Wie die Finanzwelt die Politik erpresst
Auszug aus einem Artikel von Stephan Kaiser, spiegel.online
Die Euro-Krise zeigt besonders deutlich, dass die Regierungen zu Getriebenen der Finanzmärkte geworden sind. Ob Notkredite, Rettungsschirme oder Anleihenkäufe - die Märkte bekommen, was sie wollen. Und die Politik wirkt umso machtloser, je länger sie sich gegen das Unvermeidliche zu sträuben versucht.
Doch wer ist Schuld an der prekären Lage? Stecken hinter den Finanzmärkten böse Mächte, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Politik zu unterwerfen? Schon im Mai 2008, vier Monate vor dem Lehman-Desaster, sprach der damalige Bundespräsident Horst Köhler von den Finanzmärkten als "Monster", das in seine Schranken gewiesen werden müsse. Was Köhler damals weitgehend verschwieg: Die Politik hatte dieses Monster selbst erst gezüchtet.
Deregulierung hieß die Devise von den achtziger Jahren bis zum Jahr 2007: In den USA unterschrieb der damalige Präsident Bill Clinton 1994 ein neues Bankengesetz, das Instituten erlaubte, im ganzen Land tätig zu werden. 1999 hob er die seit mehr als 60 Jahren geltende Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken auf. Hinzu kam seit Anfang der neunziger Jahre eine laxe Geldpolitik der US-Notenbank Fed, die die Finanzwelt mit billigen Krediten fütterte.
Auch Deutschland setzte voll auf die Entfesselung der Bankenbranche: "Die gewaltigen Potentiale des deutschen Finanzmarktes" müssten vollständig ausgeschöpft werden, schrieb das Bundesfinanzministerium noch 2005 auf seiner Internetseite. Dabei rühmte sich das damals noch SPD-geführte Ministerium: "Die Bundesregierung hat es Kreditinstituten erleichtert, Kreditforderungen zu verbriefen" - eine Praxis, die damals in den USA so extensiv betrieben wurde, dass sich daraus zwei Jahre später, im Jahr 2007, die erste Stufe der Weltfinanzkrise entwickelte.
Da war das Monster längst so groß geworden, dass die Politik es nicht mehr einfangen konnte. Von nun an diktierten die Finanzmärkte den Regierungen, was diese zu tun und zu lassen haben. Die Bankenrettungen im Herbst 2008 machten die neuen Machtverhältnisse lediglich für alle sichtbar.
Hektische Alibi-Aktionen statt wirklicher Emanzipation
Märkte haben keine Moral. Woher auch? Sie bestehen aus einer Masse von Individuen, die alle nach dem für sie größten Gewinn streben. Deshalb darf auch niemand von ihnen erwarten, dass sie moralisch handeln und zum Beispiel freiwillig Griechenland vor der Pleite retten. Es ist vielmehr an der Politik, den Rahmen für die Marktteilnehmer so zu setzen, dass in der Summe kein Schaden für die Allgemeinheit entsteht.
Doch dazu müsste die Politik erst einmal wieder die Hoheit über ihr eigenes Handeln gewinnen. Wie das gehen soll, weiß momentan niemand so recht. Die bisherigen Versuche verliefen ernüchternd: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble setzte im August zwar durch, dass sich private Banken und Versicherungen mehr oder weniger freiwillig am neuen Rettungspaket für Griechenland beteiligen. Doch der Coup droht zum Flop zu werden, wenn die angekündigte Beteiligungsquote von 90 Prozent nicht erreicht wird.
Auch sonst ist die Politik kaum vorangekommen bei dem Versuch, sich von Banken und Finanzmärkten zu emanzipieren. Die geplante Bankenabgabe fällt so niedrig aus, dass sie das Kräfteverhältnis kaum umkehren wird. Und ob die von einigen Ländern Europas angepeilte Finanztransaktionssteuer jemals kommen wird, steht in den Sternen - zu schwierig ist es, so viele verschiedene Staaten politisch auf eine Linie zu bringen.
Um wenigstens ein bisschen Stärke zu demonstrieren, versuchen es einzelne Staaten immer wieder mit hektischen Alibi-Aktionen wie dem Verbot von Leerverkäufen. Doch zähmen können sie die Märkte damit kaum: Obwohl seit August in Frankreich ein Leerverkaufsverbot für Bankaktien gilt, rauschen die Kurse von BNP Paribas Chart zeigen oder Société Générale Chart zeigen ungebremst nach unten.
Ein wenig Hoffnung macht lediglich die geplante Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften. Um künftige Krisen besser ohne Staatshilfe auffangen zu können, sollen vor allem Großbanken dazu verpflichtet werden, ihr Eigenkapital zu stärken. Ganz ohne staatliche Hilfe werden sie im Notfall aber wohl trotzdem nicht auskommen.
Der nächste Test für das Machtverhältnis zwischen Märkten und Politik könnte der Fall Griechenland sein. Doch bei genauerem Hinsehen ist auch dieser Kampf schon entschieden. Selbst wenn sich Europas Regierungen dazu durchringen sollten, das schuldengeplagte Land pleitegehen zu lassen, dürfte dies ein Sieg für die Finanzwelt sein. Durch die Rettungspakete von EU und IWF sowie die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank liegt der Großteil der griechischen Schulden nämlich längst bei der öffentlichen Hand. Die größten Risiken einer Pleite tragen also die Steuerzahler und nicht die Banken.
Die Politik wird wohl noch eine ganze Weile eine Getriebene der Märkte bleiben.