20. März 2019   Themen

Abschiebung in Nürnberg eskaliert ...

Beitrag: Thomas Nowotny, 20. März 2019 —

 



... und scheitert!
Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,

Während ich dieses Update schreibe, ist der Flieger von Leipzig nach Kabul in der Luft. Keine Ahnung, wie viele diesmal gezwungen wurden mitzufliegen – aber unsere Gedanken sind bei ihnen allen.

Gegen Mittag veröffentlichte der Bayerische Flüchtlingsrat diese Pressemitteilung:

„Heute Abend soll die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan starten, heute von Leipzig aus. Deshalb hat die Polizei begonnen, Flüchtlinge dafür einzusammeln und zum Flughafen zu bringen.

Eine Abschiebung in Nürnberg ist bereits eskaliert. Jan Ali H., der mit seiner Familie beim Bayerischen Flüchtlingsrat schon seit Jahren in Beratung ist, widersetzt sich der Abschiebung. Die Polizei hat Beamt*innen des USK und des SEK dazu gezogen. Aus Solidarität haben sich einige Unterstützer*innen vor dem Haus versammelt, die Polizei hat diese eingekesselt.

Jan Ali H. hat mit seiner Familie bereits 2015 an einer wochenlangen Dauerprotestaktion von Geflüchteten in Nürnberg teilgenommen. Sein Vater wurde von den Taliban umgebracht, er, seine schwer kranke Mutter, und seine beiden Geschwister sind gemeinsam nach Deutschland geflohen, wo sie schon seit 2010 leben - seit langem schon als geduldete Flüchtlinge. Jan Ali H. hat seinen Schulabschluss gemacht, derzeit besucht er die Abendrealschule und macht seinen Abschluss voraussichtlich im Juni 2019.

Aufgrund der langjährigen Perspektivlosigkeit hat Jan Ali H. eine Depression entwickelt und ist suizidal. Auch in der Beratung hat er mehrfach geäußert, dass er sich umbringen wird, sollte die Polizei versuchen, ihn abzuschieben. Die Polizei hat ihren Einsatz nun beendet, Jan Ali H. scheint in eine Klinik gebracht zu werden.

'Wir sind in großer Sorge um Jan Ali H. und befürchten, dass er versucht, sich umzubringen. Wir fordern deshalb die Behörden auf, die unverhältnismäßige Abschiebung sofort zu beenden', erklärt Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. 'Ein Menschenleben ist wichtiger, als das völlig übersteigerte Abschiebeinteresse des bayerischen Innenministers!'“



Am Abend versammeln sich Hunderte – eine Teilnehmerin spricht von 700 Menschen – zu einer Spontandemo in Nürnberg. (Foto: Facebook)

Die Kundgebung unter dem Motto „Hände weg von unseren Nachbar*innen – Abschiebungen stoppen – hier und überall – Gostenhof ist solidarisch“ fand auf dem Nürnberger Jamnitzer Platz im Stadtteil Gostenhof statt, wo Jan Ali H. jahrelang wohnte

http://www.nordbayern.de/region/nuernberg/nach-abschiebeversuch-hunderte-demonstrieren-in-nurnberg-1.8718027

Später kam vom Flüchtlingsrat die erlösende Nachricht: „Jan Ali H, der heute in Nürnberg mit großem Aufwand festgenommene Realschüler, ist nicht auf dem Flug. Interventionen von verschiedenen Seiten, u.a. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, beim bayerischen Innenministerium, führten dazu das dieses Herrn H. vom Flug ausnahm.“

Wieder hatten viele andere weniger Glück. In einer weiteren Pressemitteilung des Bayerischen Flüchtlingsrats von heute heißt es:

„Nach wie vor hält Bayern an seiner strengen Gangart fest und schiebt gut integrierte und potentielle Arbeitnehmer ab.

Sami K. hat bis zum Entzug seiner Arbeitserlaubnis in einem Feinkosthandel gearbeitet. Jetzt sitzt er in Abschiebehaft in Eichstätt und soll heute Abend abgeschoben werden. K. ist seit knapp vier Jahren in Deutschland, spricht sehr gut Deutsch und will seine deutsche Lebensgefährtin heiraten. Die Vorbereitungen für die Eheschließung laufen; kurz bevor das junge Paar die benötigten Unterlagen zusammen hatte, wurde K. verhaftet.

Ganz ähnlich ist die Situation von Vasim B., der schon seit 6 Jahren in Deutschland lebt: Er musste nach einem Jahr seine Ausbildung zum Raumausstatter aufgrund des Entzugs seiner Arbeitserlaubnis abbrechen. Kurz darauf konnte B. erneut ein Ausbildungsangebot vorlegen. Doch auch hier scheiterte es an der verweigerten Arbeitserlaubnis. Der Betrieb möchte ihn weiterhin gerne ausbilden, da er schon in seinem Geburtsland, dem Iran, als Polstermeister arbeitete. Auch B. wollte seine deutsche Freundin heiraten. „Wir haben eine gemeinsame Zukunft geplant, haben seit langem versucht zu heiraten. Vasim hat hier einen Freundeskreis und einen Ausbildungsplatz. Nun soll er in ein Land abgeschoben werden, das er nie zuvor gesehen hat,“ erzählt seine Lebensgefährtin Nicoletta M.

„Es kann nicht sein, dass Bayern an Abschiebung auf Biegen und Brechen festhält. Trotz Drucks von Haupt- und Ehrenamtlichen, trotz des Fachkräftemangels in der Wirtschaft. Die bayerische Staatsregierung versetzt monatlich eine ganze Bevölkerungsgruppe in Angst und Schrecken, anstatt Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen“, kritisiert David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Wir fordern Innenminister Herrmann auf, diese Abschiebungen zu unterlassen und endlich einen bayernweit einheitlichen, einfachen Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Sinne der Geflüchteten, der Ehrenamtlichen und der bayerischen Wirtschaft zu veranlassen. Das Zerreißen von festen Beziehungen und die Abschiebung von gut integrierten Menschen ist nicht christlich, nicht sozial und nicht vernünftig.“

Mindestens zwei der afghanischen Insassen bayerischer Abschiebegefängnisse wurden zuvor aus Frankreich abgeschoben. Dorthin flüchten viele, die in Deutschland, Österreich oder Skandinavien von der Abschiebung bedroht sind. Stephan Dünnwald schreibt:

„Je mehr Afghanen sich auf den Weg gemacht haben, desto mehr und unterschiedliche Nachrichten kommen hier an. Ich war vor 10 Tagen in Paris und habe unter anderem Afghanen besucht, die dort auf der Straße leben, im Norden der Stadt, wo sich eine Ausfallstraße mit dem Autobahnring kreuzt. Dort sind sie geduldet, noch. Es gibt ein paar Hilfsangebote, die von der Stadt finanziert werden, der Staat kümmert sich nur insofern, als dass er so etwa wöchentlich einen Bus vorbeischickt, den Geflüchtete besteigen können, wenn sie in eines der Camps im Umland umziehen wollen.

Wer in Frankreich einen Asylantrag stellt, läuft aber auch Gefahr, via Dublin wieder nach Bayern abgeschoben zu werden. Aktuell sitzen zwei solcher 'Rückkehrer' in Eichstätt und Erding in Abschiebehaft, sind Kandidaten für den nächsten Flieger. Dieser Gefahr kann man nur ausweichen, wenn man nach dem Stellen des Asylantrags wieder das Camp verlässt und auf der Straße lebt, für 18 Monate. Andererseits war die Quote, mit der Frankreich in den letzten drei Jahren Dublin-Flüchtlinge in andere Mitgliedsstaaten abgeschoben hat, bei sieben Prozent. Dagegen lag die Anerkennungsquote, wenn man mal ins Asylverfahren kommt, bei 83 Prozent. Es gibt also gute Gründe für und gegen eine solche Entscheidung. In Frankreich haben auch die Behörden erkannt, dass Afghanen aus Skandinavien, Österreich und Bayern in größerer Zahl nach Frankreich kommen. Es ist also zu befürchten, dass die Anstrengungen, diese via Dublin-Abschiebung zurückzuschicken, erhöht werden. Allerdings hat es auch schon erste Gerichtsentscheidungen gegeben, die eine Dublin-Rücküberstellung untersagt haben wegen der drohenden Abschiebung ins Herkunftsland. Frankreich schiebt aktuell nur vereinzelt Straftäter nach Afghanistan ab.

Grundsätzlich würde ich empfehlen, sich darüber erst Gedanken zu machen, wenn in Bayern rechtlich und politisch alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Andererseits habe ich mich mit einem Afghanen getroffen, der nach sechs Wochen im Ankerzentrum Ingolstadt seine Ablehnung vom BAMF bekommen hat und anschließend nach Paris gegangen ist. Die Perspektive, ein Jahr oder länger im Ankerzentrum auf das Urteil des Verwaltungsgerichts zu warten, ist auch unschön. Je konsequenter das Leben während des Asylverfahrens von Abschottung, Arbeitsverbots und Ankerzentrum geprägt ist, desto weniger Chancen auf eine Integration gibt es hier auch.

Hier der Link zu einem ersten Bericht von Sabine Wachs, der ARD Journalistin aus Paris, mit der ich gemeinsam die Camps in Paris besucht habe.“

https://www.deutschlandfunk.de/afghanische-fluechtlinge-in-frankreich-flucht-vor-der.1773.de.html?dram%3Aarticle_id=443791

In Bayern und darüber hinaus wirkt ein Bündnis, das 2018 die größte Demo seit langem in München auf die Beine gestellt hat und sich jetzt für weitere Aktionen neu aufstellt. Die Gründungsveranstaltung am letzten Sonntag war sehr inspirierend, an Vernetzung Interessierte können mitmachen. https://ausgehetzt.org/

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