15. Juni 2018   Themen

DGB: 212.000 Niedersachsen erhalten den Mindestlohn nicht - Nur ein Prozent der Fälle wird aufgedeckt.

Quelle: https://www.braunschweiger-zeitung.de/politik/inland/article214536515/212-000-Niedersachsen-erhalten-den-Mindestlohn-nicht.html

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Braunschweig. Viele Arbeitgeber in Niedersachsen zahlen ihren Beschäftigten nicht den gesetzlichen Mindestlohn aus. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) handelt es sich um 212 000 Arbeitnehmer. „Dabei sind genau sie es, die häufig jeden Cent mehrmals umdrehen müssen“, sagte Mehrdad Payandeh, DGB-Chef in Niedersachsen, auf Anfrage. Laut den Berechnungen der Gewerkschaft, die unserer Zeitung vorliegen, sind 8,9 Prozent aller anspruchsberechtigten Beschäftigten in Niedersachsen betroffen. Das ist weit mehr als der westdeutsche Schnitt. Dieser liegt bei 7,3 Prozent. Die Gewerkschaft hat Datensätze mit Blick auf Monatslöhne und Arbeitszeiten ausgewertet.

Nicht berücksichtigt hat sie Beamte, Selbstständige, Auszubildende, frühere Langzeitarbeitslose und Branchen, in denen ein Mindestlohn bezahlt wird, der über dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro liegt.

Der DGB spricht von einem „Massenphänomen“. Bundesweit werden demnach 2,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland um den gesetzlichen Mindestlohn gebracht. Besonders häufig prellen Arbeitgeber im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Einzelhandel sowie im Speditionswesen ihre Beschäftigten um den Mindestlohn.

Die Gewerkschaft beziffert die Lohnausfälle und entgangenen Sozialbeiträge in Deutschland auf 7,6 Milliarden Euro pro Jahr. Payandeh: „Beschäftigte und Allgemeinheit werden also gleichermaßen geschädigt.“ Der DGB kritisiert die geringe Kontrolldichte.

 

In Niedersachsen hat der Zoll vergangenes Jahr exakt 2581 Verstöße gegen das Mindestlohngesetz aufgedeckt. Dabei leiteten die Behörden fast in jedem Fall Strafverfahren ein, wie aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums an den niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Victor Perli (Die Linke) hervorgeht. Mit Blick auf die vom DGB berechneten 212 000 Betroffenen verfolgt der Zoll also nur etwa ein Prozent sämtlicher Fälle. Perli sagte: „Die Beschäftigten beim Zoll leisten gute Arbeit. Die Zoll-Behörden sind aber chronisch unterbesetzt.“ Auch der DGB fordert eine Aufstockung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat bereits angekündigt, den Zoll stärken zu wollen. Konkrete Zahlen nannte er nicht. Laut Bundesfinanzministerium sind derzeit nur 6429 von 7211 Stellen bei der Zoll-Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ in Deutschland besetzt. Diese kontrolliert auch die Einhaltung des Mindestlohns. Der DGB fordert mindestens 10 000 Stellen.

Kommentar (von André Dolle, Braunschweiger Zeitung):
Schluss mit Prellerei
Der gesetzliche Mindestlohn wirkt. Seit seiner Einführung 2015 sind die Löhne der Beschäftigten im Niedriglohnsektor deutlich gestiegen. Vor allem Ungelernte im Gastgewerbe oder im Einzelhandel haben von der untersten Lohnschranke enorm profitiert. Das ist nicht nur eine erfreuliche Entwicklung für die Betroffenen, das ist gut für das Allgemeinwesen. Der Staat profitiert von den höheren Sozialabgaben. Außerdem kurbelt das Lohnplus den Konsum in Deutschland an. Doch das ist leider nur die halbe Wahrheit. Denn einige Arbeitgeber zahlen den Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro trotz der geltenden Gesetzeslage nicht an ihre Beschäftigten aus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht von 2,2 Millionen Beschäftigten in Deutschland. Dem Staat und den Beschäftigten entgehen durch die Tricksereien 7,6 Milliarden. Eine stolze Summe. Hunderte von Kitas ließen sich mit dem Geld bezahlen. Die Summe ist ein Viertel des Landeshaushalts von Niedersachsen.

Alleine in Niedersachsen sind laut DGB 212.000 Arbeitnehmer betroffen. Diese Arbeitgeber prellen fast neun Prozent aller anspruchsberechtigten Beschäftigten um den Lohn, der ihnen per Gesetz zusteht. Und der Staat? Schaut nur zu. Der Zoll ist chronisch unterbesetzt. Unternehmer, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht auszahlen, haben kaum mit Sanktionen zu rechnen. Die Kontrolldichte ist fast schon lächerlich gering. So kommt es, dass nur etwa ein Prozent der Verstöße gegen das Mindestlohngesetz in Niedersachsen vom Zoll auch tatsächlich aufgedeckt werden. Selbst wenn Unternehmen ertappt werden, haben sie mit einer Geldbuße zu rechnen, die um ein Vielfaches geringer ist als das, was die Unternehmen beim Lohn eingespart haben. Im Bereich des Hauptzollamts Braunschweig waren dies im vergangenen Jahr insgesamt gerade mal 264.000 Euro. Wenn der Staat es mit dem Mindestlohn wirklich ernst meint, muss er den Zoll personell ganz erheblich aufstocken. Und er muss die Sanktionen bei Verstößen deutlich verstärken.

Victor Perli, MdB

Fraktion DIE LINKE
Umverteilungspolitischer Sprecher

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