Mit dem Geist der Agenda 2010 brechen
Quelle: jungewelt
Bis heute ein Desaster für die Betroffenen: 2003 gab die SPD der »Agenda 2010« ihren Segen
Foto: Stephanie Pillick dpa
Ein Gespräch mit Victor Perli, Bundestagsabgeordneter der LINKEN Niedersachsen
Markus Bernhardtjw: "Am Sonntag wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Wie optimistisch sind Sie, dass Die Linke den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde meistern wird?"
Perli: "Wir haben gute Chancen, in den Landtag einzuziehen, deshalb kommt es auf jede Wählerstimme an. Bei der Bundestagswahl haben uns 323.000 Niedersachsen gewählt. Das waren 6,9 Prozent. Wir setzen auf ihre Unterstützung, weil soziale Gerechtigkeit nicht nur im Bundestag, sondern auch in Niedersachsen eine starke Stimme braucht."
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat kürzlich erneut betont, sein Ziel sei, dass Ihre Partei nicht in den Landtag kommt. Wie erklären Sie sich, dass Weil sich trotz des Rechtsrucks an der Linken abarbeitet?
Perli: "Da hat einer in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsruck nichts verstanden. Wenn Die Linke nicht in den Landtag kommt, gibt es dort garantiert eine rechte Mehrheit aus CDU, FDP und AfD. Die bestehende Koalition aus SPD und Grünen kann die Wahl nicht mehr gewinnen. Stephan Weil und die SPD werden viele ihrer Wähler enttäuschen, wenn sie künftig mit FDP oder CDU regieren. Soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit in der Bildung und eine sozial-ökologische Wende lassen sich so nicht durchsetzen. Deshalb braucht es eine starke Linke im Landtag, die diese Themen auf die Tagesordnung setzt und die anderen an ihren Taten misst."
jw: "Auf Bundesebene hat die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hingegen Gesprächsbereitschaft in Richtung der Linkspartei signalisiert. Widerspricht das nicht den Äußerungen Weils?"
Perli: "Nein, Stephan Weil schließt Gespräche mit der Linken ebenfalls nicht aus. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die SPD nach ihrem historisch schlechtesten Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl zu einem politischen Kurswechsel bereit ist. Der Rechtsruck hier und in vielen Ländern Europas kann doch so nicht stehenbleiben. Es muss jetzt um einen solidarischen Sozialstaat gehen, um Abrüstung, um die Stärkung von Demokratie und Mitbestimmung, damit rechter Hetze und Hass der Boden entzogen wird. Es reicht nicht, wenn die SPD nur ihre Rhetorik ändert."
jw: "Könnte Weil trotzdem auf Ihre Unterstützung bei der Wahl zum Ministerpräsidenten hoffen?"
Perli: "Es ist völlig klar, dass die Linke keinen CDU-Kandidaten zum Ministerpräsidenten wählen wird. Wir sind aber auch kein Mehrheitsbeschaffer für eine Fortsetzung der verfehlten SPD-Grünen-Landespolitik, die den Lehrermangel verwaltet, nichts gegen steigende Mieten unternimmt, den schuldigen VW-Managern ihre Boni garantiert und sich nicht mit klimaschädlichen Energiekonzernen anlegt. Wir wollen diese Politik verändern, und dazu hat unser Landesparteitag mit sehr großer Mehrheit Bedingungen für Gespräche formuliert."
jw: "Sie konnten bei der Bundestagswahl ein Mandat gewinnen. Sehen Sie als neuer Bundestagsabgeordneter Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der SPD in der Oppositionsarbeit?"
Perli: "Es gibt natürlich keine Koalition in der Opposition, die SPD ist aber auch nicht der Gegner. Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns ein klares politisches Profil und starkes Gegengewicht zum Mitte-Rechts-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Es ist unsere Aufgabe, die soziale Schieflage, Lohndrückerei, wachsende Altersarmut, den Pflegenotstand und echten Klimaschutz in das Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu rücken. Die SPD muss ihre Probleme selbst lösen und wäre gut beraten, endlich mit dem Geist der Agenda 2010 zu brechen."
jw: "Besteht denn nicht die Gefahr, dass die SPD künftig von den Menschen als die treibende Oppositionskraft wahrgenommen wird und dies auf Kosten Ihrer Partei geht?"
Perli: "Die große Gefahr ist doch, dass sich der gesellschaftliche Rechtsruck verstetigt und die internationalen Konflikte außer Kontrolle geraten. Wir stecken mitten in einer Aufrüstungsspirale. Das sind Zeiten, in denen das Engagement vieler gefragt ist. Die politische Linke muss aus der Defensive kommen. Mich stimmt zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr so viele Mitglieder gewonnen haben wie seit der Parteigründung nicht – und schon über 2.000 seit der Bundestagswahl. Das ist bedeutend für den Parteiaufbau und die Stärkung der außerparlamentarischen Bündnisarbeit. Die Linke muss größer werden und den Konflikt mit den Mächtigen suchen, damit alle ohne Zukunftsängste, Kriegsgefahren und rechte Hetze in einer gerechten Gesellschaft leben können."