04. November 2015   Aktuell

Ein Reisebericht von Kuba

Beitrag: Harald Petzold MdB und LdsSprecher LAG-Queer

Vom 14. bis 18. September 2015 nahm ich auf Einladung des Nationalen Instituts Kubas für sexuelle Bildung und Aufklärung (CENESEX) und seiner Präsidentin, Mariela Castro Espín, am 7. Kubanischen Kongress für sexuelle Bildung, Orientierung und Therapien teil. Der Kongress stand unter dem Thema: „Für eine integrierte und inklusive sexuelle Bildung und Gesundheit“. Er hatte über 400 TeilnehmerInnen aus 28 Ländern, davon 190 aus Kuba. Internationale TeilnehmerInnen kamen aus fast allen karibischen und lateinamerikanischen Ländern, den USA, Spanien, Frankreich, Schweden und durch mich aus Deutschland. Parallel dazu tagte im Rahmen des Kongresses das kubanische Trans*Forum (Coloquio de Trans*).

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung hatte ich die Gelegenheit, ein Grußwort der Bundestagsfraktion DIE LINKE. zu überbringen und dabei für die Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und die Akzeptanz der sexuellen Vielfalt.“ zu werben, die unter Regierungsbeteiligung der LINKEN im Jahre 2010 zustande gekommen ist und nach wie vor ein Referenzprojekt für die Implementierung verschiedener Projekte für eine Verbesserung der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in die Bereiche Bildung und öffentliche Verwaltung ist. Da DIE LINKE Bundestagsfraktion daran arbeitet, dass die Kernpunkte dieser Initiative auch in andere Bundesländer `übertragen´ und damit das öffentliche Klima zugunsten von mehr Akzeptanz von Menschen verschiedener sexueller und geschlechtlicher Orientierungen verbessert wird, war die Teilnahme an diesem Kongress von besonderem Interesse, da auf diesem Kongress genau diese Fragen erörtert und Erfahrungen mit der Implementierung und Umsetzung entsprechender Inhalte und Projekte in Ländern mit einem oftmals hohen Grad an Homo- und Transphobie, Gewalt gegen Frauen sowie geschlechtliche und sexuelle Minderheiten auf der Tagesordnung sind. In mehreren Gesprächen sowohl mit der Präsidentin des CENESEX und des Kongresses, Mariela Castro Espín, als auch mit der Parlamentsabgeordneten der kubanischen Nationalversammlung Regla M. García Henry hatte ich die Gelegenheit, über Möglichkeiten der Vertiefung und Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem CENESEX, der Poder Popular und der Bundestagsfraktion DIE LINKE. zu sprechen. Hintergrund dafür sind die Bemühungen der Fraktion um die Erarbeitung und Implementierung von Programmen zur Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den Bildungs-/Schul-Rahmenplänen der Bundesländer als auch eines neuen Familien-/Lebensweisenbildes „Lebensweisen 2.0“ innerhalb der laufenden Legislaturperiode. Kuba könnte dafür mit seinen Erfahrungen im Bereich der öffentlichen Bildung und der gesellschaftlichen Debatte innerhalb patriarchal geprägter Gesellschaften einen wichtigen Beitrag leisten.


Wichtige Ergebnisse bzw. Forderungen im Rahmen der Zusammenfassung der Ergebnisse der Foren,   Panels und Podiumsdiskussionen waren:

    Sexuelle Bildung, Ausbildung und Aufklärung sind unverzichtbare Bausteine zur Durchsetzung des Menschenrechts auf freie Entfaltung für alle Menschen und ihres Menschenrechts auf körperliche und seelische Gesundheit;
    die Politik muss sich der Gewährleistung dieses Menschenrechts aktiv widmen und damit sexuelle Bildung, Ausbildung und Aufklärung fördern; eine wichtige Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein eines Etats für diese Aufgaben;
    es gibt vielfältige Perspektiven, sich den Themen der sexuellen Bildung, Ausbildung und Aufklärung zu nähern;
    es gibt in den verschiedenen Regionen der Welt verschiedene Strategien für die Implementierung und Umsetzung von Projekten und Aktivitäten der sexuellen Bildung, Ausbildung und Aufklärung; gemeinsam ist ihnen der Wille zu einem ganzheitlichen Ansatz, zu Integration und Inklusion;
    ein besonderer Schwerpunkt ist für zahlreiche Projekte und Ansätze eine starke Konzentration auf Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene – gerade in diesen Altersbereichen kann es gelingen, alte Vorurteile zu zertrümmern, Vielfalt als eine Selbstverständlichkeit erlebbar zu machen und neues Wissen zu vermitteln;
    Strategien zur Überwindung von Schwierigkeiten bei der sexuellen Bildung in Schulen standen deshalb besonders intensiv im Blickpunkt vieler KongressteilnehmerInnen;
    Darüber hinaus spielten Fragen der Gewalt gegen Frauen, gegen Trans*, gegen Prostituierte, (Über-)Lebens-Probleme von Trans*, Männlichkeitsbilder in der Gesellschaft, Frauen und Männer als Opfer öffentlicher Intoleranz und Gewalt, Geld und Kommerz als wichtigste weltweite Ursache für Gewalt und die Herabwürdigung von Frauen zu sexuellen Objekten in Videos und Musik, der Einfluss dieser Entwicklungen auf die Familien und Partnerschaften sowie Fragen der sexuellen Gesundheit und Ausgeglichenheit eine wichtige Rolle oder standen im Zentrum von Diskussionen bzw. Diskursen des Kongresses.

Im Rahmen des Kongresses wurde noch einmal besonders hervorgehoben, dass Kuba 22 Prozent seines staatlichen Etats für die Gesundheit der Bevölkerung und das Gesundheitswesen ausgeben würde und das erste Land in Lateinamerika sei, in dem sexuelle Krankheiten im Rahmen der Schwangerschaft nicht mehr auf Neugeborene übertragen würden. Die uruguayische Sozialwissenschaftlerin Dr. Stella Cerruti Basso bescheinigte Kuba am Abschlusstag, über eine komplexe Strategie bei der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung sexueller Bildung, Orientierung und Gesundheit zu verfügen. Der Kongress klang mit einem emotional sehr bewegenden „Gruß der Kinder und Jugendlichen an den Kongress“ aus, der deren Integration in den gesamten Diskussionsprozess symbolisieren sollte.

Wichtige Gespräche zur Entwicklung, Vertiefung oder Verbesserung von Zusammenarbeit wurden mit den WissenschaftlerInnen:

    Maria Lameiras Fernandez (Spanien – sie wird im Rahmen ihres Berlin-Besuchs im Oktober auch den Deutschen Bundestag und DIE LINKE Bundestagsfraktion besuchen);
    Alma Corina Acosta (El Salvador – mit ihr wird eine Zusammenarbeit im Rahmen der El-Salvador-Unterstützungsarbeit meines Bundestagsbüros und der Fraktion und den Vor-Ort-Initiativen im Bereich LGBTI angestrebt);

    Dr. Miren Larrazabal (Spanien – Sexualwissenschaftlerin und Feministin, Leiterin des LABORATORIO DE AMOR & SEXO);
     Michael Sánchez Torres (Cuba – er forscht zum Thema „Etnoarqueología de los espacios sexuados“);
    Maria Clara Arango Restrepo (Mexico – sie präsentierte vergleichende Forschungen zu Fragen der sexuellen Rechte in Lateinamerika);


und AktivistInnen:

    Trans*Cuba (Netzwerk zur Verbesserung der Lebenssituation von Trans*Menschen in Cuba) geführt.

Im Rahmen der Kongressgespräche mit der Präsidentin des CENESEX erhielt ich die Information, dass derzeit Vorschläge zur Reform der kubanischen Verfassung erarbeitet würden. Dabei wolle Mariela Castro Espín auch die Implementierung des Rechts auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den  Verfassungstext vorschlagen. Der gesamte Vorschlag würde dann der Bevölkerung zur Diskussion vorgelegt werden, bevor die Nationalversammlung dazu beschließe. Kuba wäre damit das erste Land der Welt, das nicht nur Regelungen zum Schutz vor Bevorzugung und Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität oder Orientierung in seiner Verfassung verankern, sondern sich aktiv zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bekennen würde.

Ich empfehle der Fraktion, meinen Vorschlag zur Einladung von Mariela Castro Espín im Frühjahr 2016 nach Deutschland und in den Deutschen Bundestag zeitnah zu behandeln und anzunehmen. Ein öffentliches Fachgespräch mit Mariela Castro Espín zu den Erfahrungen Kubas und Lateinamerikas im Umgang mit sexueller Bildung, Aufklärung und Gesundheit wären für die Entwicklung eines neuen Lebensweisemodells „Lebensweisen 2.0“ ausgesprochen hilfreich und würden darüber hinaus unsere Zusammenarbeit mit dem kubanischen Parlament (Mariela Castro Espín ist auch Parlamentsabgeordnete) vertiefen und verbessern.

 

 

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