23. Dezember 2017   Aktuell

Mariano Rajoy, ein schlechter Verlierer? Katalonien hat gewählt!

Quelle: Prof. Dr. Axel Schönberger, Deutschland

23. Dez. 2017 — Mariano Rajoy hat diese Runde der Auseinandersetzung eindeutig verloren. Das Madrider Regime, das bei den letzten Wahlen von lediglich rund 21 % aller wahlberechtigten Spanierinnen und Spanier gewählt worden war, hatte bei dem Staatsstreich vom Oktober 2017 hoch gepokert und nicht nur massiv gegen Menschenrechte, sondern auch gegen spanisches Recht verstoßen. Nun hat es dafür die Quittung bekommen. Die katalanischen Wählerinnen und Wähler haben ihm die rote Karte gezeigt und den Befürwortern des Aufbaus der bereits proklamierten Republik Katalonien eine absolute Mehrheit im katalanischen Parlament gegeben.

 

Das Autonomiestatut Kataloniens ist organisches Recht des spanischen Staates.

In ihm ist abschließend geregelt, wie das Parlament aufgelöst und der Präsident der Generalitat de Catalunya abgesetzt werden kann. Es gilt in Spanien bezüglich des Katalanischen Parlaments und des Präsidenten der katalanischen Regierung ausschließlich dieses Gesetz.

Der viel zitierte Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt es nicht, eine demokratisch gewählte Regierung Kataloniens mitten in der Legislaturperiode abzusetzen, das katalanische Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.

(Nebenbei lagen die Voraussetzungen für eine Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgte, nicht vor; der 130. Präsident der Generalitat de Catalunya, Carles Puigdemont, hatte dem spanischen Präsidenten Mariano Rajoy fristgerecht und inhaltlich ausreichend auf dessen Anfrage geantwortet.

Erst als dieser dennoch die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung auf den Weg brachte, erklärte das katalanische Parlament als Reaktion darauf die Unabhängigkeit Kataloniens.

Gemäß Artikel 66 Satz 2 des katalanischen Autonomiestatuts kann nur der Präsident oder die Präsidentin der Generalitat de Catalunya das katalanische Parlament vorzeitig auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Deswegen hatte die spanische Zentralregierung auch zunächst versucht, den katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont zu diesem Schritt zu drängen. Die Auflösung des katalanischen Parlaments und die Ausschreibung von Neuwahlen mitten in der Legislaturperiode war nach spanischem Recht rechtswidrig.

In einem Land mit einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit würde in einem solchen Fall das Verfassungsgericht angerufen, das dann die Nichtigkeit einer solchen Wahl festsstellen würde. In Spanien arbeitet das Verfassungsgericht seit Jahren erkennbar mit der Regierung des Partido Popular kollusiv zusammen, wobei es im Jahr 2010 bei der vom Partido Popular beantragten Beschlußfassung gegen das bereits ratifizierte erweiterte Autonomiestatut Kataloniens sogar gegen seine eigenen Statuten verstieß, um den Willen des Partido Popular erfüllen zu können.

Eine Verfassungsbeschwerde der Katalanen gegen die Anwendung des Artikels 155 wurde dementsprechend vom spanischen Verfassungsgericht gar nicht erst angenommen.

Artikel 67 Absatz 7 des katalanischen Autonomiestatuts, das, wie erwähnt, organisches Recht des spanischen Staates ist, regelt die Umstände, unter denen ein Präsident der katalanischen Regierung sein Amt vorzeitig verlieren kann. Wie in Spanien bereits von einer Vielzahl von Juristen festgestellt, kommt weder der Madrider Zentralregierung noch deren Präsidenten noch dem spanischen Senat das Recht zu, einen gewählten Präsidenten der Generalitat de Catalunya abzusetzen oder sogar dessen Befugnisse an sich zu reißen.

Auch der Artikel 155 der spanischen Verfassung bietet hierfür keine Grundlage. Es kann somit keine Rede davon sein, daß Mariano Rajoy Carles Puigdemont als Präsidenten der Generalitat de Catalunya «abgesetzt» hätte. Er hat ihn durch einen Staatsstreich von oben entmachtet, konnte ihn aber nicht rechtskräftig absetzen, da er dafür keine Kompetenz hatte.

Insbesondere durfte er auch nicht Soraya Sáenz de Santamaría als faktische Diktatorin Kataloniens einsetzen.

Demzufolge müßte an sich — wenn Spanien ein funktionierender Rechtsstaat mit tatsächlicher Gewaltenteilung wäre — die spanische Staatsanwaltschaft gegen Mariano Rajoy, Soraya Sáenz de Santamaría und andere wegen des Verdachts auf Vorliegen einer schweren Straftat gemäß Artikel 472 Abs. 4 des spanischen Strafgesetzbuchs ermitteln, der folgenden Tatbestand als Straftatbestand definiert:

«4.º Disolver las Cortes Generales, el Congreso de los Diputados, el Senado o cualquier Asamblea Legislativa de una Comunidad Autónoma, impedir que se reúnan, deliberen o resuelvan, arrancarles alguna resolución o sustraerles alguna de sus atribuciones o competencias.»

«4. Die Cortes Generales, den Kongreß der Abgeordneten, den Senat oder irgendeine gesetzgebende Versammlung einer Autonomen Gemeinschaft aufzulösen, zu verhindern, daß sie zusammenkommen, beratschlagen oder abstimmen, ihnen irgendeine Entschließung zu versagen oder ihnen irgendeine ihrer Zuständigkeiten und Kompetenzen zu nehmen.»

Es dürfte unstreitig sein, daß die spanische Regierung unter Führung von Mariano Rajoy diesen Tatbestand verwirklicht hat, als und indem sie die gesetzgebende Versammlung der autonomen Gemeinschaft Katalonien auflöste und ihr ihre Zuständigkeiten nahm. Dieses Delikt wird im spanischen Strafgesetzbuch übrigens als «Rebellion» bezeichnet und ist mit einer Gefängnisstrafe von fünf bis fünfundzwanzig Jahren strafbewehrt (Artikel 473 Abs. 1 des spanischen Código Penal). Es mutet seltsam und vor allem parteiisch an, daß die spanische Justiz gegen Mitglieder der katalanischen Regierung ermittelt, welche in Übereinstimmung mit internationalem, auch in Spanien gültigem zwingenden Recht gewaltlos die Verwirklichung des Mandats ihrer Wählerinnen und Wähler anstrebten, nicht aber gegen die Regierung Rajoy, die zudem noch unter erheblichem Korruptionsverdacht steht.

Bei den — allerdings nicht rechtmäßig einberufenen — Wahlen zum katalanischen Parlament vom 21. Dezember 2017 kamen die drei Parteien, die gemeinsam für den Aufbau der am 27. Oktober 2017 völkerrechtlich einwandfrei proklamierten katalanischen Republik eintreten, auf eine Mehrheit von 70 der 135 Sitze im katalanischen Parlament. Im Block der drei Parteien, welche die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung zu verantworten haben — Partido Popular, Ciutadans und die Sozialisten — gab es vor allem Verschiebungen zwischen den drei Parteien (die Partei Rajoys, der Partido Popular, kam nur auf 4,2 % der Stimmen und lediglich drei Sitze, dafür wurde die Partei Ciutadans entsprechend stärker), es gelang dem Dreierblock jedoch nicht, das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter zu verkleinern. Dieses wuchs im Gegenteil auch in absoluten Stimmen ein weiteres Mal an.

Die Sitzverteilung im neuen katalanischen Parlament ist wie folgt:

1. Parteien, die gemeinsam für den Ausbau der bereits errichteten katalanischen Republik eintreten:

— Junts per Catalunya (Carles Puigdemont): 34 Sitze (+5 Sitze)
— Esquerra Republicana (Dr. Oriol Junqueras): 32 Sitze (+17 Sitze)
— CUP (Carles Riera): 4 Sitze (-6 Sitze)

Die bei den sehr kurzfristig angesetzten Wahlen angetretenen, für eine Souveränität Kataloniens eintretenden Parteien kommen somit gemeinsam auf 70 Sitze (zehn Sitze mehr, als diese drei Parteien zuvor hatten) und haben eine absolute Mehrheit.

2. Parteien, die gegen eine eigenständige katalanische Republik sind:

— Ciutadans (Inés Arrimadas): 37 Sitze (+12 Sitze)
— PSC-PSOE (Miquel Iceta): 17 Sitze (+1 Sitz)
— Partido Popular (Xavier García Albiol): 3 Sitze (-8 Sitze)

Damit hat der Block der Unabhängigkeitsgegner 57 Sitze (5 Sitze mehr als zuvor). Die Partei des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy erhielt lediglich 184.108 Stimmen (=4,24 %). In Deutschland wäre sie somit unter die hierzulande geltende 5 Prozent-Klausel gefallen. Sie hat damit ihr Ergebnis des Jahres 2015 (8,5 %) nochmals halbiert. Die katalanischen Wählerinnen und Wähler auch des "unionistischen" Lagers, das keine eigenständige katalanische Republik wünscht, haben somit deutlich gemacht, daß sie wenig von Mariano Rajoys Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung halten, und ihre Stimmen lieber der Partei Ciutadans (Ciutadanos) gegeben.

3. Eine siebte Partei, die die spanische Zentralregierung des Partido Popular bei jeder Gelegenheit heftig kritisiert und für die Abhaltung eines Referendums zur Frage der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien eintritt, aber gleichzeitig eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit Kataloniens derzeit nicht befürwortet, sondern diese Frage in bilateralen Verhandlungen mit Madrid geklärt wissen möchte:

— Catalunya en Comú — Podem (Xavier Domènech): 8 Sitze (-3 Sitze)

Es scheint sich abzuzeichnen, daß Mariano Rajoy ein schlechter Verlierer ist und versuchen könnte, durch juristische Verfolgung gewählter Politiker des Unabhängigkeitslagers und weitere Einkerkerung der derzeitigen politischen Gefangenen die aus diesen Wahlen hervorgegangene parlamentarische Mehrheit der Befürworter einer katalanischen Souveränität zu schwächen und so eine Kandidatur der aus Andalusien stammenden Spanierin Inés Arrimadas für das Amt der Präsidentin der Generalitat de Catalunya zu fördern. Es wird Spanien jedoch voraussichtlich nicht gelingen, die in Übereinstimmung mit den Sozialpakten der Vereinten Nationen bereits proklamierte Abspaltung Kataloniens auf juristischem Wege zu verhindern. Je länger sich jedoch Mariano Rajoy mit der Sturheit eines Maulesels dem politischen Dialog verweigert, den die Katalanen ja immer angeboten hatten und den er seit Jahren immer nur ausschlug, und dadurch die Polarisierung zwischen den Lagern noch weiter verstärkt, desto stärker wird die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien werden und auch international weitere Unterstützer gewinnen.

Wird Spanien nunmehr die staatsstreichartige Anwendung des Artikel 155 der spanischen Verfassung verlängern oder erneut beschließen? Wird Spanien weiterhin ohne erkennbare Grundlage in seinem eigenen Strafrecht und unter Verstoß gegen die spanische Strafprozeßordnung katalanische Politiker, die friedlich und gesetzeskonform ihr von den Wählerinnen und Wählern erteiltes Mandat wahrnehmen, durch eine offensichtlich politisch gesteuerte Justiz verfolgen und in präventive Schutzhaft nehmen lassen? Wird Spanien weiterhin die Menschenrechte in Katalonien massiv verletzen?

Und Europa schweigt und sieht zu. Wie lange noch? Wann werden die europäischen Spitzenpolitiker endlich erkennen, daß Spanien vorsätzlich, massiv und dauerhaft gegen Artikel 2 des EU-Vertrags verstößt, indem es die Menschenrechte in Katalonien massiv verletzt hat und verletzt? Wann wird die Europäische Union einsehen, daß sie langfristig das Vertrauen und die Zustimmung vieler EU-Bürgerinnen und EU-Bürger dauerhaft verlieren wird, wenn sie nicht für die Einhaltung der Menschenrechte in Katalonien eintritt und deren massive Verletzung durch die spanische Regierung mit der Anwendung von Artikel 7 des EU-Vertrags sanktioniert? Und die Bundesregierung wird sich daran erinnern müssen, daß die Sozialpakte der Vereinten Nationen, deren Recht die ihre Souveränität einfordernden Katalaninnen und Katalanen für sich in Anspruch nehmen, nicht nur von Spanien, sondern auch von der Bundesrepublik Deutschland in nationales Recht überführt werden und somit auch die Amtsträgerinnen und Amtsträger der Bundesrepublik Deutschland binden. Das Recht auf Selbstbestimmung der katalanischen Nation hängt nach geltendem internationalen (zwingenden!) Recht nicht von einer Gewährung oder Zustimmung durch Spanien oder die Europäische Union ab, sondern liegt einzig und allein bei der katalanischen Nation, weswegen Spanien dieser auch die Abhaltung eines entsprechenden Referendums weder verbieten durfte noch verwehren darf und die übrigen Spanier in dieser Frage auch kein Mitbestimmungsrecht haben.

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute5
Gestern11
Woche41
Monat136
Insgesamt88049
 

Anmeldung