21. August 2016   Aktuell

Nachruf Herbert Schui

Rudolf Hickel
Versuch eines Nachrufs auf Herbert Schui: Theoriegewaltiger Kapitalismuskritiker
Als die Nachricht vom Tod Herbert Schuis sich verbreitete, war die Betroffenheit
groß. Seine Mitstreiter, seine Freunde, aber auch diejenigen, die er in der Wirtschaftswissenschaft
und Politik scharfzüngig kritisiert hatte, wissen, ein großer
Ökonom in der Tradition der kritischen Politischen Ökonomie steht für die dringend
notwendige Aufklärung nicht mehr zur Verfügung.
Seine wissenschaftliche Karriere begann er nach dem Studium der Volkswirtschaft
im Forschungsprojekt „Geldtheorie und Geldpolitik“ an der gerade neu gegründeten
Universität in Konstanz. Der Chef war damals der hoch renommierte
Monetarist Karl Brunner aus Rochester (USA), der die Federal Reserve Bank
scharf kritisierte. Da hat Herbert Schui die Giftküche der Marktfundamentalisten
kennengelernt. Er arbeitete als wissenschaftlicher Assistent mit dem deutschen
Monetaristen Manfred Neumann, der als Fundamentalkritiker des Keynesianismus
auftrat, in diesem Forschungsprojekt zusammen. Zur Summer-University rief
Brunner als Vertreter des internationalen Monetarismus viele Jahre die allerdings
nur der neoklassisch und monetaristisch zuzuordnenden großen Ökonomen an
den Bodensee. Herbert Schui nutzte die Chance, auf diesen Sommeruniversitäten
mutig mit etwa Milton Friedman, James Buchanan, Harold Demsetz und vielen
anderen Vertretern eines Marktfundamentalismus zu streiten. 1972 promovierte
er erfolgreich über das System der Geldpolitik in Frankreich. Die Wahl des Landes
war kein Zufall. Seine Liebe galt Frankreich und seiner Ferme, dem kleinen
Bauernhof in einer damals verarmten Bergregion in der Nähe von Limoux.
1974 wechselte er zur neu gegründeten Universität Bremen. Seine Lehre zu allgemeinen
Fragen des Kapitalismus aber auch zu den Grundannahmen der modernen
Preistheorie wurde von den Studierenden geschätzt. In Bremen wirkten
die theoretisch und politisch gefürchtete „Trio Infernale“
Schui/Huffschmid/Hickel. 1980 wechselte er zur Hochschule für Wirtschaft und
Politik in Hamburg (HWP). Dort wurde er zum führenden Kopf einer Wirtschaftswissenschaft,
die kritisiert, wie Konflikte zwischen Kapital und Arbeit mit neoklassischen
Mythen verdrängt werden.
Mit seiner Theoriegewalt und im Bemühen um Aufklärung konnte er sich nicht auf
den Elfenbeinturm reduzieren. Schon in seiner Konstanzer Zeit war der Intellektuelle
bei den Gewerkschaften als Referent und Berater gefragt. Dieser Aufgabe
blieb er bis zu seinem Tod verbunden.
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Herbert Schui nutzte auch die Medien, um seine Botschaft gut begründet zu
verbreiten. In Tageszeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“ und später auch
im „Neuen Deutschland“ und vielen anderen Organen provozierte er mit spannenden
Kommentaren.
Sein Schritt in die große Politik war konsequent. Mehr als eine Legislaturperiode
saß er in der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Dort lernte er auch, wie schwierig
es wegen unterschiedlicher Bewertungen innerhalb der LINKEN sein kann,
gemeinsame Positionen zu fixieren.
Wissenschaftspolitisch gehört die Gründung der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“
– auch Memo-Gruppe genannt – zusammen mit Jörg Huffschmid
1975 zu seinen überragenden Leistungen. Er hat Positionen entwickelt, diskutiert
und schließlich auch auf den jährlichen Pressekonferenzen vor allem in der Anfangsphase
in Bonn vertreten.
Der Ort, an dem die Memo-Idee geboren wurde, sagt auch etwas über den Genießer
aus. Mit Jörg Huffschmid saß er am offenen Feuer seiner Ferme in der Nähe
von Limoux in Frankreich beim Wein. Die beiden warteten, bis endlich die
Lammkeule gegart sein würde. Sie nutzten die Zeit zu einer intensiven Diskussion
über die ökonomische und wirtschaftswissenschaftliche Lage. An diesem Ort
vereinbarten die beiden Vordenker, ein MEMORANDUM zu einer alternativen
Wirtschaftspolitik zu verfassen. Nach der Rückkehr aus dem Süden Frankreichs
wurde auch ich in den Ideenimport eingebunden. Zur Erinnerung: 1975 brach die
Wirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit stieg. Das erste MEMORANDUM richtete sich
gegen die damals kreierte neoklassische Parole von den steigenden Gewinnen zu
Lasten der Löhne, die morgen Investitionen und übermorgen Arbeitsplätze schaffen
sollen. Diese Grundkritik gilt bis heute.
Es wäre anmaßend, an dieser Stelle das gesamte wissenschaftliche und politische
Werk von Herbert Schui zu bewerten und zu würdigen. Deshalb nur der Hinweis
auf drei Themen, die dieser Ökonom vorangetrieben hat:
(1) Er forschte über die Grundfragen der Anatomie des Kapitalismus und entwickelte
die Theorie von Karl Marx wirklichkeitsverankert weiter. Dafür steht
seine Publikation „Ökonomische Grundprobleme des entwickelten Kapitalismus“.
(2) Während seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit konzentrierte er sich
auf die Analyse der monopolistischen Konkurrenz mit ihren negativen Folgen
für den Wettbewerb, die Gesamtwirtschaft sowie die politischen Machtverhältnisse.
Dabei leistete er Pionierarbeit zur empirischen Bestimmung
des Monopolisierungsgrads in Deutschland.
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(3) Die Weiterentwicklung der gesamtwirtschaftlichen Analyse nach der Theorie
von John Maynard Keynes hat er erfolgreich vorangetrieben. Sein Erkenntnisinteresse
galt der Frage, wie ein Marktsystem auf einzelwirtschaftlicher
Rationalität zur gesamtwirtschaftlichen Irrationalität in Form von Krisen führen
kann. Dabei hat er auch die Verteilungsfrage in der Tradition von Michael
Kalecki und Nicholas Kaldor berücksichtigt.
Herbert Schui war ein Kämpfer vor allem gegen die Mythenbildung der vorherrschenden
Wirtschaftswissenschaft. Gelegentlich unterstrich seine Lautstärke den
unerbittlichen Einsatz gegen affirmatives Denken. Sein Tod sollte zum Anlass genommen
werden, sein Werk zu studieren. Dann könnte die Lücke, die er hinterlässt,
kleiner werden.
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Bremen, im August 2016

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