04. November 2019   Themen

Cum-Ex Steuerskandal: Wenn das Recht zur Nebensache wird und der Gier weichen muss

Handelsblatt 04.11.2019

Wir fühlten uns wie die Größten“ – Kronzeuge im Cum-Ex-Prozess rechnet mit einer ganzen Branche ab

Ein Kronzeuge beschrieb am dritten Verhandlungstag den Richtern am Landgericht Bonn, wie die blanke Gier alle Grundsätze übertrumpfte, die er als Jurist je verinnerlicht hatte.
 

Bonn, Düsseldorf Benjamin Frey* hat viel gebeichtet in dieser 44. Kalenderwoche 2019. Er gab seine Teilnahme am wohl größten Steuerbetrug der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu. Er beschrieb den Richtern am Landgericht Bonn, wie die blanke Gier alle Grundsätze übertrumpfte, die er als Jurist je verinnerlicht hatte. Es dauerte allerdings bis zum dritten Verhandlungstag, bis dem Kronzeugen die Schilderung seiner eigenen Schuld die eigene Fassung raubte.

„Für das, was ich dieser Person angetan habe, möchte ich mich entschuldigen“, sagt Frey. Vieles, was er in den vielen Stunden seiner Aussage vorgetragen hat, wirkte einstudiert. Nun stockt ihm die Stimme. Die Person, von der Frey spricht, heißt Jana S. Sie war Sachbearbeiterin im Bundeszentralamt für Steuern, als ein Geschäft von Frey auf ihren Tisch geriet – und sie in sein Visier. Frey und seine Kollegen erklärten Jana S. zur Zielscheibe.

Die Sachbearbeiterin hatte Steuererstattungen in dreistelliger Millionenhöhe gestoppt. Sie schob damit einen Keil in die Maschine, mit der Frey für sich und seine Geschäftspartner Unsummen verdiente. Die Maschine hieß Cum-Ex. Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch wurden dabei so gehandelt, dass die Beteiligten sich das Mehrfache dessen von den Finanzämtern „erstatten“ ließen, das sie abführten. Eine ganze Dekade lang kamen schwerreiche Investoren, ihre Steuerberater, Rechtsgutachter und Banken damit durch. Dann stellte sich Jana S. quer.

„Wir haben ihr gedroht“, sagt Frey. Es sind Worte, deren Tragweite die Richter nach drei Tagen seiner Aussage gut einschätzen können. Frey war 2011 Partner einer der einflussreichsten Kanzleien Deutschlands. Ihre Kundenliste umfasste viele der vermögendsten Deutschen, sie hielt Verbindungen zu den größten Banken. Frey baute gegen die Sachbearbeiterin Jana S. den größten Druck auf, den er konnte. „Wir sagten, wir würden sie persönlich auf Schadensersatz verklagen“, sagt Frey. Es ging um Summen, die ihre finanzielle Existenz komplett zerstören würden.

Dann geschah etwas, womit weder Frey noch seine Partner rechneten. Die Beamtin ließ sich nicht einschüchtern. Mochten die Juristen, die pro Stunde mehr verdienten als Jana S. in der Woche, noch so viele Drohungen ausstoßen und Fristen setzen. Die Sachbearbeiterin weigerte sich, Steuern zu „erstatten“, die gar nicht abgeführt worden waren. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, doch damals ein Novum. Der Streit, in dem Jana S. standhaft blieb, wurde Auslöser eines Ermittlungsverfahrens, eine Keimzelle für die Aufklärung eines riesigen Skandals.

Zwölf Milliarden Euro soll der Schaden betragen, der durch Cum-Ex-Geschäfte entstand.

Geld, mit dem Brücken hätten saniert und Kindergärten gebaut werden können, floss stattdessen an Banken, hochvermögende Investoren und ihre Berater.

Männer wie Frey. Er selbst ist in mehreren Strafverfahren Beschuldigter. Gleichzeitig ist Frey einer der ersten, der bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre auspackten.

Ein Insider, der sich der Staatsanwaltschaft öffnete und das System entschlüsselte, mit dem er und andere reich wurden. Der Prozess in Bonn hätte ohne Frey vielleicht gar nicht stattgefunden – sicher nicht in der Form, Geschwindigkeit und Wucht, die er nun hat.

Ein Prozess als Schablone

Seit drei Tagen spricht Frey in Bonn als Kronzeuge. Zwei britische Aktienhändler sind wegen ihrer Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften angeklagt, die Staatsanwaltschaft legt ihnen die Verantwortung für einen Schaden von rund 400 Millionen Euro zur Last. Das Besondere an diesem Prozess ist nicht nur der Auftritt Freys. Die zwei Beschuldigten sind geständig und machten ihrerseits umfangreiche Angaben zu Details und Beteiligten am Cum-Ex-Skandal. Der Nordrhein-Westfälische Justizminister Peter Biesenbach nannte den Bonner Prozess schon „eine Schablone“ für alle weiteren Cum-Ex-Verfahren.

 

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