Deutschland lebt unter seinen Verhältnissen: Löhne rauf, Exportüberschuss abbauen
Michael Schlecht MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher Fraktion DIE LINKE
Rede vom 11.Juni 2015 im Deutschen Bundestag.
Die Rede kann auch auf der Internetseite des Deutschen Bundestages oder in Kürze auf meinem youtube-Kanal angeschaut werden.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die deutsche Wirtschaft verkaufte 2014 Waren und Dienstleistungen im Wert von 190 Milliarden Euro mehr ans Ausland, als sie aus dem Ausland bezog. Das ist der vielgefeierte Exportüberschuss, der manche mit großem Stolz erfüllt.
Was bedeutet das aber real? Sitzt Deutschland nun auf einem großen Geldsack? Nein. Das bedeutet nur, dass sich das Ausland bei Deutschland weiter verschuldet hat. 2014 lieh Deutschland dem Ausland weitere 190 Milliarden Euro, um deutsche Waren zu kaufen. Der Geldsack besteht aus nichts anderem als aus Forderungen an das Ausland.
Nimmt man den Leistungsbilanzüberschuss, in dem zusätzlich Einkommens- und Vermögensübertragungen berücksichtigt werden, hinzu, dann betrug der Überschuss im letzten Jahr sogar 220 Milliarden Euro. Selbst das Riesenreich China kam nur auf 115 Milliarden Euro. Auch das ist für einige vermeintlich ein großer Erfolg, aber das hat nur die Verschuldung des Auslandes gegenüber Deutschland erhöht.
Seit dem Jahr 2000 haben sich die deutschen Exportüberschüsse auf mittlerweile 1,8 Billionen Euro summiert, weil es seit 2000 kein einziges Jahr mit einem Defizit gegeben hat. Am Ende dieses Jahres werden es 2 Billionen Euro sein. Das sind 2 000 Milliarden Euro, die Deutschland ans Ausland verliehen hat, um seinen Export zu finanzieren. Ursache für diese ungleiche Entwicklung ist die desaströse Lohnentwicklung hier in Deutschland. Im Vergleich zum Jahr 2000 sind die Reallöhne heute kaum höher als damals. Das ist in allen anderen Ländern anders. Dort hat es zumindest halbwegs anständige Lohnerhöhungen gegeben.
Die Binnennachfrage hier in Deutschland wurde in diesen 15 Jahren stranguliert. Damit wuchsen die Importe viel schwächer als die Exporte, die durch das Lohndumping vor allen Dingen in den Jahren 2000 bis 2010 auch noch zusätzlich gestärkt worden sind. Deshalb gibt es diese Auseinanderentwicklung.
Wie nachhaltig ist das Ganze? Gar nicht. Wirtschaftsminister Gabriel wir haben das hier mehrfach erlebt und andere halten Exportüberschüsse weiterhin für unverzichtbar. Das heißt nur, dass erstens die Schulden des Auslandes bei uns dauerhaft weiter gesteigert werden und dass er zweitens dem Ausland nie die Chance geben will, die Schulden, die es bei uns hat, an uns zurückzuzahlen. Gabriel ist letztlich bereit, die Waren und Dienstleistungen im Wert von demnächst 2 Billionen Euro dem Ausland eines Tages faktisch zu schenken. Wenn es nämlich nie die Möglichkeit gibt, dass das Ausland seine Schulden zurückzahlt, dann wird es am Ende irgendeine Form von Schuldenstreichung geben, und das ist nichts anderes, als dass man es dem Ausland im Grunde genommen schenkt.
Damit dieser Handel vernünftig ohne Schenkungsmaßnahmen funktioniert, müsste Deutschland eigentlich Defizite im Außenhandel machen, um die Verschuldung des Auslandes bei uns zu senken. Dann würde endlich auch die Situation beendet, dass Deutschland unter seinen Verhältnissen lebt. Das ist ja der eigentliche Skandal, der mittlerweile kaum noch bekannt ist.
Die eigentlichen Ursachen für die Verschuldung zum Beispiel in Griechenland liegen sehr deutlich bei uns hier in Deutschland. Auch wenn die deutsche Regierung den Griechen und anderen Sozial- und Lohnkürzungen ohne Ende aufherrscht, werden die Schulden dieser Länder damit nicht beseitigt. Notwendig ist ein Ende der unfairen deutschen Wirtschaftspolitik, die mittlerweile zuweilen imperialistische Züge trägt.
Im Übrigen verstößt die Bundesregierung mit dem beständigen Leistungsbilanzüberschuss gegen deutsches Gesetz. Das Stabilitätsgesetz von 1967 schreibt nämlich einen langfristig ausgeglichenen Außenhandel vor. Die damaligen Autoren Schiller und Franz Josef Strauß, den manche von der rechten Seite hier ja kennen verstanden damals noch etwas von Wirtschaft.
Das sind Kenntnisse, die auf der rechten Seite des Hauses mittlerweile in weiten Teilen verloren gegangen sind. Dabei wäre die Lösung so einfach: massive Reallohnerhöhungen durch Stärkung der Gewerkschaften, bessere Bedingungen für Tarifauseinandersetzungen, Verbot der Leiharbeit und massives Zurückdrängen des Missbrauchs von Werkverträgen und der Befristungen. Es ist nämlich vollkommen klar: Mit Menschen, die unter solchen Verhältnissen arbeiten müssen, lassen sich keine besonders guten Streiks führen oder zumindest Streikdrohungen aufbauen, die eine Voraussetzung für vernünftige Lohnerhöhungen sind.
Mit einem massiven Investitionsprogramm von 100 Milliarden Euro könnten öffentliche Investitionen zur Stärkung der Binnennachfrage durchgeführt werden. Dazu gehört im Übrigen auch, dass in den Auseinandersetzungen um die Erzieher und Sozialberufe den Kolleginnen und Kollegen in diesen Berufen eine deutliche Aufwertung ihrer Arbeit zugestanden wird.
Das alles stützt die Konjunktur, schafft Jobs, macht Menschen wohlhabender, steigert die Importe und beseitigt auf Dauer den unhaltbaren Zustand, dass Deutschland den Banker der Welt spielt, was immer mit der Gefahr verbunden ist, dass das Geld nicht zurückgezahlt wird und praktisch alles verschenkt wird.
Kommt es nicht zu einer Umkehr, dann wird der Tag kommen, an dem die anderen Länder aufwachen, sich wehren und eines Tages eine Troika einsetzen, die die Aufgabe haben wird, die deutsche Wirtschaftspolitik zu überwachen, damit in Deutschland der verheerende Außenhandelsüberschuss endlich durch eine massive Stärkung der Binnennachfrage abgebaut wird.
Aber so weit muss es nicht kommen. Es besteht die Chance, dass es vorher ein Einsehen gibt und es zu einer anderen Wirtschaftspolitik kommt. Wir werden uns jedenfalls nach wie vor massiv dafür einsetzen.
Weitere Informationen: www.michael-schlecht-mdb.de