06. November 2019   Aktuell

Ausraster auf Youtube: Bolsonaro und der ungelöste Mord an der sozialistischen PolitikerinMarielle Franco

Quelle: Spiegel.online

Bolsonaro und der ungelöste Mordfall an der Sozialistin Marielle Franco

Nach einem Ausraster auf YouTube fragen sich viele Brasilianer, ob Präsident Bolsonaro seinem Amt emotional gewachsen ist. Der Auslöser für seine Wut: Er wird mit dem Mord an einer Politikerin in Zusammenhang gebracht.

Sonntag, 03.11.2019   18:20 Uhr
 

Eine Frage überschattet die Präsidentschaft des rechtsextremen Jair Bolsonaro, seit dieser am 1. Januar sein Amt antrat: Gibt es eine Verbindung zwischen der Familie des Präsidenten und den mutmaßlichen Mördern der linken, schwarzen und lesbischen Stadträtin Marielle Franco, die im März vergangenen Jahres von Auftragskillern in Rio de Janeiro mit einer Gewehrsalve hingerichtet wurde?

 
 

In der vergangenen Woche löste eine Reportage des mächtigen Fernsehsenders TV Globo zu dieser Frage einen Wutanfall des Präsidenten aus. In einem YouTube-Video von seinem Hotelzimmer in Saudi-Arabien aus, wo er gerade auf Staatsbesuch war, tobte, drohte, schrie und weinte Bolsonaro über 20 Minuten lang, sodass selbst die besonnene "Financial Times" fragte, ob Brasiliens Staatsoberhaupt womöglich geisteskrank sei.

Morast aus korrupten Polizisten, Ermittlern und staatlichen Behörden

Bolsonaro beschimpfte die Presse und seine politischen Gegner und drohte, Globo die demnächst anstehende Verlängerung der Sendelizenz zu verweigern. Er bestritt alle Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Mord an Franco.

Die Ereignisse am Mittwoch und Donnerstag scheinen seine Version zu untermauern: Die Globo-Reportage beruht auf widersprüchlichen Informationen, die mittlerweile auch von der Staatsanwaltschaft dementiert wurden.

 

Tatsächlich beruht die Globo-Reportage auf widersprüchlichen Informationen, die die Journalisten allerdings auch kenntlich gemacht hatten. Die Staatsanwaltschaft unterstützte auf einer hastig einberufenen Pressekonferenz Bolsonaros Darstellung der Vorgänge.

Doch dann geriet auch deren Glaubwürdigkeit ins Zwielicht: Das Enthüllungsportal "The Intercept" veröffentlichte Fotos, die eine der Staatsanwältinnen, die die Ermittlungen führen, als glühende Bolsonaro-Unterstützerin ausweisen. Ihrer Absetzung wegen Befangenheit kam sie zuvor, indem sie ihren Rücktritt erklärte.

Am Samstag sorgte dann der Präsident selbst dafür, dass die Verdächtigungen neu aufflammten: Er bekannte, dass er sich ein für die Ermittlungen essentielles Beweisstück angeeignet hatte, bevor es von der Staatsanwaltschaft untersucht werden konnte - angeblich wollte er so möglichen "Manipulationen" zuvorkommen.

Der Nebel um die Ermittlungen im Mordfall Franco, die in einem Morast aus korrupten Polizisten, Ermittlern und staatlichen Behörden feststecken, ist damit noch dichter geworden. Und der Verdacht wächst, dass der Präsident und seine Familie etwas zu verbergen haben.

 

Um die Tragweite des Mordes zu verstehen, der weltweit zu Protesten führte, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Die ermordete Stadträtin Marielle Franco war eine lautstarke Kritikerin von Polizeigewalt und außergerichtlichen Tötungen, sie hatte sich auch gegen die Entscheidung des damaligen Präsidenten Michel Temer ausgesprochen, im Kampf gegen die Kriminalität die Armee nach Rio zu entsenden - am 14. März wurde sie nach einem Auftritt erschossen. Zwei ehemalige Polizisten wurden festgenommen, sie hatten Verbindungen zum organisierten Verbrechen.

Milizen gelten als Hauptverantwortliche für den Mord

Bolsonaro wohnte bis zu seiner Wahl und bis zu seinem Umzug in die Hauptstadt Brasília weniger als hundert Meter entfernt von dem Hauptverdächtigen im Mordfall Franco, Ronnie Lessa. Er besitzt in derselben bewachten Wohnanlage in Rio zwei Häuser. Es gibt Selfies, die ihn mit den Verdächtigen zeigen.

Alle Verdächtigen gehören den sogenannten Milizen an. Diese bewaffneten Gruppen bestehen vor allem aus ehemaligen und aktiven Polizisten, Militär und Feuerwehrleuten. In vielen Elendsvierteln von Rio haben sie die dort herrschenden Drogenhändler vertrieben und die Macht übernommen. Sie kassieren Schutzgelder, dealen illegal mit Waffen und sollen auch ins Drogengeschäft eingestiegen sein. In Lessas Haus entdeckte die Polizei vor einigen Monaten ein illegales Waffenlager. Franco hatte genau diese Gruppen bekämpft.

 

 

Suche

 
 
 

Rosa Luxemburg Stiftung

 

Besucherzähler

Heute10
Gestern5
Woche18
Monat169
Insgesamt88082
 

Anmeldung