanalytikerin Frieda Reichmann, regt ihn zu einer psychoanalytischen Ausbildung an. 1929 begründet Fromm mit anderen in Frankfurt das süddeutsche Institut für Psychoanalyse. Ein Jahr später wird er Mitglied des Instituts für Sozialforschung. Wie seinem Leiter Max Horkheimer geht es Fromm darum, Psychoanalyse und Marxismus zusammenzubringen. Damit, etwa in seinem Aufsatz „Über Methoden und Aufgaben einer analytischen Sozialpsychologie“, reiht er sich in die Gruppe der „Freudomarxisten“ ein, zu denen Wilhelm Reich, Otto Fenichel und Siegfried Bernfeld gehören. Marx und Friedrich Engels zufolge bestimmt das ökonomische Sein der Menschen ihr Bewusstsein. Doch wie genau setzt eine Gesellschaftsverfassung sich in Ideologie um? Hier sieht Fromm eine Lücke, die die Psychoanalyse schließen kann. Dabei knüpft er an die Erkenntnisse von Freud und Karl Abraham an, die den „oralen“ und „analen“ Charakter beschrieben haben: „Als die Hauptzüge des bürgerlichen Geistes glaubten wir annehmen zu dürfen: einerseits die Einschränkung des Genusses als Selbstzweck (speziell der Sexualität), den Rückzug von der Liebe und die Ersetzung dieser Positionen durch die lustvolle Rolle des Sparens, Sammelns und Besitzens als Selbstzweck, der Pflichterfüllung als obersten Wert (…)“ (1970). Für den frühen Fromm ist Religion dabei ein geeignetes Hilfsmittel der „Klassenherrschaft“, das die Menschen unselbstständig macht und ihnen Trost für die „vom Leben aufgezwungenen Versagungen“ bietet.

1933 emigriert Fromm über die Schweiz in die USA. „Die Furcht vor der Freiheit“ gilt als seine bedeutendste sozialpsychologische Arbeit und ist ein Klassiker der humanistischen Psychoanalyse. Warum sind totalitäre Ideologien wie Faschismus und Bolschewismus für die Menschen derart anziehend? Darauf versucht das Buch eine Antwort. Ist der Mensch überhaupt auf Freiheit hin angelegt? Fromm zufolge spricht viel dafür, doch ob und wie er diese Freiheit verwirklicht, hängt sehr von individuellen und gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Fromm geht in der Geschichte weit zurück und identifiziert eine Tendenz des Menschen, Freiheit zu vermeiden und im Kollektiv unterzutauchen. Um sich über das Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit in einer nicht überblickbaren Maschinerie hinwegzutäuschen, greift das Individuum zu „Fluchtmechanismen“, die Angst und Isolierung mindern sollen: „autoritäre Tendenzen“, „Zerstörungstrieb“ und „automatische Anpassung“. Hierbei wird jedoch eine „Freiheit von“ nicht zu einer „Freiheit zu“ ergänzt.

Nur durch Letztere kann man nach Fromm der Gefahr entgehen, sekundäre Bindungen wie Rasse, Volk, Nation und Reich zu etablieren. Im Unterschied zu Freud anerkennt Fromm keinen biologischen „Todestrieb“: „Es scheint: die Summe zerstörerischer Tendenzen steht im gleichen, direkten Verhältnis zu dem Ausmaß, in dem die Lebensentfaltung geschmälert ist (…) Der Trieb zum Leben und der Trieb zur Zerstörung (…) stehen zueinander in umgekehrtem Verhältnis: Je mehr der Lebenstrieb durchkreuzt und unterbunden wird, um so stärker der Trieb der Zerstörung; je mehr sich das menschliche Dasein entfalten kann, um so geringer die Kraft der Zerstörung (…). Der Zerstörungstrieb ist die Folge des ungelebten Lebens.“Nach dem Sieg über den Faschismus ist Fromm zufolge die Demokratie keineswegs gesichert: „Die Zukunft der Demokratie hängt ab von der Verwirklichung des Individualismus (…) Der Sieg der Freiheit ist nur dann möglich, wenn sich die Demokratie dahin entwickelt, dass in ihr das Ziel und der Zweck (…) das Individuum ist, sein Glück, sein Gedeihen (…).“ Eine solche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung könne man als „demokratischen Sozialismus“ bezeichnen, aber „das Wort tut nichts zur Sache“.

Kein libidotheoretisches Fundament

Freud hielt sich hinsichtlich ethischer Überlegungen zurück und meinte etwa, das Moralische verstehe sich von selbst. Diese Haltung teilten bereits Alfred Adler und Carl Gustav Jung nicht. Fromm sieht in einer humanistischen Ethik die Grundlage jeder psychoanalytischen Praxis. In „Psychoanalyse und Ethik“ konstatiert er: „Der Mensch kann sich fast allen kulturellen Typen anpassen; stehen diese aber im Widerspruch zu seiner Natur, dann stellen sich geistige und emotionale Störungen ein, die ihn allmählich zwingen, diese Verhältnisse zu ändern, da er seine Natur nicht ändern kann.“ Bei unterschiedlicher Begrifflichkeit stimmt Fromms Charakterologie in vielem mit Freud überein, doch dessen libidotheoretisches Fundament teilt er nicht. Wie Sullivan argumentiert Fromm „interpersonell“: Charakter entsteht aus zwischenmenschlichen Beziehungen. Damit sind somatische Erscheinungen nicht Ursachen, sondern Folgen oder Nebenphänomene dieser Beziehungen. „Prägenitale“ Charaktere (nach Freud) nennt Fromm „unproduktiv“. Produktiv ist der Mensch ihm zufolge, wenn er liebes- und arbeitsfähig ist und gesellschaftlichen Zwängen widerstehen kann. Selbstgestaltung und -entfaltung werden damit zu zentralen Aufgaben menschlicher Existenz. Der Philosoph Baruch Spinoza (1632–77) hatte gesagt: „Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst.“ Fromm zufolge ist das „Erlebnis von Freude und Glück (…) nicht nur das Ergebnis eines produktiven Lebens, sondern auch dessen Stimulans.“

Aggression als „Möglichkeit“

1963 erscheint „Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression“ von Konrad Lorenz. Ähnlich wie Freud vertritt Lorenz einen angeborenen Aggressionstrieb und überträgt seine Ergebnisse aus der Tierforschung auf den Menschen. Damit werden Sadismen und Destruktivität, etwa während der nationalsozialistischen Diktatur, der menschlichen Natur zugeschrieben und als kaum verhinderbar angesehen. In seinem letzten großen Werk „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ widerspricht Fromm. Er zählt Aggression zu den „Möglichkeiten“ des Menschen und arbeitet die Bedingungen heraus, unter denen sie besondere Ausprägung erfährt. Dabei unterscheidet er drei Arten: Defensive Aggression wehrt Angriffe ab und dient der Selbstbehauptung. „Bösartige Aggression“ unterteilt Fromm in „Sadismus“ und „Nekrophilie“. Hier wird das „ungelebte Leben“ zur Quelle von Menschen- und Lebensfeindlichkeit. In Analogie zu Freuds Gegensatzpaar Eros und Todestrieb stellt Fromm der Nekrophilie die „Biophilie“ entgegen (in „Die Seele des Menschen“ 1964). Eindrucksvolle Fallgeschichten illustrieren Sadismus am Beispiel Stalins und Himmlers sowie Nekrophilie am Beispiel Hitlers.

Fromms Themen – etwa Freiheit, Liebe, Destruktivität, autoritärer Charakter, Gruppennarzissmus, Lebenskunst – haben in verschiedenen Ländern zu einem regelrechten „Fromm-Boom“ (Rainer Funk) geführt. In Westeuropa, den USA und Lateinamerika inzwischen zwar abgeebbt, besteht anhaltendes Interesse an seinem Werk in China, Südkorea, Mittel- und Osteuropa sowie zunehmend in arabischen Ländern.

 

 

 

 

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