10. Oktober 2018   Aktuell

Gleichberechtigung? Vonwegen! Frauen müssen draußen bleiben!

Quelle: zeit.online

Das Hans-System hat am Beispiel von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gerade vorgeführt, wozu Männerseilschaften imstande sind: Wer als Spitzenbeamter durch Fehlverhalten eine Regierungskrise auslöst, kann trotzdem Sonderbeauftragter im Innenministerium werden. Für Frauen bleiben viele herausgehobene Positionen hingegen gleich unerreichbar. Und die Regierung hält ihr Versprechen nicht, für Ausgleich zu sorgen – ein Versprechen, das Union und SPD eben erst im Koalitionsvertrag erneuert haben.

Je mächtiger, desto weniger Frauen

Eine Auswertung der Leitungsebenen des Finanzministeriums zeigt: Auch wenn es seit 1999 mehr Frauen nach oben geschafft haben, die meisten Chefs sind bis heute Männer.

Statt einer erfahrenen Beamtin wird ein Prestigethema einem Nachwuchsjuristen übertragen. Als dann klar wird, dass ihn die Aufgabe überfordert, muss die Kollegin aushelfen und seine Vorlagen nachbessern – ohne dass ihre Leistung anerkannt wird.

Eine Führungsposition in der Abteilung wird frei. Der Vorgesetzte einer hochqualifizierten Beamtin erzählt ihr, er habe die Personalie mit seiner Ehefrau besprochen: "Meine Frau findet, die Stelle ist nichts für eine Mutter."

Eine Leitungsstelle ist ausgeschrieben, sie passt genau auf eine bestimmte Mitarbeiterin. Niemand anderes hat bessere Beurteilungen vorzuweisen, auch nicht der männliche Mitbewerber. Doch statt sie zu befördern, bedient sich der Vorgesetzte eines Tricks. Im letzten Moment zieht er die Ausschreibung zurück.

 

Die Jobs gehen an Männer

Die wenigsten offenen Leitungsfunktionen im Bundesfinanzministerium wurden zwischen 1999 und 2018 an eine Frau vergeben. Meist wurde ein Mann ausgewählt (135 mit Männern besetzt, 18 mit Frauen besetzt).

Einzelfall Führungsfrau

Das Organigramm des Bundesinnenministeriums zeigt die Führungsebenen, und ob die Position mit Männern oder Frauen besetzt wurde. Unbesetzte Stellen sind weiß eingefärbt.

Färbt man die Frauennamen in diesen Plänen orange ein, wird ein Muster sichtbar. Die unteren Ebenen sind orange getupft, nach oben hin wird das Bild farbloser. Die obersten Führungsebenen sehen oft eintönig aus, allenfalls mit wenigen orangen Sprenkeln. Dort spielen Frauen kaum eine Rolle. Zentrale Führungsbereiche bleiben überwiegend Männern vorbehalten, nicht nur im Innenministerium, sondern auch im Finanz-, Verkehrs- oder Landwirtschaftsressort und in gewichtigen Behörden wie der Bundesbank oder der Bundespolizei.

Noch krasser wird das Missverhältnis, wenn man auf die gesamte Belegschaft der Ministerien sieht. Denn nahezu überall ist mehr als die Hälfte der Belegschaft weiblich. Nur steigen kaum Frauen auf.

In zahlreiche Spitzenämter hat es seit der Gründung der Bundesrepublik noch nie eine Frau geschafft. Bis heute wurden Behörden wie der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt nur von Männern geleitet. Sie sind ein "Kerleding", wie eine Ministeriumsbeamtin sagt, die in einer davon gedient hat. Insgesamt gibt es in Deutschland 98 dieser oberen und obersten Bundesbehörden, von der Bundesagentur für Arbeit bis zum Bundessortenamt. Ziemlich genau 100 Jahre nach Einführung des Wahlrechts für Frauen wird nur ein Viertel dieser Behörden von Beamtinnen geleitet.

 

Am Rande des Regierungsviertels hat an einem Septemberabend ein großer Sportverband zu einer Gala geladen. Preise sollen verliehen, Reden gehalten werden. Es ist einer jener Hauptstadttermine, bei denen sich die Führungselite des Landes zeigt. Dresscode: sportlich-elegant. Schwarze Limousinen stoppen vor einem Rokoko-Palais, im Saal haben die Organisatoren die Stehtische mit gestärkten Tischtüchern überzogen und die Sitzordnung arrangiert. Minister und Staatssekretäre werden erwartet. Das Abendprogramm und die Namensschilder auf den Stühlen bilden die Machtverhältnisse im Regierungsviertel.
Alle Redner sind Männer, auch die Stühle in der ersten Reihe sind männlichen Gästen vorbehalten. Dort sitzt an diesem Abend neben Wirtschaftsminister Peter Altmaier auch Markus Kerber, einer der Männer, die Horst Seehofer als Staatssekretär ins Innenministerium geholt hat. "Ich darf die Herren zu mir bitten", sagt der Moderator, auf der Bühne soll ein launiges Talkformat beginnen. Wie es denn so im Innenministerium laufe, will er von Kerber wissen. "Bei uns läuft's bombig!" Kerber grinst und genießt das Gelächter im Saal. Für die einzige geladene Spitzenbeamtin, die für Sport zuständige Ministerialdirektorin aus dem Innenministerium, hat man derweil einen Stuhl in der letzten Reihe reserviert. Es ist ein Bild, wie man es fast überall in den politischen Führungsebenen Deutschlands findet. Am deutlichsten zeigt es sich dort, wo die meiste Macht konzentriert ist: bei den beamteten Staatssekretären. Sie sind hoch bezahlte Verwaltungsexperten, sie vertreten den Minister oder die Ministerin, sie sind die eigentlichen Leiter der Verwaltung, sie organisieren die Behörden, bestimmen die Themen, regieren das Land. Und sie sind fast immer Männer. Den gleichen Kreislauf gibt es auch bei den mächtigsten Positionen der Bundesverwaltung. In der Geschichte der Bundesrepublik sind bislang 692 beamtete Staatssekretäre ernannt worden. Die männliche Bezeichnung ist angebracht, denn in 668 Fällen wurde ein Mann für dieses Amt ausgewählt. Nur 24 Mal nominierten die zuständigen Minister und Ministerinnen eine Frau. Zieht man Frauen ab, die mehrfach ernannt wurden, dann gab es seit 1949 insgesamt nur 19 beamtete Staatssekretärinnen. In derselben Zeit wurden 24 Männer Staatssekretäre, die den Vornamen Hans trugen, und 18, die Karl hießen. Es gab also in 69 Jahren Bundesrepublik mehr Männer namens Hans in dieser wichtigen Funktion als Frauen. Politiker wie Seehofer schreiben dieses Hans-Prinzip konsequent fort. Unter den fünf beamteten Staatssekretären in seinem Superministerium ist zwar ein Hans-Georg, jedoch keine einzige Frau. Die übrigen drei Positionen auf der obersten Leitungsebene, jene der parlamentarischen Staatssekretäre, besetzte er ebenfalls mit Männern. Als das Ministerium im März ein Foto von Seehofer im Kreise der acht grauen Anzugmenschen auf seiner Website veröffentlichte, löste das empörte Kommentare in den sozialen Medien aus. Die Pressestelle nahm eilig das Bild von der Seite. Inzwischen steht es dort wieder.

Schröders "Gedöns" hat der Idee geschadet

"Bei solchen Posten greifen oft Empfehlungskartelle", sagt Anne von Fallois. Sie war Abteilungsleiterin im Bundespräsidialamt und leitet heute das Hauptstadtbüro der Personalberatung Kienbaum. Häufig würden Weggefährten platziert oder Weggefährten von Weggefährten, außerdem Leute aus den Sympathisantenzirkeln der eigenen Partei.

So belohnt das Hans-Prinzip einfach nur das Mannsein. Hans fördert Hans, aber Hans fördert eher keine Ulrike. Das Prinzip festigt die Konformität und bestraft Unterschiedlichkeit. Dazu ist nicht einmal böser Wille nötig. Es reicht aus, wenn Vorgesetzte der erlernten Routine folgen.

Eigentlich müsste das Hans-Prinzip längst Geschichte sein. Denn schon seit 2001 sollte ein Gesetz die Männerdominanz in den Regierungsbehörden beenden. Das Regelwerk trägt den müden Titel Bundesgleichstellungsgesetz und hat zum Ziel, "die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen". So steht es im ersten Paragrafen.

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