07. Januar 2015   Themen

South Stream Projekt abgebrochen - Millionen Verluste

Quelle: German-Foreign-Policy.Com, 07.01.2015 

MOSKAU/BERLIN (Eigener Bericht) - Nach dem Abbruch des Pipeline-Projekts
"South Stream" durch Russland steigt für Berlin und Brüssel die Schadensbilanz.

Zulieferer, die sich von dem Projekt profitable Geschäfte erhofft hatten, verzeichnen
Millionenverluste. Die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall werde nach dem Platzen eines konzeptuell mit South Stream verknüpften Vorhabens nicht mehr "in die erste Liga der weltweiten Gasproduzenten" aufsteigen können, heißt es in Berichten. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am 1. Dezember angekündigt, die SouthStream-Röhre, die Erdgas aus Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und weiter in andere EU-Staaten liefern sollte, werde wegen der zahlreichen Störmaßnahmen aus Brüssel nicht gebaut;

an ihre Stelle solle eine Erdgasleitungüber türkisches Territorium an die griechische Grenze treten ("Turkish Stream"). Zu den unmittelbar wirtschaftlichen Schäden in der EU kommt hinzu, dass Brüssel in Zukunft zur Sicherung der Gasversorgung nicht mehr nur mit Moskau, sondern auch
mit Ankara wird verhandeln müssen. Zudem erleiden die Bemühungen einen Rückschlag, Erdgas aus dem Kaspischen Becken an Russland vorbei nach Europa zu leiten - über türkisches Territorium.
Ein unerwarteter Schlag
Das endgültige Aus für die Erdgaspipeline "South Stream", das Ende Dezember durch die Übertragung der Konsortialanteile von Wintershall und den übrigen Anteilseignern aus der EU an Russland vollzogen worden ist, versetzt Berlin und Brüssel einen harten Schlag. Kaum jemand in der EU hatte es für möglich gehalten, dass Moskau sich zum Stopp der Pipelinepläne entschließen könne. Mehrere Faktoren hatten zu dieser Einschätzung beigetragen. Zum einen bestand die Strategie von Gazprom darin, Einfluss auf möglichst die gesamte Produktions- und Lieferkette zu bekommen, um die Risiken zu minimieren und die Gewinne zu maximieren; dem entsprach auch
das Bemühen, in Deutschland Zugriff auf Erdgasspeicher und den Erdgashandel bis hin zum Endkunden zu bekommen. Gazprom hatte dabei bereits nennenswerte Fortschritte erzielt; dass der Konzern all dies aufgeben könne, wurde in Berlin nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Darüber hinaus hat Russland bereits Milliarden in die Zuleitungen für South Stream aus Sibirien und in eine Kompressorstation am Schwarzen Meer investiert. Hinzu kam, dass Moskau inzwischen zwar mit China umfassende Erdgasgeschäfte geschlossen hat, jedoch weiterhin bemüht ist, nicht in allzu starke Abhängigkeit von Beijing zu geraten, da die Volksrepublik auf lange Sicht als übermächtig gilt. Schließlich verwiesen deutsche Experten gewöhnlich auf die Erfahrungen aus der Zeit des Kalten Kriegs: Damals hatte sogar der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten einschließlich der Sowjetunion die Lieferungen nicht in Frage gestellt.
Nicht ernst genommen
Entsprechend selbstgewiss hatten Deutschland und die EU das South Stream-Projekt behandelt. Verweigerte die EU-Kommission Gazprom die Genehmigung, sich als Erdgasproduzent auch am Bau der Pipelines zu beteiligen, so sprach sich das EUParlament gleich zweimal - am 17. April und am 18. September - explizit gegen den Bau der Röhre aus. Anfang Juni musste Bulgarien dieVorbereitungen für den Bau von South Stream offiziell einstellen; auch durfte es keine Genehmigungen mehr für die Pipeline in seinen Gewässern erteilen. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bereits im Mai öffentlich erklärt, gegebenenfalls South Stream zu stoppen und auf
eine Alternativleitung über die Türkei auszuweichen, sollte die EU den Bau weiter verhindern.[1] Im August berichtete eine russische Zeitung mit genauen Details von diesen Plänen, die dem Szenario glichen, das jetzt realisiert werden soll. Es handle sich nicht um Russlands bevorzugte Option, hieß es; doch könne man nicht endloswarten.[2] In Berlin und Brüssel sind die Warnungen offenkundig nicht ernst genommen worden; Moskau könne nicht anders als kooperieren, weshalb man fast
beliebig Druck ausüben könne, lautete die Einschätzung. Entsprechend hat Bundeskanzlerin Angela Merkel noch am 15. Dezember versucht, Russland dazu zu bewegen, den Schritt rückgängig zu machen. Die EU habe sich "nie grundsätzlich" gegen South Stream ausgesprochen, erklärte sie und bemühte sich, Moskau umzustimmen: "Wirtschaftliche Beziehungen sollte man trotz unterschiedlicher Bewertung immer sehr verlässlich gestalten".[3] Ihr Schritt kam zu spät.
Keine Erholung
Die Schäden, die Deutschland und der EU aus dem Abbruch des Projekts entstehen, werden nun Schritt für Schritt sichtbar. Dabei handelt es sich zum einen um unmittelbare Einbußen von Unternehmen, die mit Aufträgen beim Bau von South Stream gerechnet hatten. So rechnet etwa der deutsche Stahlhersteller Salzgitter mitVerlusten im zweistelligen Millionenbereich. Man müsse die Produktion für die geplante Erdgasleitung, die gemeinsam mit der Dillinger Hütte in dem Joint Venture "Europipe" durchgeführt wurde, zumindest vorläufig aussetzen, hieß es Ende
Dezember; Hunderten Mitarbeitern droht inzwischen Kurzarbeit. Salzgitter hatte sich
gerade erst von einer ernsten Krise mit herben Verlusten erholt und befand sich
zuletzt wieder auf dem Weg in die Gewinnzone. Die Stabilisierung des Unternehmens
steht nun in Frage.[4]
Nicht in die erste Liga
Hart trifft der Abbruch des Projekts vor allem die Kasseler BASF-Tochtergesellschaft Wintershall. Wintershall hatte noch Mitte Dezember verkündet, man sehe Russland mit seinen riesigen Erdgasvorräten als eine "Kernregion" des Firmengeschäfts.[5] Das Unternehmen fördert in drei Joint Ventures vor allem Erdgas, aber auch Erdöl in Russland: in dem sibirischen Feld Juschno Russkoje (Anteil: 35 Prozent), mit dem ebenfalls sibirischen Förderprojekt Achimgaz (Anteil: 50 Prozent) sowie mit dem Joint Venture Wolgodeminoil nahe Wolgograd (Anteil: 50 Prozent). Darüber hinaus ist Wintershall mit 15,5 Prozent an Nord Stream ("Ostsee-Pipeline") beteiligt. Pläne zum Ausbau des Geschäfts in Russland standen vor dem Abschluss; für Ende Dezember war die Unterzeichnung eines Deals geplant, mit dem Gazprom das deutsche Gashandels- und Gasspeichergeschäft von Wintershall übernehmen und demdeutschen Unternehmen dafür Anteile an großen sibirischen Erdgasfeldern übertragen wollte. Mit dem Ende von South Stream geht jedoch die Gazprom-
Strategie nicht mehr auf, die vollständige Lieferkette bis zum Endkunden zu bedienen; Gazprom hat deshalb jetzt auch den Deal mit Wintershall storniert. Für Wintershall wiegt dies wegen der strategischen Bedeutung der russischen Erdgasfelder schwer: "Für den Konzern wird damit nichts aus dem Plan, in die erste Liga der weltweiten Gasproduzenten aufzusteigen", heißt es in der Presse.[6]
Von Ankara abhängig
Experten bestätigen mittlerweile, dass der South Stream-Stopp für zahlreiche EUStaaten
empfindliche Nachteile mit sich bringt. Betroffen ist vor allem Bulgarien, das zum Gas-Hub hätte werden sollen; das hätte ihm nicht nur Milliardeninvestitionen, sondern auch strategische Vorteile verschafft. Betroffen ist daneben Italien, dessen Eni-Konzern maßgeblich an South Stream beteiligt war; der Einflussgewinn, den Rom sich von der Pipeline erhoffte, entfällt. Vor allem aber wird die Erdgasversorgung Südeuropas nach aktuellem Planungsstand künftig von der Türkei abhängen, über deren Territorium die Ersatzröhre für South Stream ("Turkish Stream") gebaut werden soll. Für die EU ist das nicht nur deshalb ungünstig, weil sich ihre Beziehungen zu Ankara in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert haben und künftige Verhandlungen über den Erdgasbezug auch mit ihm geführt werden müssen. Hinzu kommt, dass Brüssel eigentlich vorhatte, über die Türkei Erdgas aus dem Kaspischen Becken und eventuell auch aus dem Irak und Iran zu beziehen, an Russland vorbei und als Alternative zu dessen Gas. Binde Moskau nun Ankara
energiepolitisch enger an sich an, könne es womöglich "die 'Energieaußenpolitik' der EU mit ihrem Hauptziel der Schaffung eines von Russland unabhängigen Südlichen Gaskorridors erfolgreich unterlaufen", heißt es exemplarisch in den an der UniversitätBremen herausgegebenen "Russland-Analysen".[7]
Gegenleistungen
Lediglich eine Möglichkeit verbleibe, heißt es in den "Russland-Analysen" weiter: Die Türkei könne - "für Gegenleistungen der EU und der USA" - "Turkish Stream in der von Russland geplanten Form ganz ablehnen oder ihre Kapazität auf die eigene Gasversorgung beschränken und für den Gasexport Richtung Europa nur aserbaidschanisches und eventuell turkmenisches Gas nutzen. Dann hätte Putin zu hoch gepokert."[8] Dafür müssten Berlin und Brüssel freilich ihre zuletzt aggressive
Haltung gegenüber Ankara und dem dortigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan zumindest teilweise revidieren.
Weitere Informationen zu deutsch-europäischen Pipelinevorhaben finden Sie hier:
Südlicher Korridor , Energiewende Richtung Russland , Russlands Erdgas-
Botschafter , Kampf um die Pipelines , Das letzte Kapitel , Der neue Botschafter
in Berlin , Die geplatzte Pipeline und Die Widersprüche der EU .
[1] Roland Götz: Putins Pipeline-Poker. Turkish Stream anstatt South Stream? Russland-Analysen Nr.
288, 19.12.2014.
[2] South Stream "Plan B" opts for route through Greece and Turkey. www.euractiv.com
19.08.2014.
[3] South-Stream-Pipeline: Merkel mahnt neue Gespräche mit Russland an. www.euractiv.de
15.12.2014.
[4] Pipeline-Aus kostet Salzgitter Millionen. www.handelsblatt.com 30.12.2014.
[5] Wintershall sieht Kerngeschäft in Russland. www.handelsblatt.com 15.12.2014.
[6] BASF und Gazprom stoppen Milliarden-Deal. www.sueddeutsche.de 18.12.2014.
[7], [8] Roland Götz: Putins Pipeline-Poker. Turkish Stream anstatt South Stream? Russland-
Analysen Nr. 288, 19.12.2014.

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute8
Gestern33
Woche101
Monat208
Insgesamt102370
 

Anmeldung