Er kam, sah und ging: Präsident Puigdemonts kurze Rückkehr nach Katalonien
Am 12. Mai 2024 fanden in Katalonien nach spanischem Recht Wahlen zum Parlament von Katalonien statt. Fast eine Million Wähler aus dem Lager der Unabhängigkeitsbefürworter ging nicht zur Wahl. Es scheint, daß die meisten von ihnen mit dem parlamentarischen System nach spanischem Recht gebrochen haben und nun nach anderen Wegen suchen, die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien und die Errichtung der Republik Katalonien (República Catalana) zu verwirklichen.
5.433.166 Personen waren am 12. Mai 2024 wahlberechtigt, 57,9 % von ihnen beteiligten sich an den Wahlen. Gewählt wurden 135 Abgeordnete des katalanischen Parlaments. Einer von ihnen ist Präsident Carles Puigdemont, der am 27. Oktober 2017 von Spanien rechtswidrig seines Amtes enthoben und seitdem als politisch Verfolgter im Exil lebt, wobei er ausnahmslos immer als Bürger Europas der europäischen Justiz zur Verfügung stand und niemals vor der Justiz «floh», wie regierungsnahe spanische Medien seit Jahren diffamierend zu behaupten pflegen. Die Justiz anderer europäischer Staaten war vielmehr nicht bereit, sich an seiner politisch motivierten Verfolgung durch den spanischen Justizapparat zu beteiligen, da in Ländern wie Belgien oder Deutschland der Rechtsstaat im Unterschied zu Spanien funktioniert.
Nach Artikel 71 Abs. 2 der Verfassung des Königreichs Spanien vom 29. Dezember 1978, geändert durch Gesetz vom 27. August 1992 (Art. 13 Abs. 2), der sich auf die Abgeordneten der Cortes Generales bezieht, aber analog auf alle Abgeordneten auch der Parlamente der Autonomen Gemeinschaften innerhalb des spanischen Zentralstaates Anwendung findet, dürfen Abgeordnete während ihrer Mandatszeit nur bei Begehen einer Straftat festgenommen werden. Sie dürfen nur mit vorheriger Erlaubnis der betreffenden Kammer angeklagt oder gerichtlich verfolgt werden.
Das Autonomiestatut Kataloniens ist Verfassungsrecht (organisches Recht) des Königreichs Spanien und durch Artikel 147 der spanischen Verfassung von 1978 als Bestandteil der spanischen Rechtsordnung anerkannt.
Artikel 57 Abs. 1 des Autonomiestatuts Kataloniens von 2006 bestimmt, daß die Mitglieder des katalanischen Parlaments in Ausübung ihres Amtes bei der Stimmabgabe sowie der Äußerung ihrer Meinung parlamentarische Immunität genießen und während der Dauer ihres Mandats nicht verhaftet werden dürfen, sofern sie nicht handfeste Straftaten begehen.
Als gewählter Abgeordneter des katalanischen Parlaments genießt Präsident Carles Puigdemont nach spanischem Recht im gesamten Staatsgebiet des Königreichs Spanien parlamentarische Immunität. Weder ist er verurteilter Straftäter noch ist erkennbar, daß er irgendeine Straftat begangen hätte. Soweit ihm in der Vergangenheit von spanischen Richtern der Vorwurf gemacht wurde, gegen die spanische Verfassung (wohlgemerkt nicht gegen spanisches Strafrecht!) verstoßen zu haben, indem er maßgeblich an der Organisation der Durchführung eines vom katalanischen Parlament beschlossenen und nach spanischem Recht nicht strafbaren Referendums über die Frage beteiligt war, ob Katalonien in Form einer demokratischen Republik von Spanien unabhängig werden soll oder nicht, greift das Verfassungsgesetz 1/2024 vom 10. Juni 2024 über die Amnestie zur institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien, das am 11. Juni 2024 im spanischen Gesetzblatt BOE verkündet wurde («Ley Orgánica 1/2024, de 10 de junio, de amnistía para la normalización institucional, política y social en Cataluña», in: BOE 141, 11 Juni 2024, https://www.boe.es/eli/es/lo/2024/06/10/1/con
Damit ist derzeit kein spanischer Richter berechtigt, einen Haftbefehl gegen Präsident Carles Puigdemont zu erlassen oder vollstrecken zu lassen.
Dennoch hat der spanische Kritokrat Pablo Llarena, Richter am Obersten Gerichtshof Spaniens, einen nationalen Haftbefehl gegen Präsident Puigdemont aufrechterhalten und behauptet aus eigenem Recht, nicht an das vom Gesetzgeber beschlossene und in Kraft getretene Amnestiegesetz gebunden zu sein. Allein dies ist ein unerhörter Vorgang, der Spanien ins Abseits stellt und von den zivilisierten, rechtsstaatlichen übrigen Länder der Europäischen Union scheidet.
Präsident Puigdemont hatte öffentlich angekündigt, an der Parlamentsdebatte am 8. August 2024 teilzunehmen, sich an der parlamentarischen Diskussion zu beteiligen und seine Stimme als Abgeordneter abzugeben. Ihm war bewußt, daß ihn der spanische Staat nach dieser Sitzung beim Verlassen des Parlaments voraussichtlich rechtswidrig verhaften und nach Madrid bringen lassen würde. Er mußte sogar damit rechnen, in spanischer Haft eines ‛zufälligen’ Todes etwa infolge eines ‛unerwarteten’ Herzversagens zu sterben. Dennoch wollte er von seinen parlamentarischen Rechten Gebrauch machen, wie es ihm rechtmäßig auch zustand. Er ist weder verurteilt noch vor einem spanischen Gericht angeklagt. Seine parlamentarische Immunität steht ihm in vollem Umfang zu. Im Königreich Spanien, das kein Rechtsstaat ist, wenn es um Katalonien oder das Baskenland geht, und die Menschenrechte nach Belieben massiv verletzt, spielt dies freilich keine Rolle.
Präsident Puigdemont kam bereits am 6. August 2024 in Barcelona an und hielt am 8. August 2024, wie zuvor angekündigt, vor dem Parlament vor einer großen Menschenmenge eine Rede. Zu dem Podest war er zu Fuß gegangen. Als ihm berichtet wurde, daß die Polizei das Parlamentsgebäude hermetisch abgeriegelt hatte und plante, ihn rechtswidrig verhaften und nach Madrid bringen zu lassen, so daß ihm die Teilnahme an der Sitzung des katalanischen Parlaments und die Ausübung seiner Rechte als Abgeordneter verwehrt wurde, ließ er sich auf dem Rücksitz eines Wagens nach Nordkatalonien fahren, von wo aus er nach Belgien weiterreiste. (Ebenso, wie eine schmierige Schindluderpresse seit Ende Oktober 2017 das frei erfundene, nachweislich falsche Märchen verbreitet, er sei damals im Kofferraum eines Wagens aus Katalonien geflohen, gab es auch diesmal eine bunte Mischung erfundener Geschichten über die Rückreise des Präsidenten nach Belgien.)
Eine großangelegte Suchaktion und Straßensperren der Polizei blieben erfolglos. Die Weltöffentlichkeit wurde Zeuge, daß und wie der spanische Staat es einem gewählten Abgeordneten verwehrte, an einer Parlamentssitzung teilzunehmen und seine Abgeordnetenrechte auszuüben. Die friedliche Menschenmenge, vor der Präsident Puigdemont gesprochen hatte, wurde von der Polizei grundlos und unverhältnismäßig mit Pfefferspray angegriffen.
Am 8. August 2024 wurde der Sozialdemokrat Salvador Illa aufgrund seiner Unterstützung durch die ehemalige Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (ERC) mit 68 Stimmen bei 66 Gegenstimmen zum 133. Präsidenten Kataloniens gewählt. Präsident Puigdemont hatte angekündigt, gegen diese Wahl zu stimmen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß der redegewandte katalanische Politiker in der Debatte noch weitere Abgeordnete davon hätte überzeugen können, dem Kandidaten des PSOE ihre Stimme zu verweigern und sich entweder der Stimme zu enthalten oder gleichfalls gegen dessen Wahl zu stimmen, würde in einem solchen Fall wohl in jedem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union die Nichtigkeit ex tunc der Wahl festgestellt werden. Spanien ist indes, wenn es um Katalonien und das Baskenland geht, kein Rechtsstaat, sondern bricht beständig eigenes Verfassungsrecht, um eine seiner letzten Kolonien auf europäischem Boden nicht zu verlieren.
Daß die anderen Länder der Europäischen Union diesem rechtswidrigen Treiben Spaniens tatenlos zusehen, diskreditiert die Europäische Union weltweit und vor ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern.
Nachfolgend sei Präsident Carles Puigdemont selbst in deutscher Übersetzung zitiert:
«Am vergangenen Donnerstag, dem 8. August [2024], organisierten zivilgesellschaftliche Organisationen und katalanische Parteien innerhalb von 24 Stunden eine öffentliche Veranstaltung am Arc de Triomf im Zentrum von Barcelona, nur wenige Meter vom katalanischen Parlament entfernt. Der Grund? Sie wollten meine Rückkehr nach fast sieben Jahren im Exil begrüßen.
Aber wegen der Richter des Obersten Gerichtshofs Spaniens, die beschlossen hatten, einige der Haftbefehle gegen diejenigen aufrechtzuerhalten, die das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 organisiert hatten, sorgte diese Rückkehr für große Spannungen. Tatsache ist, daß diese Haftbefehle aufrechterhalten wurden, obwohl das spanische Parlament ein Amnestiegesetz verabschiedet hatte, das die Aufhebung aller Maßnahmen anordnete, die uns daran hinderten, unsere politischen Rechte auszuüben.
Ich bin nicht verurteilt und noch nicht einmal vor Gericht gestellt worden. Ich bin in das katalanische Parlament gewählt worden und gehöre zu den verfolgten Politikern und Aktivisten, für die dieses Amnestiegesetz gelten sollte. Aber die politisierte zweite Kammer des Obersten Gerichtshofs hat beschlossen, sich gegen ein Gesetz aufzulehnen, das ihr nicht gefällt, und mißachtet damit ein demokratisches Parlament.
Ich nenne dies einen hybriden Staatsstreich. Bestimmte Richter unterwandern den Willen des Volkes und setzen unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit ein von einer demokratischen Regierung verabschiedetes Gesetz außer Kraft. Daß ein Amnestiegesetz keine Amnestie gewähren kann, wäre überall in Europa absurd, und doch geschieht genau das in Spanien.
Mit dem Argument, daß freiwillige Beiträge zur Finanzierung des Referendums — die die Öffentlichkeit nichts gekostet haben — einer persönlichen Bereicherung gleichgekommen wären, hat das Gericht den Straftatbestand der „Veruntreuung“ im Wesentlichen neu definiert. Die Verzerrung der Realität, die stattfindet, um uns außerhalb des Geltungsbereichs des Amnestiegesetzes zu stellen, ist so surreal, daß sie nicht nur das Gesetz mißachtet, sondern auch Spaniens Gesetzgeber verhöhnt.
Jeder, der das Gesetz gelesen hat, würde keinen einzigen Zweifel an seinem Geltungsbereich und seiner Absicht haben, und mehrere maßgebliche Rechtsexperten — darunter emeritierte Mitglieder des Obersten Gerichtshofs — haben sich bereits dazu entsprechend geäußert.
Darüber hinaus haben sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die zuständige Staatsanwaltschaft beantragt, das Amnestiegesetz auf uns anzuwenden. Unter normalen Umständen würden die Richter solchen Anträgen automatisch zustimmen. Aber stattdessen haben sie sich dafür entschieden, eine Privatklage der rechtsextremen Partei VOX zuzulassen, was bestätigt, daß es sich um eine gerichtliche Verfolgung politischer Natur handelt.
Ich hatte versprochen, zur Amtseinführungsdebatte des neuen Präsidenten der katalanischen Regierung, der immer vom Parlament gewählt wird, nach Hause zurückzukehren. Da ich alle politischen Rechte besitze, war es meine Pflicht, an dieser wichtigen Diskussion teilzunehmen. Und so wiesen die politisierten spanischen Richter die katalanische Polizei an, die Gelegenheit zu nutzen und mich zu verhaften.
Das Risiko, für die nächsten Jahre in einem spanischen Gefängnis inhaftiert zu werden, war außerordentlich hoch. Dennoch beschloß ich, zurückzukehren. Und nicht nur das: Ich kündigte an, wo, wann und zu welcher Uhrzeit ich vor Tausenden von Menschen erscheinen würde
Am Nachmittag des 6. August [2024] gelang es mir, das Prinzipat von Katalonien zu erreichen und nach Barcelona zu fahren, ohne entdeckt zu werden. Zwei Tage später war ich in der Lage, einige Straßen zu durchqueren und die Bühne zu erreichen, ohne festgenommen zu werden. Und ich konnte mit unbedecktem Gesicht wenige Meter vom Sitz des Obersten Gerichtshofs von Katalonien und dem Parlament selbst entfernt vor einer Menschenmenge sprechen.
Ich wollte zum Parlament gehen, aber die Polizei hatte das gesamte Gebiet abgesperrt, so daß es mir unmöglich war. Hätte ich es versucht, wäre das gleichbedeutend mit einer Kapitulation vor den Justizbehörden gewesen, die meiner Meinung nach nicht befugt sind, mich zu verfolgen, da sie gegen internationale Normen und die vom spanischen Parlament verabschiedeten Gesetze verstoßen.
Ich bin nicht nach Katalonien zurückgekehrt, um verhaftet zu werden. Ich bin zurückgekehrt, um von meinem Recht Gebrauch zu machen, mich der Unterdrückung zu widersetzen. Wenn ein Richter sich weigert, demokratisches Recht anzuwenden, ist das eine Form der Unterdrückung — eine, die kein Demokrat tolerieren sollte.
Ich bin ein sehr großes persönliches Risiko eingegangen, um auf ein systemisches Problem der spanischen Justiz aufmerksam zu machen und die politische Besessenheit eines Gerichts anzuprangern, das bei seinen Entscheidungen unparteiisch sein sollte. Um frei zu bleiben, mußte ich also den Alternativplan aktivieren, den ich vorbereitet hatte, nämlich auf der Veranstaltung zu sprechen, mich einer unrechtmäßigen Verhaftung zu entziehen und Spanien zu verlassen.
Das war nicht einfach. Die Polizei verursachte in ganz Katalonien Chaos, als sie versuchte, mich zu verhaften — einen Abgeordneten, einen Politiker, dessen „Verbrechen“ darin bestand, ein Referendum zu organisieren; keinen Terroristen oder Waffenhändler, keinen Mörder oder Vergewaltiger. Das letzte Mal, daß eine solch massive Operation in Katalonien durchgeführt wurde, war vor genau sieben Jahren, unter meiner Präsidentschaft, und damals war es wegen der schrecklichen dschihadistischen Anschläge in Barcelona und Cambrils.
Aber letztendlich war meine Ausreise erfolgreich. Es war nicht nötig, mich im Kofferraum eines Autos zu verstecken — wie sie behaupten, daß ich das getan hätte. Ich saß auf dem Rücksitz eines Privatfahrzeugs und wurde über die Grenze zwischen dem südlichen Katalonien und dem Nordkatalonien, das verwaltungstechnisch französisches Gebiet ist, gefahren.
Jetzt hoffe ich, daß eines Tages die Gerechtigkeit zu den spanischen Gerichten zurückkehrt und die Richter ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz respektieren, damit ich dauerhaft nach Hause zurückkehren kann.
Carles Puigdemont i Casamajo, 130. Präsident der Generalitat de Catalunya»
Die Europäische Union wird langfristig keine Zukunft haben und die Zustimmung der Menschen in den Mitgliedsstaaten verlieren, wenn sie solch offensichtliches Unrecht weiter in ihren Reihen duldet und wegsieht. Längst hätte sie eingreifen und die Mitgliedschaftsrechte Spaniens in der Union solange suspendieren müssen, bis Spanien ein demokratischer Rechtsstaat wird.
Spanien bricht weiterhin nationales sowie internationales Recht und begeht schwere Menschenrechtsverstöße. Und Europa schweigt und stimmt zu!