11. Juni 2022   Aktuell

Einspruch des Bundeswahlleiters gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl vom 26. September 2021 - Ein Fall für das Bundesverfassungsgericht?

Beitrag: Roswitha Engelke

Quellen: Tagesspiegel, Telekom-Nachrichten, rbb24, Berliner Zeitung

In der Anhörung zu Wahlpannen in Berlin zur Bundestagswahl werden haarsträubende Vorkommnisse geschildert. Der Prüfungsausschuss berät, ob die Abstimmung in einigen Bezirken wiederholt werden muss. Für den Bundeswahlleiter ist das unumgänglich.

Acht Monate ist es her, dass die Hauptstadt mit zahlreichen Pannen bei der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl für Schlagzeilen sorgte. Falsche und fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen, lange Wartezeiten, sodass in der Folge viele Wählerinnen und Wähler nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen konnten, fehlende Briefwahlscheine und Wahllokale, die teils noch lange nach 18 Uhr geöffnet waren: Die Liste der Unregelmäßigkeiten ist lang.

Bundeswahlleiter Georg Thiel hat deshalb vor dem Wahlprüfungsausschuss des Bundestags eine Wiederholung der Bundestagswahl in sechs von zwölf Berliner Wahlkreisen beantragt. Daniela Ludwig, Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, erklärte nach einer knapp 6-stündigen mündlichen Verhandlung, dass mit einer endgültigen Entscheidung vor der parlamentarischen Sommerpause nicht zu rechnen sei.

Thiel spricht von einem "Komplettversagen"

Am Wahltag seien nicht nur einzelne Fehler als Ausreißer passiert, sagte Thiel. Vielmehr attestierte er ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation" in Berlin. "Wir sind hier in einer Bundeshauptstadt eines zivilisierten Landes, da darf so etwas nicht vorkommen", wetterte der Bundeswahlleiter. "Ich frage Sie, was muss sonst noch passieren, damit wir Wahlen als rechtswidrig oder wiederholungsfähig ansehen?" -

Der Einspruch des Wahlleiters bezieht sich auf die Wahlkreise:

  • 75 Berlin-Mitte
  • 76 Berlin-Pankow
  • 77 Berlin-Reinickendorf
  • 79 Berlin-Steglitz-Zehlendorf
  • 80 Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf
  • 83 Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg - Prenzlauer Berg Ost

Eingereicht wurden Einsprüche beim Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages. Die Frist endete am 26. November 2021. Am Ende muss der Bundestag entscheiden, ob ein Einspruch berechtigt gewesen ist oder nicht. Wahlen können dann ganz oder in Teilen für ungültig erklärt, so dass es zu Nachwahlen kommt. Der Ausschuss des Bundestags will dazu in den kommenden Monaten eine Empfehlung abgeben.

Voraussetzung für eine Wiederholung ist, dass die Fehler und Pannen "mandatsrelevant" sind, sich also auf die Sitzverteilung auswirken. Der Ausschuss untersucht seit geraumer Zeit, ob das tatsächlich der Fall ist und zumindest in bestimmten Wahlkreisen oder -bezirken neu abgestimmt werden muss. Bisher wurden "erhebliche Mängel" in mindestens 311 von 2.257 Wahllokalen festgestellt.

Berliner Wahl ein Fall für das Bundesverfassungsgericht

Über die entsprechende Empfehlung des Ausschusses entscheidet der Bundestag. Gegen diese Entscheidung kann dann wiederum beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht werden.

Wie der "Tagesspiegel" berichtet, sollen nahezu alle Verfahrensbeteiligten davon ausgehen, dass die Berliner Bundestagswahl ein Fall für das Bundesverfassungsgericht wird. Wann das Gericht über mögliche Einsprüche entscheiden würde, sei jedoch vollkommen offen.

Welche Auswirkungen könnte Wiederholung der Bundestagswahl haben?

Eine Wahlwiederholung könnte sich durchaus auf die Sitzverteilung im Bundestag auswirken. So war etwa im Bezirk Reinickendorf festgestellt worden, dass die Fehler bei der Wahl Auswirkungen auf das Direktmandat für den Bundestag gehabt haben könnten, wie der "Tagesspiegel" berichtete. Hier hatte sich CDU-Politikerin Monika Grütters nur ganz knapp gegen ihren SPD-Kontrahenten Torsten Einstmann durchgesetzt.

Zudem hätte die SPD dem Bericht nach bundesweit nur 800 Stimmen mehr gebraucht, um einen Sitz mehr im Bundestag zu erhalten. Auch für die Linke könnte es brenzlig werden, wie die "Berliner Zeitung" berichtet. Demnach hatte sich Gesine Lötzsch in Lichtenberg mit einem Vorsprung von 8.773 Stimmen das Direktmandat gesichert.

Sollte sie dieses verlieren, würde die Linke im Bundestag ihren Fraktionsstatus verlieren und nur noch zwei Sitze haben, so die Zeitung. Allerdings gehört Lichtenberg nicht zu den Wahlkreisen, für die Bundeswahlleiter Thiel eine Wiederholung beantragt hat.

Auch Abgeordnetenhauswahl könnte wiederholt werden müssen

Auch im Hinblick auf das Berliner Abgeordnetenhaus steht die Frage einer zumindest teilweisen Wahlwiederholung im Raum. Die Wahl hatte zeitgleich mit der Bundestagswahl stattgefunden. Darüber befinden muss nach diversen Einsprüchen in diesem Fall aber der Verfassungsgerichtshof des Landes.

Weil das Verfassungsgericht alle Berliner Wahlkreise noch einmal überprüft, bestehe die Sorge vor einer kompletten Neuwahl in Berlin, berichtet der "Tagesspiegel" weiter. Eine Entscheidung des Gerichts wird jedoch erst im Herbst erwartet.

Der Bundeswahlleiter äußerte im Bundestag auch die Befürchtung, dass auch die nächste Wahl in Berlin zum Desaster werden könnte, da bisher keinerlei Verbesserungen vorgenommen wurden.

 

 

 

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