27. Dezember 2018   Aktuell

Spanien - Vor fast 400 Jahren wurde der Grundstein für den Katalonien-Konflikt gelegt

Kommentar: Prof. Axel Schönberger, Solidarität mit Katalonien für das REcht auf friedliche Selbsbestimmung

In Spanien, wo derzeit Unrecht zu Recht wird, gelten für Katalanen (und Basken) weder die durch die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) garantierten Menschenrechte noch die Europäische Menschenrechtskonvention, obwohl der postdemokratische spanische Staat an sich verpflichtet wäre, ... weiterlesen hier


Lange Zeit lebten die Katalanen weitgehend in Unabhängigkeit im spanischen Staatsverband. Bis Philipp IV. alle Regionen des Reiches unter einheitliche Gesetze zwingen wollte. Dagegen kommt es 1640 in Barcelona zum Aufstand.


Quelle: Goethe Universität u. a.
 
Nach der arabischen Invasion 711 und der Eroberung durch die Franken um 800 entstand Katalonien als freies Land und lag zwischen den Arabern auf der Iberischen Halbinsel und dem Fränkischen Reich im Norden.
 
Ende des 9. Jahrhunderts machten sich die Grafen der Hauptstadt Barcelona unabhängig: Zwischen 875 und 895 vereinte Guifrè el Pelós (Wilfried der Haarige) mehrere katalanische Grafschaften, die von Barcelona aus verwaltet wurden und gründete das Kloster Ripoll, die Wiege Kataloniens.
 
Die Emanzipation der Grafen von Barcelona von der fränkischen Lehnshoheit vollzieht sich de facto in den Jahren 986—88, als nach einem arabischen Angriff auf Barcelona jegliche fränkische Hilfe ausbleibt und der katalanische Graf Borrell II. unabhängig den Schutz seines Landes vor den Arabern organisiert.
 
Das im Spannungsfeld zwischen dem karolingischen Europa und dem Islam gelegene katalanische Gebiet wird in dieser Zeit zum bedeutenden Kulturmittler. Im zehnten Jahrhundert ist Katalonien einer der wenigen Plätze der christlichen Welt, wo man eine Ausbildung in Mathematik und Astronomie erhalten kann. Hervorragendes kulturelles Leben entwickelt sich in Klöstern wie Ripoll, Cuixà und Vic. In Ripoll, das von Guifré gegründet wurde, werden zahlreiche arabische Texte übersetzt, wodurch das fortschrittliche Wissen der Moslems für den auf vielen Gebieten rückständigen christlichen Kulturbereich nutzbar gemacht wird.
 
Der Ruf des Klosters geht weit über die Landesgrenzen hinaus, nicht zuletzt wegen seiner reichen Bibliothek, die neben den theologischen Standardwerken auch antike Autoren, arabische und hebräische Abhandlungen sowie Werke zur Grammatik oder Geographie führt. Anfang des 11. Jahrhunderts nimmt von Katalonien auch die großartige Kunstepoche der südwesteuropäischen Romanik ihren Ausgang (siehe den Essay »Katalanische Kunst und Architektur«).
 
Der Konflikt entsteht anläßlich des Kriegs Philipps IV. mit Frankreich seit 1635.
 
Gaspar de Guzmán, Graf von Olivares, Herzog von San Lucar,  einer der führenden Minister Spaniens in der Regentschaft von König Philipp IV und sein Günstling, läßt Philipps Truppen durch Katalonien nach Frankreich ziehen. Da ihnen jedoch kein Erfolg beschieden ist, werden sie in Katalonien auf Kosten der Bevölkerung zwangsstationiert, was große Unruhe, besonders auf dem Lande auslöst. Im Norden des Landes erheben sich die Katalanen gegen die kastilischen Soldaten. 1638 wird Pau Claris Präsident der Generalitat und Francesc de Tamarit Vertreter des militärischen Standes. Beide gehören zum niederen Adel, stammen aus dem Bereich der Pyrenäen und verkörpern politisch die Gegnerschaft zur Monarchie und zum Großadel, der unterwürfig der Politik Philipps folgte.
 
Im Mai 1640 dringen die gegen die Übergriffe der kastilischen Truppen protestierenden Bauern nach Barcelona vor und in wenigen Tagen erhitzt sich die Situation derart, daß die Häuser der kastilienhörigen Aristokratie angezündet und ihr prominentester Vertreter, der Statthalter für Katalonien, umgebracht wird.
 
Während Philipp Katalonien zu besetzen beginnt, knüpft der niedere Adel Verbindungen zu Frankreich an und schließt am 7. 9. 1640 in Ceret ein Abkommen, in dem Frankreich militärische Hilfe gegen Philipp verspricht und Katalonien der Status einer freien Republik unter französischem Schutz zugestanden wird. Im Januar 1641 werden die kastilischen Truppen am Montjuïc bei Barcelona geschlagen und vertrieben.
 
Am Ende dieses Konflikts muß sich zwar Katalonien wieder unter Philipps Königtum begeben, aber dieser muß seinerseits die eigenständigen katalanischen Institutionen bestätigen - der Geist des 1643 in Ungnade gefallenen Olivares hatte sich nicht durchsetzen können.
 
Philipps Nachfolger wird 1665 der nur vierjährige Karl II., der Sohn, den Philipp in zweiter Ehe mit seiner Nichte gezeugt hatte. Dessen aus der Inzucht herrührende körperliche und geistige Schwäche, die sich für die kastilische Politik negativ auswirkt und die ihm auch unmöglich macht, Nachkommen zu zeugen, ist für Katalonien vorteilhaft: sie läßt den Katalanen einen erheblichen Freiraum. Katalonien nimmt einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung.
 
Ein bourbonischer Zentralismus legt zum ersten Mal in der Geschichte Hand an die verfassungsmäßigen katalanischen Institutionen.
 
Per Dekret werden sie abgeschafft und durch die Gesetze Kastiliens ersetzt. Wie ein wahrer Okkupant macht Philipp, wie es wörtlich in seinen Dekreten heißt, »das Recht des Eroberers« geltend. Sein Ziel ist die Uniformität aller seiner Reiche. Er schließt die fünf katalanischen Universitäten und errichtet dafür in Cervera (landeinwärts von Tarragona) eine einzige neue, ihm genehme. In den verschiedensten Institutionen (Verwaltung, Gerichte, später auch Schulen) versucht er die spanische Sprache einzuführen, verschärft damit aber angesichts der Unkenntnis des Spanischen in der katalanischen Bevölkerung deren Distanz zum Staatsapparat. -
 

Die Jahre 1876 bis 1886 sind die Jahre des wirtschaftlichen »Goldfiebers«. Der Katalanismus wird inzwischen vom gesamten katalanischen Mittelstand (erst sehr viel später auch von der Arbeiterschaft) getragen. Der Anführer der liberalen Richtung, Valenti Almirall, formuliert in seinem Buch Lo Catalanisme die Leitlinien einer eigenständigen katalanischen Politik. 1883 wird ein weitreichender Entwurf einer Verfassung für einen Katalanischen Staat ausgearbeitet, und die Gründungsversammlung der Unió Catalanista verabschiedet 1892 die Bases de Manresa, eine Regionalverfassung für Katalonien. -

1901 feiert man zum ersten Mal den 11. September als nationalen Gedenktag, der an die gewaltsame Einverleibung Kataloniens durch Spanien im Jahre 1714 erinnert. In diesem Jahr gewinnt die Lliga Regionalista die Wahlen und eröffnet damit den Siegeszug katalanischer Parteien, die unabhängig von gesamtspanischen Parteien agieren. -

Das Bestreben nach Eigenständigkeitist ist also nicht erst nach dem Franco Regime oder im letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts aufgekommen und beruht auch nicht darauf, dass Katalonien, welches nach Madrid, dem Baskenland und Navarra zu der viertreichsten Region gehört, seine wirtschaftlichen Erfolge für sich allein nutzen will ... es ist ein Kampf um Freiheit/Eigenständigkeit, der bereits vor Jahrhunderten begann.
 
Wirtschaftlich gesehen ist eine Abspaltung Kataloniens aus der Sicht von Zentral-Spanien eine Katastrophe. Um eine arme Region, die in die Selbständigkeit drängt, würde in Madrid möglicherweise "kein Hahn krähen", im Gegenteil ...
 
Ein Blick auf Kataloniens Reichtum ist ein Blick auf eine hohe Industrialisierung. So sind bedeutende Zweige der Chemie, Textilien, Pharmazeutika und des Automobilbaus in Katalonien angesiedelt. Die Marke Seat zum Beispiel wird hauptsächlich in Katalonien produziert. Auch der Tourismuszweig ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute0
Gestern15
Woche23
Monat174
Insgesamt88087
 

Anmeldung