29. Dezember 2023   Aktuell

Sonneborn würdigt Schäuble: "DDR billig übernommen, kolonisiert" – "erpresserische EU-Spardiktate"

Der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Sonneborn hat die Aussage der "Welt" über den verstorbenen Wolfgang Schäuble – "Politiker mit Humor" – einmal, wie das so seine Art ist, wörtlich genommen und einen eigenen Clip als Nachruf veröffentlicht.

Dies war nun der zweite Nachruf, den der EU-Parlamentarier und frühere Titanic-Satiriker Martin Sonneborn in diesem Monat per YouTube veröffentlichen konnte. Nachdem der Abgeordnete erst Mitte Dezember mit einem Nachruf auf "Nachruf auf rund 4.000.001 Tote" den verstorbenen Henry Kissinger gewürdigt hatte, ließ Sonneborn nun einige Höhepunkte aus Schäubles politischem Leben Revue passieren.

 

Seinen X-Post hatte Sonneborn gewohnt spöttisch mit einer Zitatensammlung eingeleitet, quasi die Welt beim Wort genommen:

"'Glücksfall für die deutsche Geschichte' (Frank Alter Steinmeier), 'Gigant des Parlamentarismus' (Die Zeit), 'Griechenland feiert' (Titanic) – die Äußerungen zum Tode von W. #Schäuble scheinen ein bisschen einseitig. Ich habe ihn viermal nicht getroffen, dreimal vor Gericht und einmal im EU-Parlament. Und das war seine Schuld (…)"

 

Der Anlass für Sonneborn, diesen Clip zu drehen, war offenkundig eine Feierstunde zu 30 Jahren "deutscher Einheit", die im EU-Parlament veranstaltet wurde. Die Aufzeichnung hat Sonneborn nun wieder hervorgeholt, um Schäuble zu "würdigen". Eingangs bemerkte Sonneborn gegenüber den "lieben Zuschauern draußen an den Geräten", dass er nicht direkt zu Wolfgang Schäuble, "der vor wenigen Minuten in den Plenarsaal des Europäischen Parlaments gerollt wurde", habe sprechen dürfen. Der Grund: Das Rederecht sei "kurzfristig" einem kroatischen Abgeordneten übertragen worden – eine Anspielung auf Schäubles Rolle im Kabinett Helmut Kohl (CDU/CSU, FDP) bei der Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawien und die übereilte Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens. Was die Kohl-Jahre betrifft, erinnerte Sonneborn an Schäubles ebenso zentrale wie dubiose Rolle in der CDU-Spendenaffäre:

"Ob die Entscheidungsfindung anders ausgefallen wäre, wenn ich Schäuble einen schwarzen Koffer mit Hunderttausend in gebrauchten Scheinen mitgebracht hätte wie der vorbestrafte Waffenhändler Schreiber seinerzeit, wer weiß …"

Dabei bestehen durchaus Verbindungslinien zur aktuellen, SPD-geführten Bundesregierung unter Olaf Scholz, wie Sonneborn nahelegte:

Denn er habe weder "Schäubles Rolle in der Affäre um Cum-Ex-Geschäfte" ansprechen noch "seinen Kampf für Steuerhinterzieher und Geldwäscher, für den finalen Rettungsschuss, für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren: Stichwort Abschuss von Zivilflugzeugen" ansprechen wollen.

Ebenso wenig habe Sonneborn vor dem EU-Parlament Schäubles "Anregung" erwähnen wollen, "bei Terrorermittlungen Foltergeständnisse zu nutzen oder alle weiteren Frontalangriffe des christdemokratischen Dogmatikers auf das deutsche Grundgesetz".

Der verstorbene Schäuble habe selbst Fraktionskollegen aus Bayern in den Schatten gestellt:

"Auf gar keinen Fall erwähnen wollte ich auch seine verfassungswidrige Brennelementesteuer, die die Bürger letztlich sieben Milliarden Euro kosten wird. Dann kann selbst der dämliche Andy B Punkt Scheuert nur staunen! Smiley."

Als deutscher Finanzminister im Kabinett Angela Merkel war Schäuble einer der Antreiber und Scharfmacher in der Banken- und Eurokrise gegenüber Griechenland und den südlichen EU-Ländern:

"In höfliches Schweigen zu hüllen gedachte ich sogar Schäubles autistisches Beharren auf eine Austeritätsdoktrin, deren erpresserische Spardiktate ganze europäische Sozialstaatswesen in die Knie gezwungen haben."

Sonneborn kam schließlich noch einmal auf Schäubles Funktion bei der Übernahme der DDR durch die Alt-BRD zurück:

"Nein, ich wollte uns anlässlich der Feierstunde zu 30 Jahren Mauerfall eigentlich nur gratulieren. Gratulieren dazu, dass wir die DDR 1990 billig übernommen, kolonisiert, filetiert und nach allen Regeln der kapitalistischen Kunst ausgeschlachtet haben. Aber Geben ist dennoch seliger denn Nehmen. Und deswegen fordere ich hier und heute, den Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen in den kommenden Jahren schrittweise von 1,7 Prozent auf 1,75 Prozent zu erhöhen. Zwinker-Smiley."

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