Russland "modernisieren"
German-Foreign-Policy.Com, 13.02.2014
BERLIN/MOSKAU
(Eigener Bericht) - Auch nach dem Beginn der Olympischen Spiele hält die deutsche Negativ-Kampagne gegen Russland und den russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Die Kampagne mobilisiert nicht nur die deutsche Öffentlichkeit; sie zielt auch darauf ab, die neu aufstrebenden russischen Mittelschichten weiter gegen die Regierung in Stellung zu bringen.
Die erstarkenden Mittelschichten gelten als möglicher
Hebelpunkt für die westliche Einflussnahme in Moskau, seit sie in Massenprotesten
2011 und 2012 gegen den heutigen Präsidenten Putin auf die Straße gingen. Berlin
müsse sich durch Kontakte in oppositionelle Mittelschichtmilieus neue Einflusskanäle
in Russland schaffen, fordern Regierungsberater in Berlin. Dazu instrumentalisiert die
Bundesregierung nicht nur liberale, sondern auch nationalistische Oppositionskreise -
ganz wie in der Ukraine, wo sie sich faktisch auch auf das Protestpotenzial
faschistischer Milieus stützt. Ein in Berlin beliebter russischer Oppositionsführer
bezeichnet Menschen aus dem Kaukasus als "Kakerlaken" und empfiehlt für den
Umgang mit ihnen eine Pistole. In deutschen Berichten über die Olympiade in Sotschi
wird er als "Anti-Korruptions-Experte" hochgelobt.
Aufstrebende Mittelschichten
Zunehmende Bedeutung für die deutsche Russland-Politik haben seit einigen Jahren
die neuen russischen Mittelschichten. Sie werden inzwischen auf gut 20 Prozent der
Bevölkerung geschätzt; ein weiteres Wachstum gilt auf absehbare Zeit allerdings als
unwahrscheinlich. Ihren überwiegend urbanen, oft prowestlichen Milieus entstammte
ein Großteil der Demonstranten, die 2011 und 2012 vor allem gegen den damaligen
Ministerpräsidenten und jetzigen Präsidenten Wladimir Putin auf die Straße gingen.
Unter denjenigen, die Ende 2011 in Moskau demonstrierten, hätten sich
"überproportional viele junge, gut ausgebildete Menschen in entsprechend guten
beruflichen Positionen" befunden, stellte ein Moskauer Forschungsinstitut fest.[1] Der
deutsche Russland-Experte Alexander Rahr urteilt über die neuen Mittelschichten, sie
forderten nun, ökonomisch im Laufe der Jahre erstarkt, "neben den persönlichen
Freiheiten ... auch politische Freiheiten" ein.[2]
Neue Adressaten
Berlin hat begonnen, systematisch Kontakte zu den aufstrebenden, gegen Putin
rebellierenden Mittelschichten aufzubauen - parallel zu seinen bislang bestehenden
Beziehungen zu den ökonomischen und politischen Eliten. Es sei "an der Zeit, den
bisherigen Eliten-dominierten Ansatz deutscher Russland-Politik" durch "eine bessere
Balance" zu ersetzen, bei der neben die "notwendige[...] Kommunikation mit den
Entscheidungsträgern" ein intensiver "Austausch mit gesellschaftlichen Gruppen" zu
treten habe, hieß es vor einem halben Jahr in der Zeitschrift "Internationale Politik":
"Deutschland muss ganz neu über die eigentlichen Adressaten einer
Modernisierungspolitik in Russland nachdenken."[3] Traditionelle Mittel der
deutschen Außenpolitik, jenseits der üblichen politischen und ökonomischen
Arbeitsbeziehungen zu pflegen, sind zum Beispiel Kulturinstitute sowie insbesondere
die parteinahen Stiftungen, die - scheinbar staatsfern - bestens geeignet sind,
Kontakte in Mittelschichtmilieus der sogenannten Zivilgesellschaft zu knüpfen und zu
halten. Parallel sind deutsche Medien dazu übergegangen, die aufstrebenden
Mittelschichten bei ihren Auseinandersetzungen mit der Regierung publizistisch zu
unterstützen; Proteste der russischen Mittelschichtsopposition genießen seit
geraumer Zeit besondere Aufmerksamkeit.
"Kakerlaken"
Eklatante Widersprüche bleiben dabei aufgrund der soziopolitischen Differenzen in
den neuen russischen Mittelschichten nicht aus. So hieß es beispielsweise im Sommer
2012, "die eindeutige Kritik aus Bundestag wie Bundesregierung am Umgang mit
dem Fall 'Pussy Riot'" - ein klassischer Fall der Unterstützung oppositioneller Kreise -
sei durchaus beispielhaft für den "Neuansatz" in der deutschen Russland-Politik.[4]
"Pussy Riot" war damals nicht nur in der russischen Bevölkerung insgesamt, sondern
auch in der neuen Mittelschicht-Opposition recht unbeliebt. So hat sich beispielsweise
Alexei Nawalny, ein Anführer des nationalistischen Oppositions-Spektrums,
abschätzig über die von Berlin unterstützte Punk-Combo geäußert: "Dumme Hühner,
die einen Akt geringfügigen Rowdytums begangen haben, um Publicity zu
bekommen".[5] Nawalny gehört zu denjenigen russischen Oppositionellen, die in
Deutschland breite politisch-mediale Unterstützung erhalten. Er bezeichnet aus dem
www.german-foreign-policy.com Seite 1 von 3
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58797/print 17.02.2014
Kaukasus stammende Menschen als "Kakerlaken" und empfiehlt für den Umgang mit
ihnen "eine Pistole".[6]
Ein wichtiger Faktor
Um den eigenen Einfluss auf die russische Opposition auszubauen, hat die
"Internationale Politik" letztes Jahr die Gründung von "Dialogforen" vorgeschlagen.
Sie sollten sich ausdrücklich nicht nur an die "progressiven und wirtschaftsliberalen"
Teile der russischen Mittelschichten richten, sondern auch an "problematische
Gruppen ... etwa aus dem nationalistischen und patriotischen Lager".[7] Gemeint
sind etwa Milieus um Nawalny, der regelmäßig an Aufmärschen russischer Faschisten
teilgenommen hat. Nationalistische Organisationen seien "ein wichtiger Faktor in der
russischen Gesellschaft", hieß es erläuternd in der "Internationalen Politik". Bei den
Umbrüchen in der arabischen Welt habe sich gezeigt, dass der Westen es mit seinem
"einseitige(n) Dialog mit den Machteliten und dem kleinen westlich orientierten Teil
der Gesellschaft" versäumt habe, einen "wichtigen Teil der Gesellschaft" - im Falle
der arabischen Welt konservativ-religiöse Milieus - an sich zu binden. Diesen Fehler
dürfe man in Russland nicht wiederholen. Der Vorschlag zeigt, dass die mit
arroganter Überheblichkeit zur Schau gestellte deutsche Einmischung in Russland
liberale Milieus lediglich taktisch nutzt, um sie gegen eine missliebige Regierung in
Stellung zu bringen - innerhalb eines breitestmöglichen Oppositionsspektrums, das
wie in der Ukraine [8] auch Nationalisten umfasst.
Ausländische Agenten
Die russische Regierung hat nach der massiv vom Westen unterstützten Protestwelle
vom Winter 2011/2012 im Mai 2012 Maßnahmen in die Wege geleitet, die, wie es in
einer Stellungnahme aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, "gegen
westliche Einflüsse gerichtet" sind. So ist damals nicht nur das Demonstrationsrecht
verschärft worden; auch müssen sich inzwischen tatsächliche oder angebliche
Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Geld für politische Tätigkeiten
erhalten, als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Entsprechende
Gesetzesvorschriften treffen unter anderem parteinahe deutsche Stiftungen, die sich
seither regelmäßig über harte Repression in Russland beklagen. Worum sich die
Auseinandersetzung um die "ausländischen Agenten" im Kern dreht, zeigt das
Beispiel der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) in der Ukraine. Die Stiftung, die auch in
Moskau tätig ist, hat in Kiew systematisch den Aufbau einer Oppositionspartei
unterstützt, deren Chef Witali Klitschko heute gewalttätige Massenproteste anführt
und zur Bildung bewaffneter Bürgerwehren aufruft.[9] Dass die Bundesregierung
tatenlos zusähe, würden staatsfinanzierte Organisationen etwa aus Russland den
Aufbau einer prorussischen Oppositionspartei in Deutschland oder einem
verbündeten Land vorantreiben und es billigen, dass deren Anführer im Rahmen
eskalierender Proteste zur Gründung von Milizen aufruft - das kann als
ausgeschlossen gelten.
Ein breites Bündnis
Die deutsche Unterstützung für die neuen russischen Mittelschichten setzt sich in der
aktuellen Kampagne gegen die russische Regierung anlässlich der Olympischen
Winterspiele in Sotschi fort. Das kürzlich verabschiedete gegen Schwule und Lesben
gerichtete russische Gesetz, das derzeit in der Bundesrepublik scharf kritisiert wird,
betrifft die Lebenswirklichkeit vor allem von Teilen der neuen Mittelschichten, denen
die deutschen Proteste den Rücken stärken. Unterstützung in Berlin erhältt weiterhin
auch Alexei Nawalny, der in den russischen Mittelschichten mit Agitation gegen
Korruption im Umfeld der Olympischen Spiele Anklang findet - und in deutschen
Medien als "Anti-Korruptions-Experte" hochgelobt wird. Die nationalistischen Milieus
um Nawalny, der Kaukasier "Kakerlaken" nennt, sind für eine aggressive Ablehnung
von Homosexualität bekannt, was allerdings in deutschen Medien genauso
verschwiegen wird wie identische Einstellungen bei Witali Klitschko und vor allem
beim faschistischen Flügel der ukrainischen Opposition. Bei der Anti-Putin-Kampagne
geht es eben nicht um liberale Freiheitsrechte, sondern nur darum, eine missliebige
Regierung zu attackieren und, wenn möglich, kooperationsbereitere Kräfte an ihre
Stelle zu setzen.
[1] Jens Siegert: Opposition in Russland - eine kleine Zwischenbilanz. russland.boellblog.org
30.01.2012.
[2] Russland-Experte: Noch keine Alternative zu Putin; www.euractiv.de 29.02.2012. S. dazu
Deutsch-russische Widersprüche .
[3] Stefan Meister: Mehr Mut gegenüber Moskau. Wie eine neue deutsche Russland-Politik aussehen
könnte. Internationale Politik September/Oktober 2013.
[4] S. dazu Risiken und Nebenwirkungen .
[5] Lady Suppenhuhn. www.faz.net 25.08.2012.
[6] S. dazu Hebelpunkte gegenüber Russland .
[7] Stefan Meister: Mehr Mut gegenüber Moskau. Wie eine neue deutsche Russland-Politik aussehen
könnte. Internationale Politik September/Oktober 2013.
[8] S. dazu Ein breites antirussisches Bündnis und Termin beim Botschafter .
[9] S. dazu Unser Mann in Kiew .
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