23. November 2019   Aktuell

Erdogan: Terror gegen deutsche Staatsbürger kurdischer Herkunft -

Quelle: DER SPIEGEL vom 02.11.2019 Seite 44
Deutschland


Im falschen Verein - Ankara lässt deutsche Kurden verhaften, das Auswärtige Amt verschärft Reisehinweise


Mit neuer Härte geht Ankara gegen Kurden aus Deutschland vor. Türkeireisen werden riskant, im Oktober wurden 14 Menschen festgenommen.


Jahrelang flog die Frau entspannt in die Türkei. Meistens über Istanbul nach Elazig, in den Osten des Landes. Dort lebt ihre Familie. Es gab nie Probleme. »In diesem Jahr war sie sogar zweimal da«, sagt ihr deutscher Ehemann, »zuletzt ab August, ihr Bruder lag im Sterben.« Seine kurdische Frau, 64 Jahre alt, ist Sozialpädagogin, sie arbeitet für das Jugendamt in Hannover und besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft.

Am 14. Oktober wollte sie nach Hause zurückfliegen, doch in Istanbul endete ihre Reise: Bei der Passkontrolle wurde sie festgenommen.


Der Vorwurf: Mitgliedschaft in dem deutsch-kurdischen Verein Nav-Dem. So berichtet es ihr Mann. Dabei sei sie bereits seit Jahren nicht mehr in dem Verein aktiv gewesen. Nach ein paar Tagen brachte die Polizei die Frau nach Ankara. Dort kam sie nach einer Anhörung vor Gericht frei. »Sie darf das Land aber nicht verlassen, bis in ihrer Sache ein Urteil gefällt wurde«, sagtihr Mann. Das könne Monate dauern.


Der Fall gehört zu einer Reihe von Festnahmen in der Türkei, die auf eine neue Härte der dortigen Sicherheitsbehörden im Umgang mit Kurden aus der Bundesrepublik schließen lassen. »Seit Anfang Oktober sind uns insgesamt 14 Verhaftungen deutscher Staatsangehöriger in der Türkei wegen des Tatvorwurfs einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (PKK) bekannt geworden«, teilt das Auswärtige Amt mit. Zehn Leute seien mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Bei manchen hätten die Türken »Ausreisesperren oder sonstige Auflagen verhängt«.
Nach Auskunft des Ministeriums hatten die Betroffenen offenbar Verbindungen zu kurdischen Vereinen in Deutschland.

Zumindest Nav-Dem ist laut deutschen Sicherheitsbehörden eine Teilvereinigung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Gleichwohl ist eine Mitgliedschaft hierzulande erlaubt.
Berlin tut sich schwer damit, die Fälle zu beurteilen.

Es gibt kaum Informationen, dem Auswärtigen Amt liegen bislang keine
Anklageschriften vor. Die deutschen Diplomaten müssen sich auf das verlassen, was Angehörige und Anwälte ihnen berichten.

Und das klingt brisant: Die Rede ist von einer Festnahmewelle, die sich gegen Kurden aus Deutschland richte. Den meisten sei vorgehalten worden, dass ihre Namen auf einer Mitgliederliste deutsch-kurdischer Vereine stünden.

Hunderte Kurden seien darauf notiert, sagen Angehörige und Anwälte. Überprüfen lässt sich das nicht. Selbst die Verteidiger durften die Unterlagen bislang nicht einsehen, da die Verfahren als »geheim« eingestuft sind. Die türkische Botschaft in Berlin schweigt.


Auch dem Auswärtigen Amt berichteten Angehörige von einer Liste vermeintlich problematischer Mitgliedschaften in Deutschland. Dass die türkischen Behörden über entsprechende Informationen verfügten, sei »plausibel«, heißt es aus dem Ministerium. Aber: In welcher Form diese vorlägen, »können wir derzeit nicht verifizieren«.


Als Reaktion auf das Vorgehen der türkischen Behörden ließ Außenminister Heiko Maas (SPD) jetzt die Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei verschärfen: »Es kommt in letzter Zeit vermehrt zu Festnahmen deutscher Staatsangehöriger, die in Deutschland in kurdischen Vereinen aktiv sind oder waren«, heißt es nun auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes.


Für Nebahat Y., 58, aus Hamburg kommt die Warnung zu spät. Die Erzieherin sitzt seit Wochen in der Türkei fest. Im September war die Deutsche nach Diyarbakir zu Verwandten geflogen. Als sie am 3. Oktober zurückreisen wollte, erwartete die türkische Polizei sie am Flughafen. Die Beamten brachten Y. nach Ankara, wie ihr Mann erzählt.

Kommentar Roswitha Engelke: Es ist beschämend, dass deutsche Staatsbürger von der Bundesregierung nicht einmal im Ansatz wirkungsvoll vertreten werden, wie die o. a. Fälle zeigen.

Im Verhör hätten die Beamten gesagt, sie wüssten, dass seine Frau Vorsitzende des Vereins Hevkar - Jugendvereine sei, sagt der Mann, der selbst Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Hamburg ist. »Wir haben mit der PKK nichts zu tun«, sagt er. Zudem werde seiner Frau vorgeworfen, sie habe den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in den sozialen Medien beleidigt.
In der Türkei ist das eine Straftat.


Im Fall der deutsch-türkischen Sozialpädagogin aus Hannover engagiert sich nun der ehemalige Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt, Herbert Schmalstieg (SPD). Er spricht von einer »skandalösen Verfolgung unschuldiger Deutscher durch einen autokratischen Staat« und verlangt von der Bundesregierung, energisch für die Rechte der
Beschuldigten einzutreten.


Schmalstieg ist Sprecher des Beirats der Kurdischen Gemeinde Deutschland und hat sich bereits vor Wochen für die Freilassung eines weiteren Bediensteten der Stadt Hannover eingesetzt. Der 45-jährige Kurde war aufgrund eines internationalen Haftbefehls unter Terrorverdacht in Italien festgenommen worden, er saß zehn Tage lang in Isolationshaft.


Vor mehr als 20 Jahren hatte er als Student an PKK-Aktionen teilgenommen und war daraufhin aus der Türkei geflohen. In den Neunzigerjahren erhielt er politisches Asyl in Deutschland. Der Kurde, den seine Vergangenheit bei einem Wanderurlaub in den Dolomiten einholte, kam erst wieder frei, nachdem Schmalstieg in Berlin und Brüssel Alarm geschlagen hatte.


Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, vermutet, dass es Ankara vor allem darum gehe, die  Kurden einzuschüchtern und mundtot zu machen. »Die Leute sollen Angst haben, ihre Meinung zu äußern«, sagt Toprak.
»Und sie sollen Angst haben, sich politisch zu engagieren.«

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