07. Dezember 2011   Themen

Krieg der Banken gegen das Volk

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 03.12.2011

Oligarchie der Finanz, von Michael Hudson

Bankstrategen haben gelernt, über ihre Pläne nicht demokratisch abstimmen zu lassen, nachdem die Isländer 2010 und 2011 es zweimal abgelehnt haben, der Kapitulation ihrer Regierung vor Großbritannien und den Niederlanden nach den massiven Verlusten isländischer Banken zuzustimmen. Und den Griechen, denen in diesem Herbst ein Referendum verwehrt wurde, blieb nichts übrig, als massenhaft auf die Straßen zu gehen, um ihren Widerstand gegen die von der Europäischen Zentralbank geforderten Privatisierungen zu zeigen. Das Problem ist, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Die EZB verlangt den Verkauf von Staatsbesitz - Land, Wasser, Häfen - sowie eine Kürzung von Renten und anderen Sozialleistungen. Die „untersten 99 Prozent“ sind verständlicherweise empört, wenn sie hören, dass die Spitzenverdiener 45 Milliarden Euro allein in Schweizer Banken geparkt haben sollen und damit weitgehend für das Haushaltsdefizit verantwortlich sind. Dass normale Steuerzahler für Steuerflüchtlinge geradestehen sollen - und für die allgemeine Nichtversteuerung von Vermögen seit den Zeiten der Militärjunta -, sorgt natürlich für Wut. Wenn die Troika aus EZB, Europäischer Union und IWF verkündet, dass die Bevölkerung aufkommen müsse für das, was die Reichen sich nehmen, stehlen, am Finanzamt vorbeischleusen, so ist das keine politisch neutrale Haltung. Hier wird unfair erlangter Reichtum privilegiert.
Nützliche Idioten

Ein demokratisches Fiskalregime würde progressive Steuern auf Einkommen und Grundbesitz erheben und Steuerflucht ahnden. Seit dem 19. Jahrhundert haben demokratische Reformer versucht, Volkswirtschaften von Verschwendung, Korruption und Einkommen aus Vermögen zu befreien. Doch die „Troika“ schreibt eine regressive Besteuerung vor, die nur durchzusetzen ist, wenn die Regierung in die Hände nicht gewählter „Technokraten“ gelegt wird.

Die Bezeichnung „Technokraten“ für die Administratoren einer derart undemokratischen Politik ist ein zynischer Euphemismus für Finanzlobbyisten oder Finanzbürokraten, die im Namen ihrer Auftraggeber als nützliche Idioten fungieren. Ihre Ideologie sieht den gleichen Sparkurs vor, der verschuldeten Staaten in der Dritten Welt zwischen den 1960ern und 1980ern vom Internationalen Währungsfonds aufgezwungen wurde. Diese Bürokraten sprachen von Stabilisierung der Zahlungsbilanz, öffneten zugleich den Markt und verkauften Exportbetriebe und Infrastruktur an ausländische Gläubiger. Die Folge war, dass die betroffenen Länder sich bei ausländischen Banken und ihren einheimischen Oligarchen noch weiter verschuldeten.
Faule Kredite

Dieser Weg wird nunmehr den Sozialdemokratien im Euroraum vorgeschrieben. Die Löhne sollen gekürzt, der Lebensstandard soll verringert werden und die politische Macht auf Technokraten übergehen, die im Auftrag großer Banken und Finanzinstitutionen agieren. Der öffentliche Sektor soll privatisiert, der Arbeitsmarkt dereguliert, Leistungen der Sozial-, Renten- und Krankenversicherung sollen eingeschränkt werden.

Die Lösung eines jeden größeren sozialen Problems schafft - nicht immer unbeabsichtigt - oft noch größere Probleme. Aus Sicht des Finanzsektors besteht die „Lösung“ der Eurokrise darin, die Errungenschaften der Reformer im letzten Jahrhundert (John Maynard Keynes sprach 1936 freundlich von der „Euthanasie des Rentiers“) rückgängig zu machen. Das Bankensystem sollte der Wirtschaft dienen und nicht umgekehrt. Doch nun ist der Finanzsektor zu einer neuen Form der Kriegsführung angetreten - scheinbar weniger blutig, aber mit den gleichen Zielen wie bei den Wikingereinfällen vor mehr als tausend Jahren und beim Vorgehen der europäischen Kolonialmächte, die sich Land und Bodenschätze, Infrastruktur und andere profitable Einnahmequellen aneigneten. Genau darum ging es, als Wilhelm der Eroberer nach 1066 das Domesday Book erstellen ließ - ein Modell für die heutige Politik von EZB und IWF.

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