13. November 2020   Themen

Sabine Leidig: Wir wollen eine Investitionswende für soziale und ökologische Mobilität

MdB Sabine Leidig, DIE LINKE.

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ordentliches Mitglied

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Stellvertretendes Mitglied

Rede im Wortlaut

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in die Einzelheiten einsteige, möchte ich auf den Rahmen zu sprechen kommen, in dem wir über dieses Investitionsbeschleunigungsgesetz debattieren. Die Kollegen, die vor mir geredet haben, haben es schon gesagt: Es ist das vierte Beschleunigungsgesetz in dieser Legislatur. Aber die Geschichte der Planungsbeschleunigungs- und Investitionsbeschleunigungsmaßnahmen diverser Bundesregierungen reicht zumindest schon die elf Jahre, die ich dem Bundestag angehöre, zurück; sie ist eigentlich noch viel länger.

Was bisher noch nicht wirklich vorliegt, ist eine Auswertung dieser Maßnahmen. 2006 gab es zuletzt eine Darstellung dazu, was Investitionsbeschleunigung gebracht hat; das ist nun schon 14 Jahre her. Es ist Zeit, noch einmal zu sehen, was welche Maßnahme tatsächlich bewirkt hat. Das wird nicht getan, und das ist ein Problem.

Das zweite Problem, das ich aber noch gravierender finde, ist die Tatsache, dass Sie alles beschleunigen. Wir haben es gerade schon einmal gehört: Sie sind der Meinung, dass man die gesamte Verkehrsinfrastruktur schneller ausbauen muss.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Richtig!)

Das halten wir für einen grundfalschen Ansatz,

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christian Jung [FDP]: Noch langsamer? Entschleunigung für Deutschland, oder was wollen Sie?)

weil wir nämlich, um die Klimaschutzziele erreichen zu können, dringend Verkehr reduzieren müssen. Verkehr reduzieren kann man aber nur, wenn Menschen zum Beispiel nicht mehr alleine in ihrem Automobil unterwegs sind, sondern Alternativen haben, wenn wir mehr Bahn und Bus für alle zur Verfügung stellen. Und genau dafür müssen wir die Investitionsmittel neu verteilen, und zwar schnell.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Sie alle haben wahrscheinlich die neueste Studie des Wuppertal Institutes gelesen, die deutlich macht: Wenn im Verkehrssektor nicht dramatische Veränderungen stattfinden, wird dieser Sektor die Klimaziele nicht erreichen. Die Bundesregierung bleibt eine Konzeption dafür leider immer wieder schuldig. Wir finden, dass das gar nicht so schwierig ist.

Sie haben leider mit früheren Investitionsbeschleunigungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass demokratische Möglichkeiten, Alternativen zu prüfen, blockiert werden. Sie haben im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung 2020 über tausend Fernstraßenprojekte mit einem Fernstraßenausbaugesetz sozusagen als verbindlich dargestellt. Es wird jetzt so interpretiert – so kommen dann auch solche Gerichtsurteile zustande –, als sei es gar nicht mehr zulässig, Alternativen zu prüfen.

Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie jetzt in Hessen die A 49 mit aller Gewalt durchsetzen, dann verpassen Sie eine große Chance, Alternativen zu finanzieren. Mit den 1,4 Milliarden Euro, die dort für 40 Kilometer neue Autobahn eingesetzt werden, könnten viel bessere Ost-West-Bahnlinienverbindungen geschaffen werden. Gemeinden wie Homberg (Ohm), die keinen Bahnanschluss haben, und andere Gemeinden, die Tausende Einwohnerinnen und Einwohner zählen, aber keinen Anschluss an die Bahn haben, könnten diese Anschlüsse bekommen. Das kann man mit diesem Geld finanzieren, und das fordern wir Linke. Das würde wirklich eine Investitions- und Planungsbeschleunigung bedeuten, die in die richtige Richtung geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das dritte große Problem ist, dass Sie in der Tendenz so eine Haltung haben, als seien die Umwelt- und Verkehrsverbände, die Bürgerinnen und Bürger, die sich da kompetent einbringen, Ihre Gegner. Wir haben aber in der Anhörung gehört und an den Beispielen, die Sie immer wieder nennen – Schweden oder Dänemark –, gesehen, dass eine frühzeitige Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern und auch die kompetente Einbeziehung von Umweltverbänden dazu führt, dass es bessere Planungen und schnellere Umsetzung geben kann. Das ist ein total wichtiger Punkt. Das fordern wir als Linke seit vielen Jahren. Sie haben es bisher nicht geschafft, ein Konzept für gute Bürgerbeteiligung vorzulegen, obwohl es seit 2013 versprochen ist. Das wird einfach gebraucht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt, der damit zusammenhängt, ist die Frage der personellen Ausstattung. Wenn wir Umverteilung und Neuverteilung von Mitteln, von Ressourcen fordern, dann gilt das nicht nur für die Frage, wohin Investitionsmittel gesteuert werden, sondern auch für die Frage, wie Personal eingesetzt wird. Da geht es natürlich auch darum, dass Verwaltungs- und Planungsbehörden, aber auch Gerichte besser ausgestattet werden müssen, damit bestimmte Prozesse einfach schnell gehen können. Was nützt es, wenn die Gerichte jetzt alle möglichen Entscheidungen fällen sollen, dort aber nicht mehr Menschen mit den Fragen beschäftigt werden? Das heißt, wir brauchen auch eine Umverteilung, eine Neuverteilung von personellen Ressourcen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss möchte ich sagen, dass wir mit vielen der Maßnahmen, die jetzt in diesem konkreten vierten – vorläufig letzten – Investitionsbeschleunigungsgesetz vorgesehen sind, schon einverstanden sind. Wir können aber nicht mit vollem Herzen zustimmen, weil Sie sich nicht darauf beschränken, dass bessere Elektrifizierungsmaßnahmen und Ertüchtigungsmaßnahmen für Bahnhöfe, die Bahn und für Windkraftanlagen durchgeführt werden, sondern sich Hintertüren offenlassen und auch Maßnahmen für Landstraßen vorsehen. Wir wollen, dass Beschleunigung auf den Ausbau der zukunftsfähigen, sozialökologischen und klimagerechten Infrastruktur beschränkt wird.

(Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Elektrobusse müssen auch irgendwo fahren!)

Unter diesen Bedingungen könnten wir zustimmen; so müssen wir uns enthalten.

(Beifall bei der LINKEN)

 

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