17. Dezember 2015   Aktuell

Antrag der Links-Partei: Fluchtursachen bekämpfen

Die Fluchtwellen wird man nur mittels einer wahrheitsgetreuen Aufarbeitung der Ursachen beenden können. Bisher wagt es jedoch nur  DIE LINKE., die Verantwortlichen für die Flüchtlingsströme zu nennen.Jede andere Partei verschließt die Augen vor der Wahrheit, „gute Gründe" für ihre Verdrängung gibt es genug. Letztendlich haben sie an den Ursachen mitgewirkt und praktisch keine andere Wahl als die mörderischen Anlässe weiterhin zu dulden, zu verschweigen und damit zu unterstützen. Für jeden Toten tragen sie eine Mitschuld.

Die Kanzlerin versucht die Deutungshoheit an sich zu reißen und einen Dialog zu unterbinden, indem sie inhaltslos von der „Beseitigung der Fluchtursachen“ redet, die sachlich richtige Aufklärung der Zusammenhänge aber verweigert. U. Engelke

Deutscher Bundestag. Drucksache 18/7039. 18. Wahlperiode. 15.12.2015.

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang
Gehrcke, Frank Tempel, Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Stefan
Liebich, Dr. Alexander Neu, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.


Fluchtursachen bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Weltweit sind knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie seit
Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. In den letzten Jahren stieg die Zahl nach
Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) so rasant
an wie noch nie seit Beginn der Erfassung. Auch die Zahl der Flüchtenden, die in
Europa ankommen, ist stark angestiegen. Die Flüchtlinge in Europa bilden jedoch
nur einen relativ kleinen Teil der globalen Fluchtbewegungen.
Allein der Krieg in Syrien hat 11,5 Millionen Menschen in die Flucht getrieben,
davon sind 7,6 Millionen innerhalb von Syrien und 3,9 Millionen ins Ausland
geflohen. Im Nachbarland Irak, wo, ausgelöst durch die US-geführten Invasionen
von 1991 und 2003, ein Bürgerkrieg von wechselnder Intensität stattfindet, in dem
der terroristische „Islamische Staat“ (IS) seinen Ursprung hat, leben neben den
Flüchtlingen aus Syrien noch 3,6 Millionen Binnenvertriebe. Im Jemen, wo
Saudi-Arabien in einer Allianz mit weiteren arabischen Staaten Krieg führt, sind
2,3 Millionen Menschen auf der Flucht. In Libyen sind 300.000 Menschen auf der
Flucht vor dem gewalttätigen Chaos, das dem internationalen Militäreinsatz im
Jahr 2011 folgte. Mehr als eine Million Afghaninnen und Afghanen leben als
Flüchtlinge in Pakistan. Der UNHCR weist darüber hinaus auf die zahlreichen
Konflikte in Afrika, wie zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik, dem
Südsudan, in Somalia, Nigeria oder der Demokratischen Republik Kongo, hin.
Auch dort haben sich immense Fluchtbewegungen in Gang gesetzt. Insgesamt
gibt es in Afrika südlich der Sahara 11,4 Millionen Binnen- und 3,7 Millionen
internationale Flüchtlinge.
2. Der Blick in die Herkunftsländer der Flüchtenden macht deutlich, dass die
westlichen Staaten, darunter Deutschland, einen beträchtlichen Teil der
Verantwortung dafür tragen, dass Menschen fliehen müssen. Unter der Führung der USA wurden ganze Regionen destabilisiert: Der „Krieg gegen den Terror“ hat
seit 2001 vielen Menschen das Leben gekostet und noch mehr Menschen
heimatlos gemacht. Den Terror effektiv bekämpft hat er nicht. Im Gegenteil: Noch
nie hat es so viele Terroropfer gegeben wie mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn
des „Kriegs gegen den Terror“.
Die Politik des Regime-Change, des von außen aufgezwungenen Sturzes auch von
Diktaturen, etwa im Irak oder in Libyen, hat die betreffenden Länder in heilloses
Chaos gestürzt. Auch in Syrien haben ausländische Interessen ihren Anteil an der
Eskalation des Krieges. Im Umfeld des Zusammenbruchs von Staaten gedeihen
im Nahen und Mittleren Osten islamistische Ideologien und finden
Terrororganisationen Zulauf. Deutschland beteiligt sich am Militäreinsatz in
Afghanistan, unterstützt die US-Drohnenangriffe in Pakistan und Jemen
stillschweigend logistisch, trägt die Regime-Change-Politik z.B. gegenüber
Syrien mit und kooperiert weiterhin militärisch und wirtschaftlich mit Ländern
wie der Türkei oder Saudi-Arabien, beliefert sie sogar mit Waffen, obwohl
bekannt ist, dass sie terroristische beziehungsweise islamistische Gruppen im
syrischen Bürgerkrieg unterstützen und ausrüsten. Insofern muss sich auch die
deutsche Außenpolitik grundlegend ändern, wenn Fluchtursachen nachhaltig
bekämpft werden sollen.
3. Nicht nur direkte, auch strukturelle Gewalt kann Menschen in die Flucht
treiben. Die Europäische Union (EU) treibt weltweit Freihandelsabkommen
voran, die die Profite europäischer Konzerne erhöhen sollen und die sowohl
zulasten der Lohnabhängigen und der Verbraucherinnen und Verbraucher, als
auch der kleinen Produzentinnen und Produzenten, insbesondere in den Ländern
des Südens, gehen. Das geplante Abkommen TTIP zwischen der EU und den
USA wird negative Auswirkungen auch auf Länder haben, die vertraglich zwar
nicht beteiligt sind, die aber Absatzmärkte in der EU bzw. den USA verlieren und
damit wirtschaftlich erpressbar werden. Noch direkter wirken die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die sogenannten EPAs, zwischen der EU
und afrikanischen Staaten. Auch diese Abkommen folgen der verheerenden
Ideologie des Freihandels. Das Produktivitätsgefälle zwischen der EU und den
afrikanischen Volkswirtschaften und die fortbestehenden EU-Agrarsubventionen
werden unweigerlich dazu führen, dass vor allem kleinbäuerliche Existenzen in
Afrika zerstört werden. Die ehemalige Kulturministerin Malis, Aminata Traoré,
spricht in diesem Zusammenhang von den „Massenvernichtungswaffen“ Europas.
Eine selbstbestimmte, nachhaltige Entwicklung bleibt damit unmöglich. Die
wirtschaftliche Abhängigkeit wächst und verstärkt gleichzeitig auch den
Migrationsdruck. Auch Fischer, deren Fanggebiete von Trawlern aus der EU
leergefischt werden, und Kleinbauern, deren Produkte auf den lokalen Märkten
nicht mit Billigimporten aus der EU konkurrieren können, befinden sich unter den
Flüchtenden oder werden, in Ermangelung anderer Einnahmequellen, selbst zu
Schleppern.
4. Der um ein Vielfaches größere Energie- und Rohstoffverbrauch in den
Industriestaaten, verbunden mit entsprechenden Emissionen klimaschädlicher
Gase, lässt die ökologische Schuld des Nordens weiter anwachsen. Unter dem
Klimawandel leiden v. a. die Menschen im Süden, die am wenigsten dazu
beigetragen haben. Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen und
Umweltzerstörung gefährden die Lebensgrundlagen in vielen Ländern und
schaffen so Fluchtursachen. Billige Palmöl- und Sojaöl-Importe aus Asien und
Südamerika heizen den Kampf um fruchtbares Land an. Millionen Hektar
Landfläche sind vom sogenannten „Land-grabbing“ betroffen. Das bedeutet, dass
lokale Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vertrieben und große Flächen Land verkauft oder für viele Jahre an Konzerne verpachtet werden, die unter anderem
Agrarrohstoffe für den Export von „Biodiesel“ in die EU anbauen. Durch hohe
Beimischungsquoten in der EU wird dieses Geschäft weiter angeheizt. Auch
Deutschland treibt zusammen mit der G7-New Alliance, der Gates-Stiftung und
zahlreichen Agrarkonzernen wie Monsanto, Bayer und BASF eine
Industrialisierung der Landwirtschaft, insbesondere in Afrika, voran. Diese so
genannte „zweite Grüne Revolution“ wird zu einem weiteren Exodus aus dem
ländlichen Raum führen, ohne dass für die freigesetzten Arbeitskräfte andere
Erwerbsmöglichkeiten existieren.
5. Migration kann ein wichtiger Bestandteil von wirtschaftlicher Entwicklung
sein. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta, Malta, zu Migrationsfragen haben
die afrikanischen Staatschefs auf diesen Zusammenhang hingewiesen und legale
Möglichkeiten zur Migration in die EU gefordert. Ihre Länder sind auf
Rücküberweisungen der Migrantinnen und Migranten und den Austausch von
Know-how angewiesen. Die EU wollte sich auf Quoten für die legale Einreise in
die EU nicht einlassen und setzte stattdessen eine Agenda durch, die die
afrikanischen Staaten dazu verpflichtet, in der Eindämmung von Flucht und
Migration und bei der Rückführung von Geflüchteten zu kooperieren. Diese
Politik wird aber nicht zu weniger, sondern zu mehr Flucht führen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- deutsche Rüstungsexporte sofort zu stoppen;
- sich nicht länger an Regime-Change-Strategien und NATOMilitärinterventionen
zu beteiligen;
- den USA nicht weiter zu erlauben, auf deutschem Boden Flughäfen und
militärische Einrichtungen zur Führung ihrer Kriege und weltweiten
Drohneneinsätzen zu unterhalten;
- ihre Außenpolitik auf eine aktive Friedenspolitik zu orientieren, die nicht
weiter auf völkerrechtswidrige Regime-Changes und die Destabilisierung
von Staaten mittels Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, setzt, sondern
die Mittel der zivilen Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung verstärkt
zum Einsatz bringt;
- insbesondere den Zivilen Friedensdienst weiter auszubauen, indem die
Mittel dafür sofort verdoppelt und perspektivisch auf 100 Millionen Euro
jährlich angehoben werden, sowie ein Sonderprogramm für besonders von
regionalen Fluchtbewegungen betroffene Länder wie Libanon und Jordanien
aufzulegen;
- innerhalb der EU sich gegen Mandate für neoliberale Freihandelsabkommen
auszusprechen und Verhandlungen über weitere Abkommen, wie z.B. TTIP
und TISA, zu stoppen;
- sich auf europäischer Ebene für einen Stopp des Ratifizierungsprozesses der
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten einzusetzen;
- das Recht auf Nahrung als zentralen Eckpfeiler der internationalen Politik zu
etablieren und die Ernährungssouveränität der Staaten des Südens zu
stärken, indem diese das Recht erhalten, ihre heimischen Nahrungsmittelund
Saatgutmärkte vor Importen zu schützen;
- in den Ländern des Südens keine Industrialisierung der Landwirtschaft im
Sinne der globalen Agrarkonzernen zu forcieren und in diesem Zusammenhang etwa die Mitgliedschaft bei der G7-New Alliance für
Ernährungssicherung in Afrika zu beenden;
- sich für ein Verbot von Nahrungsmittelspekulation einzusetzen;
- sich für ein EU-Importverbot von Biomasse aus Drittstaaten, welche
insbesondere für die Agrartreibstoffproduktion genutzt wird, einzusetzen
und zudem auf eine rasche Reduzierung der Futtermittelimporte
hinzuwirken;
- wirksame Maßnahmen gegen deutsche Unternehmen und Konzerne
einzuleiten, die sich an Landraub beteiligen oder durch Raubbau an
natürlichen Ressourcen die Existenzgrundlage lokaler und regionaler
Ökonomien zerstören, insbesondere die Einführung eines
Unternehmensstrafrechts;
- sich bei den Vereinten Nationen für eine zwischenstaatliche VN- Institution
einzusetzen, die Steuervermeidung und Steuerflucht der multinationalen
Konzerne bekämpft;
- die selbst auferlegte Verpflichtung zu erfüllen, 0,7 Prozent des
Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen;
- die deutschen Beiträge an das Welternährungsprogramm, an den UNHCR
und an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen deutlich zu
erhöhen.


Berlin, den 15. Dezember 2015
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion


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