Haushalt 2011 Angriff auf kommunale Demokratie
Rede von Dr. Manfred Sohn, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Landtag, zum Haushalt 2011 und zum Nachtragshaushalt 2010:
- Es gilt das gesprochene Wort -
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
was uns hier mit dem Nachtragshaushalt 2010, dem Haushaltsplan 2011 und dem Haushaltsbegleitgesetz vorgelegt wird, lässt sich im Ergebnis so zusammenfassen: Dies ist ein Haushalt entweder des Lügenstrafens gegenüber öffentlichen Erklärungen oder ein Haushalt des Verfassungsbruchs, auf jeden Fall aber ein Haushalt des Angriffs auf die kommunale Demokratie, der sozialen Kälte, des Angriffs auf das Bildungsrecht der Kinder, der Schülerinnen und Schüler, der Studentinnen und Studenten, ein Haushalt der Buchungstricks, der Schuldenmacherei und der Kumpanei mit den Reichen im Land.
Einig sind wir uns - glaube ich - immerhin in einer Frage: Grundlage aller Haushaltsplanungen ist der Zustand der Wirtschaft, die Finanzkraft der Bürgerinnen und Bürger, von der Niedriglöhnerin bis zum Unternehmer. Aber wie ist diese Grundlage der Haushaltsplanung?
Wir werden morgen im Rahmen der Aktuellen Stunde darauf ja noch ein bisschen ausführlicher eingehen. Eine Lesart hat Herr Möllring in einem Interview verkündet am 2. Februar dieses Jahres in der Nordwest-Zeitung. Auf die Frage: „Aber die Finanz- und Konjunkturkrise ist doch noch nicht ausgestanden, oder?“ sagt Herr Möllring, dem widersprechend: „Die Krise ist durch, es geht bergauf.“ Und in das gleiche Horn stößt Herr McAllister in seinem Interview am 14.08. in der Neuen Presse. Dort sagt er, es ist alles wunderbar, woraufhin eingewendet wird, dass am Ende der Eindruck bleibt, dass der Haushalt auf dem Prinzip Hoffnung basiert. Der Ministerpräsident antwortet: „Es ist ein absolut solider Haushalt. Wir setzen darauf, dass die Wirtschaft wieder erholt. Ohne Wachstum geht es nicht, aber die Zeichen sind mehr als gut. Entgegen den Erwartungen verläuft die konjunkturelle Erholung sehr dynamisch, d. h., so stark, wie uns die Krise getroffen hat, so geht es jetzt auch wieder bergauf.“ Die Interviews lassen sich so zusammenfassen: Die die Jahre 2009 und 2010 beherrschende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist nach Ansicht dieser Landesregierung überwunden.
Dann aber gilt der Artikel 71 der Niedersächsischen Verfassung, der besagt – wie Sie wissen: Kredite dürfen die für die eigenfinanzierten Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlag-ten Ausgaben nicht überschreiten. Tatsache ist aber, die Nettokreditaufnahme beträgt 1.950 Mio. Euro, das liegt um 994 Mio. Euro über den eigenfinanzierten Investitionen. Da stellt sich die Frage, wie kann das sein?
Des Rätsels Lösung: In Niedersachsen muss es mindestens zwei McAllisters und zwei Möllrings geben, einerseits die, die in der Neuen Presse und Nordwest-Zeitung das bereits Dargelegte sagen und dann die, die im Landtag völlig anders reden. Denn in der von McAllister unterschriebenen Drucksache 16/2750 heißt es: „Auch nach Überzeugung der Bundesregierung ist die schwerste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte noch nicht überwunden. (…) Danach wird der Ausnahmetatbestand eines gestörten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben sein. Die Feststellungsprognosen für die Bundesebene treffen auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu.“
Die Landesregierung stellt also offiziell fest, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus heutiger Sicht auch für das Haushaltsjahr 2011 eindeutig vorliegen, und nur vor diesem Hintergrund wird dann das Überschreiten der Nettokreditaufnahme gegenüber der eigenfinanzierten Investitionen gerechtfertigt.
Wenn das alles stimmt, liebe Regierung, haben Sie entweder den Lesern der Nordwest-Zeitung und der Neuen Presse Sand in die Augen gestreut, oder Sie versuchen, diesem Parlament eine unwahre Lagebeschreibung zu geben. Es gibt zwei Resultate dieser Betrachtung: Erstens - es gibt zweierlei Maß zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, das nach Außen Verkündete und das in den Parlamentsberatungsdokumenten Niedergelegte, und zweitens - DIE LINKE., nicht die Landesregierung, ist die Wächterin des Artikels 71 unserer Landesverfassung. Wir fühlen uns bestätigt in dem, was wir eigentlich schon wissen: Wir sind der eigentliche Verfassungsschutz.
Nun gibt es die laxe Haltung, der Artikel 71 der Verfassung ist doch sowieso Schnee von gestern, unabhängig davon, dass der geschriebene Text gilt. Und dann wird verwiesen auf das Nettokreditverbot im Grundgesetz. Ich prophezeie Ihnen, Sie gehen damit in Zukunft genauso lax um wie mit der gültigen Verfassung. Das nämlich zeichnet sich schon ab.
Einer der Kernpunkte der sogenannten Schuldenbremse ist der Stabilitätsrat nach Artikel 109 d des Grundgesetzes. Zur Überwachung soll es zukünftig regelmäßige Stabilitätsberichte der Länder geben. Die Frist für den ersten Stabilitätsbericht ist der 15. September 2010. Wenn die Regierung mehr Achtung vor dem Parlament hätte und mehr Zutrauen in die eigenen Finanzen, dann hätte sie natürlich mit Beginn der Haushaltsberatungen am 7. September diesem Parlament auch den Stabilitätsbericht vorgelegt. Wir haben darum gebeten und haben dann die etwas schnodderige Antwort der Landesregierung bekommen, das machen wir alles am 14. September, also auf den letzten Drücker, nämlich ein paar Stunden vor der notwendigen Vorlage zum 15. September. Das Herr Möllring, herzlichen Glückwunsch, ist ein toller Start in die Ehrfurcht vor dem neuen Artikel 109 a Grundgesetz.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident,
der Niedersächsische Städtetag hat in seiner Publikation eine Resolution abgedruckt, die das Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom 15. Juni dieses Jahres herausgegeben hat. Darin heißt es, unter der Überschrift „Rettet die lokale Demokratie“ – es geht also nicht nur um Geld, es geht um Demokratie: „Kommunen gestalten das Leben vor Ort. Sie sollen die Kinderbetreuung verbessern, Schulen sanieren, Kultur und Sport fördern, die Jugendarbeit verbessern, Abwasser beseitigen, Sozialhilfe bezahlen und mit weiteren Investitionen das örtliche Handwerk stärken. Das alles jedoch mit immer weniger finanziellen Mitteln. Die Finanzlage der Städte und Gemeinden ist katastrophal. Sie werden von wegbrechenden Einnahmen und explodierenden Sozialausgaben in die Zange genommen.“
Frappierend ist, das sieht die Landesregierung genauso. Denn sie veröffentlicht ihren Bericht zur Entwicklung der Finanz- und zur Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der niedersächsischen Kommunen und schreibt darin: „Die Situation der Kommunalfinanzen hat sich 2009 deutlich verschlechtert, insbesondere ist es beim Finanzierungssaldo zu einem drastischen Einschnitt gekommen.“ Dann sagt sie: „Es ist festzustellen, dass 2009 die Einnahmeausfälle systembedingt, zumindest teilweise noch durch ein gut ausgestatteten kommunalen Finanzausgleich aufgefangen wurden. Dies wird in den kommenden Jahren nicht, bzw. nicht mehr in diesem Umfang möglich sein.“
Das ist ein Offenbahrungseid, die Ankündigung, dass alles noch schlimmer wird. Und es ist wohl wahr. Der Etatansatz für den kommunalen Finanzausgleich liegt unter dem Ist des Jahres 2009, und die Kassenkredite laufen inzwischen in Richtung 5 Mrd. Sie, Herr Schünemann, drücken die Kommunen immer mehr unter Wasser. Übrigens passt dazu, dass im Gefolge Ihrer Politik Schwimmbäder schließen werden und die Warnungen des DLRG vor zunehmenden Etrinkungsfällen von Jugendlichen, von den inzwischen 30 % nicht mehr schwimmen können, immer mehr Wahrheitscharakter annehmen werden. Und die Schulen sollten das bischen Geld, dass sie noch übrig haben, jetzt schon nehmen um Plaketten an den Schulen anzubringen: letzte Renovierung 2010.
Die Kommunen werden aufgrund Ihrer Politik, dazu gehört auch nicht viel Prognosekraft, zumindest teilweise einen Kleinkrieg gegen die Hartz-IV Empfänger führen, sie werden Kürzungen bei sozialer und Gesundheitsprävention durchführen. Das alles wird zu sozialer Kälte in unseren Kommunen führen, dem Markenzeichen dieser forschen Regierung McAllister. Sie sind die Regierung der sozialen Kälte, Sie reduzieren die Krankenhausfinanzierung, Sie reduzieren um 83 Mio. Euro den Sozialhaushalt, Sie kürzen bei Frauenhäusern und Beratungsstellen – ein Thema, was am Donnerstag Patrick Humke-Focks noch ausführlicher darlegen wird – Sie stehen mit verschränkten Armen da angesichts wachsender Jugendarbeitslosigkeit und die Jugendlichen sind die besonders Leidtragenden Ihrer Haushaltspolitik.
DIE LINKE. ist, wie Sie wissen, die Partei der sozialen Gerechtigkeit, Sie sind die Partei der sozialen Kälte, die Parteien CDU und FDP, die es vielleicht nicht mehr hören können, aber es weiter hören müssen. Wir brauchen das versprochene gebührenfreie zweite und dritte Kindergartenjahr. Wir brauchen die Lernmittelfreiheit, wir brauchen eine Erhöhung der Zuschüsse für Mittagessen in den Schulen, wir brauchen das Schulobstprogramm, wir brauchen die Verbesserung des Schülertransports auf dem Land.
All diese Problematik im Schüler- und Jugendlichenbereich wird 2011 verschärft werden durch den doppelten Abiturjahrgang. Dem tragen Sie nicht Rechnung. Sie tragen ihn mit einem Nullansatz Rechnung bei den Studentenwerken und wir wissen alle, dass diese Situation auf den Lehrstellenmarkt drücken wird, und auch da treffen Sie keinerlei Vorsorge.
Die Liste sozialer Kälte ließe sich fortsetzen und wir werden sie fortsetzen, detailliert in den Dezemberberatungen. Dort werden wir auch den Ausverkauf vieler niedersächsischer Wälder thematisieren, die Einschränkungen bei Lebensmittelkontrollen, im Grund eine Vorprogrammierung künftiger Lebensmittelskandale durch diese Landesregierung. Wir werden die unsinnigen PPP-Fantasien in Bremerförde und in Lüneburg ansprechen.
Die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunktes mit dem Nachtragshaushalt wird in einem Punkt jedenfalls nicht kontrovers sein: Dieser Nachtragshaushalt dient im Wesentlichen dem Ziel, mit Zinseinsparung plus Veräußerungen des Stammkapitals der NordLB Luft zu schaffen für den Haushalt 2011. Das nennt man einen gelungenen Buchungstrick. Diese Tricknummer enthält auch Luftbuchungen – 750 Mio. Euro will die Regierung durch „Veräußerungen“ bis 2014 einnehmen und zuckt auf die Frage, was das denn sein soll, nur mit den Schultern. Falls Sie dabei die öffentlichen Versicherungen im Auge haben, Frau Hermlau: Lassen Sie die Finger davon. Zu dem dort gebildeten Kapital hat keine Regierung dieses Landes in den letzten 250 Jahren auch nur eine Heller beigetragen. Das dort thesaurierte Geld gehört Ihnen nicht und das werden in letzter Instanz auch Gerichte so sehen.
Vor allem lösen diese Tricks das Kernproblem nicht. Das liegt auf der Einnahmenseite. In diesem Punkt ist die Landesregierung zu loben, allerdings nur ein Zehntel ihrer Ministerriege, denn in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 23. Juli hat Herr Busemann völlig zu Recht erklärt, ich zitiere: „Als mit der Seele der CDU nicht zu vereinbaren stufte Busemann Klientelpolitik ein, wie sie etwa für Hoteliers erkennbar wäre. Sein Rat, stattdessen den Spitzensteuersatz für bereinigte Einkommen über 250.000 Euro auf 50 % zu erhöhen, das sei ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit.“ Leider hat er sich nicht durchgesetzt.
Als Resultat dieser Nichtdurchsetzung einer solchen veränderten Politik, ohne spürbaren Wandel sieht er die Macht der Union auch in Niedersachsen gefährdet. Die Berliner Politik reißt alles runter, auch wenn wir uns hier mit ordentlicher Politik abstrampeln, fürchtet Busemann. Da hat er Recht – schauen Sie nach Helgoland, wo Felicitas Weck sich gerade anschickt, die erste rote Bürgermeisterin im Westen zu werden.
Herr Busemann, Sie könnten das abwenden, wenn Sie sich durchsetzen statt einer Kumpanei mit den Reichen raus aus der Schuldenmacherei zu gehen. Das Konzept dafür liegt vor, noch einmal erhärtet durch die Memorandumsgruppe. Ich will Ihnen die Eckpunkte dieses Steuerkonzepts, das kluge Professoren vorgelegt haben, das zu Mehreinnahmen von insgesamt 80 Mrd. Euro führen würde, noch einmal zusammenfassen: Das ist eben die Erhöhung der Einkommensteuer auf einen Spitzensteuersatz von wenigstens 48 %, das ist das Ziel, alle Einkommensarten dem individuellen Einkommensteuertarif zu unterwerfen, also auch die Abgeltungssteuer von 25 % wieder abzuschaffen, das ist der Vorschlag, die Körperschaftssteuer von 15 % auf 30 % zu erhöhen, anstelle der Gewerbesteuer eine Gemeindewirtschaftssteuer einzuführen, der alle selbstständigen Einzelunternehmer und Einzelunternehmerinnen, Freiberuflerinnen und Freiberufler unterworfen werden, die Vermögenssteuer wieder einzuführen, die Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer grundlegend zu novellieren, um exzessive Spekulationen an internationalen Märkten zu verhindern eine Transaktionssteuer einzuführen, die ungefähr 27 Mrd. Euro ergeben würde und die Steuerhinterziehung nicht mehr als Kavaliersdelikt zu betrachten und nicht zuletzt das Personal in den Finanzämtern wesentlich aufzustocken, allein für die Betriebsprüfungen fehlen hunderte Steuerbeamte.
Das wäre der Ausweg, stattdessen - seit Sie an der Regierung sind, Herr Möllring -hat sich der Schuldenstand von 40 Mrd. Euro auf über 50 Mrd. Euro angehäuft. DIE LINKE. will, dass das aufhört, dass es endlich gerecht zugeht im Lande, dass die kommunale Demokratie gestaltet wird und der Landeshaushalt saniert wird. Sie können nicht mit Geld umgehen, erst mit den Roten wird es wieder schwarze Zahlen und solide Gerechtigkeit geben. Vielen Dank