19. November 2018   Themen

Skandale um Friedrich Merz - wegbeten hilft hier nicht

Beitrag: Roswitha Engelke

Von Mayer Brown bis Blackrock, von Deutsche Börse bis WestLB: Friedrich Merz hat schon bei vielen Unternehmen Station gemacht. Zeitweise brachte er es auf fast 20 Ämter gleichzeitig


Im Machtkampf mit Kanzlerin Angela Merkel unterlegen, heuerte Merz 2005 als Partner bei der US-Großkanzlei Mayer Brown an. Mit seinem engmaschigen Netzwerk sollte er dazu beitragen, deutsche und europäische Mandanten zu angeln.Wem mochte dies leichter fallen als Merz? Bereits in aktivsten Zeiten als Politiker saß er im Aufsichtsrat der Deutschen Börse. In seiner sauerländischen Heimat wurde er beim Hygienepapierhersteller Wepa Anfang 2009 sogar Aufsichtsratschef.

Die breite Öffentlichkeit nahm davon nicht sonderlich Notiz. Sie horchte erst auf, als Anwalt Merz 2010 den Auftrag erhielt, einen Investor für die marode WestLB zu finden. Mehr als elf Millionen Euro soll Mayer Brown bei der WestLB abgerechnet haben – und am Ende konnte die Landesbank dafür kaum etwas vorzeigen.

Als „Veräußerungsbevollmächtigter“ brachte Merz Finanzinvestoren wie Lone Star und Apollo ins Spiel, doch der Verkauf scheiterte. Die WestLB wurde zerschlagen. Dass die Anwälte von Mayer Brown trotzdem Tagessätze von 5.000 Euro und mehr bekamen, wurde zum Politikum – schließlich war die WestLB in öffentlichem Besitz.

Ein Glück für Merz, dass er zu diesem Zeitpunkt kein politisches Amt mehr hatte, so konnte ihm die Debatte nicht schaden.

Aber es kommt noch dicker

 

Es gibt eine Gesetzmäßigkeit: Der Bekanntheitsgrad einer Institution ist reziprok proportional zu seiner Macht. Je unbekannter, desto mächtiger. Und dies scheint auf Mayer Brown, HSBC und Blackrock voll zuzutreffen. HSBC Trinkhaus, dessen Aufsichtsratsmitglied Merz ist, soll an Geschäften beteiligt gewesen sein, die inzwischen als größter europäischer Steuerskandal aller Zeiten gelten.

Quelle: n-tv.de

Ein schwerer Verdacht lastet auf dem CDU-Hoffnungsträger. Seine Firma ist womöglich in den größten Steuerbetrug aller Zeiten verstrickt. Auch wenn Merz die Deals verurteilt: Im Kampf um die Merkel-Nachfolge dürften sie ihm massiv schaden.

Ronald Pofalla bei der Deutschen Bahn, Eckhart von Klaeden bei Daimler, Thomas Steg bei Volkswagen: Lobbyjobs von Politikern geben immer wieder Anlass zu Kritik. Für einen könnte der Drehtüreffekt nun womöglich zum Karrierekiller werden: Friedrich Merz, bis 2002 Unionsfraktionschef, danach Anwalt und Top-Lobbyist der Finanzindustrie, ab Dezember vielleicht CDU-Chef und bald Kanzlerkandidat.

 

Seine Kandidatur als Merkel-Nachfolger steht plötzlich unter einem schlechten Stern. Denn am Dienstag durchsuchten Ermittler die Büros von Blackrock in München wegen einer "laufenden Untersuchung im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen" zwischen 2007 und 2011, wie der Konzern mitteilte. Dort ist Merz seit 2016 Aufsichtsratschef. Und damit steht der Verdacht im Raum, dass der Arbeitgeber des potentiellen nächsten CDU-Chefs womöglich beim größten Steuerbetrug aller Zeiten mitgemacht hat.

Staatsanwälte ermitteln in der Cum-Ex-Affäre bereits seit 2015 gegen mehr als 100 Banken und Fonds, dutzende Anwälte, Banker und Berater. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick geht von "Steuerausfällen von über 30 Milliarden Euro" aus. Selbst das Finanzministerium rechnet offiziell mit Verlusten von 5 Milliarden Euro. Nach Recherchen von "Correctiv", "Panorama" und "Zeit" liefen die Geschäfte auch in vielen anderen Ländern. Europaweit soll sich der Schaden durch Cum-Ex-Deals und andere Steuerstricks auf über 55 Milliarden Euro summieren.

Merz distanziert sich zwar von den fragwürdigen Deals: "Sie dienen letztlich dazu, die Steuerzahler auszunehmen" und seien unabhängig von der juristischen Bewertung "vollkommen unmoralisch". Doch auch wenn ihm persönlich nichts vorzuwerfen ist: Durch seine Nähe zu den mutmaßlichen Cum-Ex-Akteuren steckt der Möchtegern-Kanzler in massiven Interessenkonflikten, die seiner Kandidatur den Garaus machen könnten.

Denn die Profite kamen bei den Cum-Ex-Deals allein aus der Staatskasse. Anders als bei den Steuertricks von Apple oder Google ging es den Beteiligten nicht darum, sich armzurechnen und möglichst wenig Steuern zu zahlen. Sondern darum, dem Fiskus das Steuergeld anderer zu rauben. Genauer: Sich die Kapitalertragssteuer auf Dividenden erstatten zu lassen, obwohl man sie nie gezahlt hatte. Ein "mafiaähnlich organisiertes Netzwerk" plündere gezielt den Staat, warnte ein Insider das Finanzministerium schon 2010 in einer Mail, auf die er nie eine Antwort bekam.

Was steckt hinter den Cum-Ex-Geschäften?

Möglich wurde das dank sogenannter Leerverkäufe im Aktienhandel. Dabei leiht sich jemand Aktien, die ihm nicht gehören, und verkauft sie. Erwirbt der Käufer die Aktien kurz vor dem Dividendentag, an dem Dax-Firmen ihre Gewinne ausschütten, mit (cum) Dividendenanspruch, bekommt er sie beim Leerverkauf deshalb erst nach dem Stichtag ohne (ex) Dividende geliefert. Der Leerverkäufer muss dem Käufer deshalb einen Ausgleich zahlen. Anders als die echte wurde diese künstliche Dividende aber jahrelang nicht besteuert.

Die Buchungssysteme können die beiden nicht unterscheiden. Deshalb stellten sie bei den künstlichen Dividenden trotzdem eine Bescheinigung über abgeführte Kapitalertragssteuer aus. Denn Abführung und Bescheinigung der Steuer fallen auseinander: Das eine erledigt die Aktiengesellschaft, das andere die Banken. So fiel nicht auf, wenn jemand eine Bescheinigung erhielt, der gar keine Steuer abgeführt hatte. Ein Heer von Bankern, Beratern und Anwälten strickte aus dem Systemfehler ein Geschäftsmodell.

Was hat Blackrock mit den Cum-Ex-Deals zu tun?

Banken und Fonds handelten Milliarden Aktien immer wieder im Kreis und ließen sich so die nie gezahlte Steuer nicht bloß einmal, sondern gleich mehrfach erstatten. Wie genau Blackrock in diese Geschäfte verstrickt sein könnte, ist nicht bekannt. Die Firma teilt lediglich mit, sie arbeite "uneingeschränkt mit den Ermittlungsbehörden zusammen". Fakt ist, dass sich die Geschäfte aber nur durch die heimliche Kooperation aller Beteiligten lohnten.

Denn der Profit fiel bei den Karussellgeschäften nur an einer Stelle an: Beim Aktienkäufer, dem die Steuer erstattet wurde, obwohl er sie nie gezahlt hatte. Der Leerverkäufer, der ihm die künstliche Dividende zahlen muss, machte nur mit, weil vorher vereinbart wurde, die illegitimen Gewinne aufzuteilen.

Hat Blackrock in der Cum-Ex-Kette also eine Art Beihilfe geleistet? Als größter Vermögensverwalter der Welt bunkert die Firma Milliarden Aktien. Die verleiht sie regelmäßig gegen Gebühr. Es wäre nicht unplausibel, dass Blackrock auch die Cum-Ex-Leerverkäufer für ihren Kreishandel mit den nötigen Papieren versorgt haben könnte.

Warum ist all das ein Problem für Merz?

Die Staatsanwaltschaft ermittelt ausdrücklich nicht gegen Merz. Sollte er CDU-Chef, Minister oder sogar Kanzler werden, geriete er aber in massive Interessenkonflikte: Als Politiker müsste er gegen seine früheren Arbeitgeber vorgehen, die in die Cum-Ex-Deals verwickelt sein sollen. Wie unabhängig kann Merz dabei sein? Seine politischen Gegner schießen sich bereits darauf ein. Die Bürgerbewegung Finanzwende, die Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ab Januar hauptberuflich leiten wird, thematisiert viele der heiklen Fragen in einem offenen Brief an Merz.

Da ist zunächst sein Job als Blackrock-Chefkontrolleur seit 2016. Die mutmaßliche Beteiligung der Firma an den Cum-Ex-Geschäften fällt zwar in den Zeitraum 2007-2011 lange vor seinem Amtsantritt. Doch wann erfuhr Merz als Aufsichtsratschef davon? Und wie sehr hat er darauf gedrängt, den Skandal aufzuklären?

Noch brisanter ist seine Tätigkeit bei der Düsseldorfer Privatbank HSBC Trinkaus. Auch gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft seit 2016 wegen Cum-Ex-Geschäften. Hier ist Merz womöglich direkt mitverantwortlich: Seit 2010 sitzt er als Kontrolleur im Aufsichtsrat. "Hatten Sie vor Beginn der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Kenntnis von Cum-Ex-Geschäften?", will Schick daher wissen. Die Bank bestreitet, Cum-Ex-Deals getätigt zu haben.

Und dann ist da noch sein Job als Anwalt bei Mayer Brown: Die Kanzlei bietet sich Cum-Ex-Akteuren für den kommenden juristischen Showdown um die Geschäfte als Verteidiger an, während Merz sie als "vollkommen unmoralisch" bezeichnet. Schick fragt daher, ob Merz' Kanzlei "Mandanten darin unterstützt, ihre Cum-Ex-Gewinne rechtlich durchzusetzen" und ob Merz "an diesen Mandaten beteiligt" ist.

Waren die Cum-Ex-Geschäfte illegal?

 

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Bis 2012 gab es jedenfalls kein Gesetz, das sie unmöglich machte. Ein Maulwurf der Banken werkelte sogar an den Vorschriften mit. Erst nach jahrelangem Tiefschlaf unter den Finanzministern Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) schlossen die Beamten in Berlin die Schlupflöcher. Die Cum-Ex-Verteidiger argumentieren nun, man könne die Deals nicht nachträglich kriminalisieren, wenn sie damals nicht ausdrücklich verboten gewesen seien.

Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss, der die Cum-Ex-Affäre mehr als ein Jahr lang aufgearbeitet hat, hielten die Geschäfte allerdings parteiübergreifend für missbräuchliche Steuergestaltung. Und die war auch ohne spezielles Cum-Ex-Gesetz nach § 42 der Abgabenordnung schon immer verboten, wenn sie zu "einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt".

Es dürfte schwer werden, einen Richter davon zu überzeugen, der Gesetzgeber hätte beabsichtigt, Banken Steuern zu schenken, die sie nie gezahlt haben. Doch eine höchstrichterliche Bewertung der Cum-Ex-Deals steht noch aus. Inzwischen haben Kronzeugen bei den Ermittlern gesungen, die ersten Prozesse könnten 2019 starten. Einige Institute wie die Hypo Vereinsbank, HSH oder LBBW haben ihre Gewinne aus den fragwürdigen Geschäften bereits vorsorglich zurückgezahlt.

 

 

 

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