21. Juni 2019   Aktuell

Abhörtechnik für Autokraten Deutschland exportiert trotzdem

Quelle: Tagesschau.de

Stand: 20.06.2019 17:01 Uhr

 

Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien und Katar werden Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen. Ein Schreiben der Bundesregierung zeigt nun, in welchem Umfang Deutschland trotzdem Exporte von Überwachungstechnologie genehmigt.

Von Philipp Eckstein, Jan Lukas Strozyk und Benedikt Strunz, NDR

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren den Export von Überwachungstechnik im Wert von mehr als 26 Millionen Euro genehmigt. Zu den Zielländern gehörten Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Katar, in denen es regelmäßig zu Menschenrechtsverstößen kommt.

Wie aus der Antwort auf eine schriftliche Einzelanfrage der FDP hervorgeht, hat die Bundesregierung in 13 Fällen den Export von Technologie zur Telekommunikationsüberwachung und in 15 Fällen den Export von Ausrüstung für Überwachungszentren und die sogenannte Vorratsdatenspeicherung erlaubt. Die Antwort, die dem NDR vorab vorliegt, umfasst den Zeitraum von Anfang 2015 bis Juni 2019.

Vorwurf schwerer Menschenrechtsverletzungen

Aus dem Schreiben geht beispielsweise hervor, dass in den Jahren 2015, 2016 und 2018 jeweils eine Genehmigung zum Export nach Katar erteilt worden ist, mit einem Gesamt-Auftragsvolumen in Höhe von mehr als einer Million Euro. Dabei handelt es sich nach Auskunft der Bundesregierung um Folgeaufträge aus früheren Exporten. Katar steht vor allem wegen des Umgangs mit Arbeitsmigranten im Land in der Kritik, zudem gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung dort als eingeschränkt.

Auch Ägypten hat 2015 und 2019 im Wert von fast zwei Millionen Euro Technologie zum Einrichten von Überwachungszentren und zur Vorratsdatenspeicherung erworben. Immer wieder gab es seit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung im Jahr 2013 Berichte über massive Menschenrechtsverstöße in Ägypten: Oppositionelle und kritische Journalisten sollen verschleppt und gefoltert worden sein.

Exporte nach Brunei und Saudi-Arabien

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen sagte dem NDR:

"Die Bundesregierung lässt weiterhin keine Strategie in ihrer Exportpolitik erkennen. Die Antworten offenbaren die menschenrechtlichen Mängel in der aktuellen Exportpraxis, die auch der Bundesregierung bereits seit Jahren bekannt sind. Denn der Export von Überwachungstechnologien ist in Zeiten digitaler Vernetzung ein hochsensibler Bereich und ein beliebtes Mittel autokratischer Staaten, die Freiheit von Meinungen und Medien einzuschränken und eine aktive Zivilgesellschaft zu unterdrücken."

Das Sultanat Brunei hat 2016 und 2019 Überwachungstechnologie im Gesamtwert von fast 1,3 Millionen Euro aus Deutschland importiert. Brunei war im April dieses Jahres international kritisiert worden, weil das Land zeitweise die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Sex eingeführt hatte. Auch Saudi-Arabien taucht in der Liste der genehmigten Exporte auf. Das Land hat demnach nur in kleinem Umfang 2016 Überwachungstechnologie eingeführt. Saudi-Arabien steht im Verdacht, den kritischen Journalisten Jamal Khashoggi im vergangenen Oktober in Istanbul in eine Falle gelockt und ermordet zu haben.

Exporte: Überwachungszentren und Vorratsdatenspeicherungssysteme
JahrBestimmungslandGenehmigungenWert in Euro
2015 Ägypten 1 1.764.388
  Katar* 1 178.882
  Kosovo 1 460.000
2016 Brunei 1 1.125.772
  Katar* 1 536.646
  Montenegro 1 76.100
  Oman* 1 341.130
2017 Indonesien 3 1.606.043
2018 Indonesien 2 22.256
  Katar* 1 563.196
2019 (bis 11.06.) Ägypten* 1 124.000
  Brunei* 1 153.321
  *Genehmigung im Zusammenhang mit früheren Vorgängen und zum Teil sich daraus ergebenden Folgeverpflichtungen der Unternehmen    

Verbot bereits 2014 angekündigt

Bereits 2014 hatte der damalige SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel angekündigt, den Export von Überwachungsprogrammen in Staaten, die wegen der Missachtung von Menschenrechten in der Kritik stehen, verbieten zu wollen. Die Bundesregierung schreibt in der Antwort nun, man prüfe "sorgfältig jeden Einzelfall und verfolgt eine verantwortungsvolle Genehmigungspolitik, bei der die Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungsland von hervorgehobener Bedeutung ist".

Derartige Technologien können auch gegen Reporterinnen und Reporter eingesetzt werden. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sagte dem NDR: "Länder wie Ägypten, Katar, Brunei oder auch Algerien gehen seit Jahren gegen Journalistinnen und Journalisten vor. Mir ist schleierhaft, wie die Bundesregierung trotz Exportkontrollen zum Ergebnis kommen konnte, die Spähtechnologie würde dort nicht zur Unterdrückung eingesetzt werden."

Markt vermutlich noch größer

Der Markt für Überwachungstechnologie in Deutschland ist mutmaßlich noch deutlich größer. Bei den meisten Staaten - etwa USA oder Großbritannien - sind keine Genehmigungen notwendig. Für andere Länder brauchen Konzerne eine Genehmigung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

Das betrifft den Export sogenannter Dual-Use-Güter, also Technologie, die auch militärisch eingesetzt werden kann. Die Antwort listet neben den Exporten für die Kategorie "Überwachungszentren und Vorratsdatenspeicherungssysteme" auch "Telekommunikationsüberwachung" auf.

Exporte: Telekommunikationsüberwachung
JahrBestimmungslandGenehmigungenWert in Euro
2015 Algerien 1 1.500.000
  Libanon 2 2.361.734
  Marokko 1 310.000
  Vereinigte Arabische Emirate 1 699.206
2016 Dänemark 1 135.00
  Saudi-Arabien 1 1.142
2017 Indien 1 7.628.670
  Jordanien 1 5.361.929
  Libanon 1 365.700
  Tunesien 1 1.335.970
2018 Indien 1 0*
2019 (bis 11.06.) Israel 1 1*
  *systembedingte Buchungswerte    

"Exportkontrollen müssen überarbeitet werden"

Keine Exportgenehmigung will die Bundesregierung für die Kategorie "Intrusion Software", also Spähprogramme, mit denen sich beispielsweise Mobiltelefone direkt auslesen lassen. Im vergangenen Jahr hatten NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet, dass türkische Oppositionelle mutmaßlich mit eben solcher Software deutschen Ursprungs ausgeforscht worden waren. Es soll sich dabei um ein Produkt der Firma FinFisher mit Sitz in München gehandelt haben. Das Unternehmen stellt auch den sogenannten Bundestrojaner her, eine Spionagesoftware für das Bundeskriminalamt. Ob FinFisher eine Exportgenehmigung für die Türkei besessen hat, wollte das BAFA damals nicht beantworten. Auch die Firma äußerte sich nicht. In der aktuellen Antwort heißt es lediglich, dass für die Produktgruppe der "Intrusion Software" keine Genehmigungen erteilt worden sind.

Mihr von Reporter ohne Grenzen sagt dazu: "Es passt nicht zusammen, dass in der Türkei Spähtrojaner aus deutscher Produktion auftauchen und die Bundesregierung bis heute sagt, sie wisse von nichts. Das zeigt, dass die Exportkontrollen dringend überarbeitet werden müssen, sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene."

EU-Verordnung scheiterte

Jahrelang hatte die Bundesregierung verhindert, dass Details über die Exportgenehmigungen öffentlich werden. Zwar waren auch in der Vergangenheit schon Daten zu exportierter Überwachungstechnologie veröffentlicht worden, allerdings pauschal für mehrere Staaten und Jahre zusammengefasst. Die Bundesregierung erklärte dazu noch vor Kurzem, dass eine detaillierte Aufstellung die "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen" gefährde.

Eigentlich sollte eine EU-Verordnung den Export von Überwachungstechnologie in totalitäre Staaten für Mitgliedsländer nur in sehr streng kontrolliertem Rahmen ermöglichen. Die Einigung scheitert aber bislang am Widerstand einiger EU-Länder.

Ein schnelles Umdenken fordert nun auch FDP-Politikerin Jensen: "Exportkontrolle braucht menschenrechtliche Standards. Es ist fatal, dass die Bundesregierung trotz dokumentierter Fälle von Missbrauch digitaler Software menschenrechtliche Durchgriffmöglichkeiten im Europäischen Rat torpediert." Europa brauche "endlich einheitlich angewandte Verfahren, eine gemeinsame politische Linie, die humanitäre Grundsätze Europas in der Welt stärker festschreiben", so Jensen.

Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 20. Juni 2019 um 17:39 Uhr.

 

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